Kapitel 88

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🌌  LESENACHT TEIL 2  🌌

Hava

Hektisch lief ich hin und her, während mein Herz in meiner Brust immer heftiger gegen meine Rippen schlug, sodass ich es selbst in den Ohren hörte. 

Wieder blieb mein Blick an der zweiten Zellentür hängen. Das dunkle Grau, das schon überall Rost hatte, ließ mich einige Minuten innehalten. 

Es sah genauso aus wie in meiner Erinnerung . Nichts hatte sich verändert, abgesehen von den Geräuschen, dem Geruch und den Lichtverhältnissen. 

Eine unangenehme Gänsehaut überfuhr meinen Körper und ich musste mich einmal schütteln. Mit einer schnellen Bewegung holte ich mein Handy aus der Hosentasche und sah auf die digitale Uhr. 

Einerseits ungeduldig und andererseits innerlich hoffend, dass Daniel nicht kommt, fing ich wieder an, hin und her zu laufen. 

Wie konnte man so sehr etwas wissen wollen und doch so sehr Angst vor den Antworten haben? 

Noch immer stand ich im offenen Meer und war alleine. Ohne Weste und ohne einen sicheren Hafen. Nur eine Hand, die sich langsam mir entgegenstreckte, Daniel's Hand, aber nicht weil er es wollte, sondern weil ich ihn gesehen habe

Am ganzen Körper bebend atmete ich ein und versuchte ruhig zu bleiben, als ich hinter mir Schritte wahrnahm. Lange Beine in einer schwarzen Anzugshose, blonde, wuschelige Haare und hellblaue Augen waren zu sehen, als er mit einem Lächeln ein paar Meter vor mir zum Stehen kam. Das hellblau leuchtete auf. 

<<Du erinnerst dich.>>, sagte er in die Stille rein und automatisch fielen meine Augen zu. Luftholend blickte ich wieder auf und versuchte jetzt die Wut, die in mir aufkam, zu unterdrücken. 

<<Du wusstest es? Wie lange schon?>>, fragte ich und sah in das hellblau seiner Augen. 

<<Von Anfang an. Ich habe dich in der ersten Minute, als ich dich wieder gesehen habe erkannt. >>

<<Wieso hast du nichts gesagt? >>, fragte ich ihn aufgebracht. 

<<Weil du dich an nichts erinnern konntest und glaub mir nach dem, was wir dort erlebt haben, ist das auch besser so. >>, sagte er und steckte seine Hände in die Hosentasche. 

<<Du hattest kein Recht, mir so etwas vorzuenthalten. >>, sagte ich wütend. <<Das war nicht richtig. Es war nicht richtig, was du gemacht hast. >>, sagte ich und wurde lauter. 

<<Nicht richtig? >>, sagte er lachend und wurde plötzlich auch wütend. <<Was ist schon richtig in dieser scheiß Welt? Das was wir erlebt haben war nicht richtig. >>, schrie er und kam mir näher. <<Du hast das Glück, dich nicht mehr daran zu erinnern. Nicht jede Nacht Alpträume zu haben wie wir. Du weißt nichts mehr. Weißt du, wie viel Glück du hast?  Du hast einen guten und leichten Weg genommen. >>, sagte er und war jetzt genau vor mir. 

<<Du denkst, ich habe Glück, weil ich nichts mehr weiß? >>, schrie ich ihn an und konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr er sich irrte. <<Nur weil ich alles verdrängt habe, heißt es nicht, dass ich weder alles vergessen habe, noch dass ich keine Spuren körperlich und seelisch, davon trage. >>, schrie ich ihn an. 

<<Weißt du, was das für ein Gefühl ist, die ganze Zeit eine Leere in dir selbst zu spüren, ohne den Grund davon zu kennen. Weißt du, was das für ein Gefühl ist, durch das Leben zu gehen, während du dich an zwei fucking Jahre deines Lebens nicht mehr erinnern kannst? Aber dafür jeder um dich herum mehr, als du selbst weißt und es dir dann auch noch verheimlicht, mit der Begründung, dass es das beste für einen wäre? Wenn du so große Lücken hast, dass jede Kleinigkeit eine Panikattacke auslösen kann, dass bei der kleinsten Sache dein Leben sofort auf dem Kopf steht. Dass du zitternd, aufgelöst und komplett gefickt da stehst und immer noch keine Ahnung hast? Wenn du weißt, dass du etwas fühlen musst, dein Kopf es weiß, du dich aber an nichts erinnern kannst und deshalb nichts spürst. Nicht fühlen kannst?

 Weißt du, wie das ist, wenn alles auf dich einbricht, eine Erinnerung dich einnimmt und du jeden Moment wieder und doch so neu in Erinnerung durchleben, durchdenken und durchmachen musst. Kennst du das Gefühl, dass du weißt, du fürchtest dich vor der Dunkelheit, aber keine Ahnung hast wieso? Wenn du sogar alles verdrängst, dass du dich nicht mal an den Tod deiner eigenen Mutter, wo du mit dabei warst, nicht erinnerst? Kennst du diese Ungewissheit, die stets ein Begleiter von dir ist, weil du nicht weißt, wer dir helfen oder wer dir schaden will? Weißt du, wie die Ungewissheit an dir nagt und dich Stück für Stück zerstört? Weißt du, wie es ist, wenn man mit dir spielt wie mit einer verfickten Maus? Kennst du all diese Gefühle? >>, fragte ich laut

 <<Du kennst es nicht und kannst es dir auch nicht vorstellen, aber das ist nicht das Schlimme. Das schlimmste ist dass du denkst das ich Glück habe, weil ich mich an nichts mehr erinnern kann. >>, hysterisch lachte ich auf. <<Niemals solltest du Traumas miteinander vergleichen. Niemals solltest du dir das Recht raus nehmen, es zu vergleichen oder gar zu sagen, etwas zu verdrängen wäre der leichtere und gute Weg. Denn nichts auf dieser Welt ist leicht. Jeder opfert und nimmt. Ich weiß nichts. Es ist nicht ein Filmriss für nur zwei Stunden, sondern zwei Jahre. Lass es dir auf der Zunge zergehen. Zwei Jahre. >>, schrie ich ihn an. <<Ich stehe hier im Wasser allein und ich weiß nichts. Ich muss euch allen so viel Vertrauen entgegenbringen… so viel Vertrauen, weil ich nichts Weiß. Ich suche und suche, doch ich weiß nichts mehr. Mir wird immer nur ein Stück hingeworfen. Immer nur ein Puzzleteil, das ich einzeln und langsam zu einem großen Bild zusammensetzen muss, doch ich kenne weder das Bild noch kenne ich den Ansatz. Einmal bekomme ich ein puzzlestück von der Ecke rechts unten, dann von der Mitte und einanderes mal von links oben. Wie soll das funktionieren? Wie? Es ist einfach ein ekelhaftes Gefühl, auf andere angewiesen zu sein. In den Mund von anderen zu schauen, zu warten und vertrauen zu müssen. >>, sagte ich und sah Daniel direkt in die Augen. 

<<Du hast recht. >>, sagte er stockend.<<Es tut mir Leid. >>, erwiderte er und sah mir tief in die Augen. Das Hellblau so intensiv, dass aus meinem Inneren ein Wunsch aufkam. Ein Wunsch, ihn zu umarmen… 

<<Ich habe nicht daran gedacht, dass du dich so fühlen könntest. Ich dachte wirklich nur dass du alles vergessen hast.  >>, sagte er und wischte über meine Wange. <<Bitte Wein nicht. >>, flüsterte er sanft und erst durch Daniel merkte ich überhaupt, dass mir Tränen an den Wangen runter liefen. Er trat näher und schlang seine Arme um mich. Wimmernd nahm ich ihn ebenfalls in die Arme. Sein leichtes, kindliches Lächeln noch vor meinen Augen. 

<<Was genau ist hier unten mit uns beiden passiert Daniel? >>, fragte ich leise in seine Schulter rein und fing leicht an zu zittern. Während ich fester in seine Schultern griff.

Plötzlich ertönte ein raues räuspern und ich sah auf. Direkt in zwei Augenpaare.














Lost Part of a Puzzle - MY HEART IS ON FIRE🔥-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt