Kapitel 132

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„Also die Security und alles hat die Kleine ja genommen wie ein Profi." Phils Vater ließ sich neben ihm in den Flugzeugsitz gleiten. Ja, wahrscheinlich war er selbst viel aufgeregter gewesen als seine Tochter. „Papa, wie ist das, wenn man fliegt? Flattert das Flugzeug auch genauso mit den Flügeln wie ein Vogel?" Pippa drückte ihr kleines Gesicht an das Fenster. Ja, sie hatten extra den Fensterplatz gewählt, damit sie auch hinausschauen konnte. „Nein, die Flügel beim Flugzeug sind starr. Das passiert alles durch physikalische Kräfte. Weißt du, die Schwerkraft zieht es nach unten und der Auftrieb drückt es nach oben. Deshalb kann es in der Luft schweben." Pippa nickte nachdenklich. „Aber dann schwebt es ja nur und kommt nicht vorwärts. Dann schweben wir ja nur über Mallorca und kommen nicht nach Deutschland." Phil grinste. Seine Tochter war ein ziemlich pfiffiges Kerlchen, wenn ihr so etwas auffiel. „Das stimmt, dafür ist dann der Vortrieb zuständig." Pippa nickte zufrieden und drückte ihr Plüschpferd wieder fest an sich. „Siehst du Cabbi, wir brauchen überhaupt keine Angst zu haben. Das ist alles gar kein Problem." „Was sagt sie? Hat sie Angst vor dem Fliegen?" Phils Vater hatte sich besorgt zu ihnen gebeugt. Phil schüttelte sofort seinen Kopf. „Nein, sie wollte nur wissen, warum ein Flugzeug fliegt und ich habe ihr das erklärt." Sein Vater grinste ihn an. „Sie kommt wirklich nach dir. Du warst als kleiner Knopf auch immer ganz wissbegierig. Und hast du ihr erklärt, dass das Flugzeug fliegt, weil da vorne ein Pilot drin sitzt?" Phil zuckte mit den Schultern „Ja, so in etwa." Ja, seine Erklärung war vielleicht etwas ausführlicher gewesen als die seines Vaters es früher waren.
Das Flugzeug rollte auf die Rollbahn und beschleunigte. Sie wurden immer weiter in den Sitz gedrückt. Phil hielt die Hand seiner Tochter damit sie wusste, dass er da und alles okay war. „Papa, Papa, das ist toll." Die Kleine grinste breit. „Das ist noch toller als schaukeln. Können wir morgen nicht lieber ein Flugzeug statt einer Schaukel kaufen?" Ihre Augen nahmen diesen bettelnden Ausdruck an. Okay, vielleicht hatte sein Vater doch recht gehabt und er musste auch lernen, nein zu sagen. Leider viel früher, als ihm lieb war. „Das geht nicht so einfach. Weißt du erstens ist ein Flugzeug sehr teuer und zweitens kann nicht jeder eins kaufen, weil es sehr teuer ist." Pippa nickte und kaute wieder auf ihrer Unterlippe. „Stimmt Papa, außerdem ist es auch viel zu groß für einen Garten. Du hast doch einen Garten, wo ich spielen kann, oder?" Also scheinbar war seine Tochter ein ziemlich einsichtiges weibliches Exemplar, wenn er da an seine mittlere Schwester Stella in dem Alter dachte. Da wäre hier alles mit Krokodilstränen überschwemmt worden, wenn ihr Wunsch abgelehnt worden wäre. „Ja, wir haben einen Garten." Pippa nickte zufrieden und schaute wieder aus dem Fenster. Sein Vater neben ihm hatte Kopfhörer in den Ohren und wirkte hoch konzentriert. Phil legte seinen Kopf zurück und schloss seine Augen, so wie er das immer im Flieger machte. „Papa, schläfst du?" Er spürte ein Zuppeln an seinem Arm und riss sofort die Augen wieder auf. „Nein, ich bin wach. Geht es dir nicht gut? Ist dir übel?" Sein Blick wanderte sofort zu dem Netz am Vordersitz, wo immer die Kotztüten deponiert waren. „Nein Papa. Mir geht es gut. Ich habe nur ein bisschen Hunger." Phil griff in den Rucksack unter dem Vordersitz und zog eine Packung Gummibärchen heraus, die er noch schnell vorhin in einem Flughafenshop besorgt hatte. Er öffnete sie und reichte ein paar seiner Tochter, die sie sofort in den Mund stopfte und zufrieden kaute. „Papa", schmatzte sie. „Mama ist doch jetzt im Himmel. Das hat José mir gesagt als die bösen Tanten gekommen sind und mich abgeholt haben." Okay, man musste kein wirklicher Kinderversteher sein, um zu wissen, wen die Kleine damit meinte und wie sehr ihr dieser Eingriff durch die Behörden geschadet hatte. Das war echt unglaublich, was man da einer Kinderseele antat. Phil war Blanca dankbar, dass sie wenigstens so weise war und ihr Testament bei einem Notar hinterlegt hatte, damit im Notfall die Zukunft ihrer Tochter gesichert war. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was mit seiner Kleinen passiert wäre, wenn sie das nicht getan hätte. „Ja, Mama ist jetzt im Himmel." Er wollte diese kindliche Vorstellung nicht zerstören. Hoffentlich kamen da nicht noch mehr Fragen in diese Richtung, denn damit wäre er schlicht überfordert. „Und wir sind doch jetzt auch im Himmel. Meinst du Mama fliegt da auch mit einem Flugzeug?" Was sollte er denn darauf antworten? Nein, sie ist ein Engel? Das wäre ja genauso eine Lüge, als würde er ja sagen. Außerdem gefiel ihm die moderne Version irgendwie besser. Er nickte. Das schien den Wissensdurst seiner Tochter zu befriedigen. Er lehnte sich wieder zurück und ließ diesmal seine Augen aber auf, um seine Tochter zu beobachten. Pippa drückte ihr Gesicht wieder an das Fenster. Sie schien hochkonzentriert. Plötzlich fing ihr kleiner Hintern an aufgeregt hin und her zu rutschen und sie winkte ganz aufgeregt. Was war denn jetzt los? Pippa griff nach seiner Hand und wedelte damit wild herum. „Papa, Papa, du musst auch schnell winken! Da ist ein Flugzeug. Das ist bestimmt Mama, die uns auch winkt." Phil tat seiner Tochter den Gefallen und bewegte seine Hand auch. Er musste schlucken. Auch wenn seine Tochter scheinbar gar nicht die Bedeutung des Todes ihrer Mutter erfassen konnte, würde sie irgendwann in das Alter kommen, wo sie dazu in der Lage war. Sie würde mit Sicherheit jede Menge Fragen haben, die er ihr nicht beantworten würde können. Zum Beispiel warum sie nie eine Familie waren und warum ihre Mutter tot war. Phil hatte keine Ahnung, wie er ihr das dann erklären sollte. Mit Sicherheit jedenfalls nicht mehr mit einem Flugzeug.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt