Kapitel 92

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🌌 LESENACHT TEIL 6 🌌

Lukas

Mit einem Seufzen fuhr mein Blick über die Richterin, die ziemlich jung wirkte, während ich mir die Fenster genauer ansah und sofort erkannte, dass die Fenster aus Panzerglas waren, doch auch die vielen Beamten mit Waffen stachen mir sofort ins Auge.

Die Vor- und Nachteile eines Strafsaals. Zu meiner rechten Seite entdeckte ich unseren neuen Anwalt, in seinem Anzug und der schwarzen Robe.

Noch immer standen meine Haare ab, als ich daran dachte, wie sehr meine kleine Schwester gelitten hatte. Wie sehr es sie doch zerriss. Frustriert schloss ich die Augen und wusste genau, wieso ich jede Nacht gebetet habe. Ich wusste genau, wieso ich nicht wollte, dass sie sich daran erinnert.

Selbst Felix's Blick ging mir nicht mehr aus dem Kopf und ich empfand Mitleid mit ihm und Ewan. Dass beide den Tod ihrer Eltern miterleben mussten, hörte sich grausam an. Grausam, brutal und herzzerreißend. Ich verstand sie. Beide.

Aber Hava hatte recht. Etwas stimmte hier nicht, einer log. Es gab eine Geschichte zu der ganzen Sache. Ich wusste es. War mir sogar ziemlich sicher.

Das erste Mal in meinem Leben bekam ich Zweifel und das erste Mal hatte ich sie gegenüber meines Vaters. Das traurige daran war, dass meine Zweifel stark sind und es fühlte sich wie verrat an, denn wenn es eins gibt, was in allen sechs Clans die oberste Wichtigkeit hat, ist es die Familie und die Loyalität. Dass ich hier stand und Zweifel hatte... an meinem eigenen Vater war beschämend und doch richtig, denn schließlich sollte man in diesem Leben niemandem vertrauen.

Auch wenn es komisch war, so verworren zu denken, wusste ich genau was ich tat, denn auch wenn Hava sich nicht mal vorstellen konnte, dass unser Vater eine Fliege töten konnte, wusste ich wler er wirklich war. Ich kannte ihn und wusste wer er war und was er sein konnte...

Troztallem ist er ein Mafiosi. Ein Anführer. Ein Killer.

Ohne Angst.

Ohne Reue.

Ohne Scham.

Ich kannte unseren Vater besser als Hava und auch wenn ich anfangs selbst geblendet von meinem eigenen Verlust war. Geblendet von Daniel und auch von meinem Vater wusste ich jetzt, dass Hava recht hatte und etwas nicht stimmte, denn die Fakten stimmten nicht überein.

Auch wenn ich anfangs es nicht mal hören wollte und selbst mit dem Tod meiner Mutter zurechtkommen musste, mit der Tatsache zurechtkommen musste, dass Hava deshalb erst verschwunden und dann weggeschickt wurde. Wusste ich jetzt doch, dass es eine Möglichkeit dafür gab, dass die Hills recht haben könnten.

Nie hat Hava diese dunkle Seite an unserem Vater gesehen. Nie erlebt. Nicht einmal hat sie mitbekommen, wie grausam er sein kann. Wie schlecht und zerstörerisch. Es war kaum zu glauben, aber mein Vater hatte zwei Seiten. Eine helle, strahlende und liebevolle Seite und andersherum eine schwarz triefende, dunkle und grausame Seite. So liebevoll die eine Seite ist, desto grausamer ist die andere.

Es ist nicht unbedingt ein Gleichgewicht, eher pickt mein Vater sich ein paar Menschen, die er liebt raus und zeigt ihnen und nur ihnen die helle, gute Seite. Alle anderen bekommen die dunkle und gewalttätige Hälfte zu Gesicht.

Die Gruselige und sadistische Ader breitet sich aus und lässt jeden erstarren vor Angst und auch vor Respekt. Nur ich habe beide Seiten kennengelernt. Nicht mal meine Mutter kannte diese andere Hälfte und Hava kennt sie erst recht nicht.

Dachte ich jedenfalls...

Ich kannte meinen Vater und wusste zu was er fähig sein konnte und auch wenn ich gerne sagen würde, dass die Hills lügen und ich meinem Vater gegenüber das vollste Vertrauen habe, konnte ich das nicht. Vor allem nicht, wenn es um die Sicherheit und das Leben meiner Schwester ging. Nicht wenn ich es wirklich in Betracht ziehen konnte, dass er vielleicht hinter der Entführung stand.

Aber würde er sowas seiner eigenen Tochter antun?

Ich wusste es nicht, denn schon damals, als er mir sagte, wir würden sagen, dass Hava auf einem Internat ist, als er sie weggeschickt hatte, kam mir alles so seltsam vor.

So seltsam...

Alleine, dass es keine Aufnahmen gab, dass es niemand bezeugen konnte und es nicht mal mehr einen Tatort gab. Dass alles wirklich alles weg war. Nichts existierte mehr. Keine Leichen. Keine Blutspuren. Kein Van. Nichts...

Es war verstörend gewesen. Alles war plötzlich weg. Wie, als ob es nie existiert hätte. Als ob meine Mutter und auch meine Schwester niemals existiert hätten.

Nie wurde die Leiche meiner Mutter gefunden und die einzige Person, die bezeugen konnte, dass sie tot war, war Hava, denn die Geräusche und die Schüsse hatte mein Vater mitbekommen, aber nicht gesehen...

Noch immer war ich mir unsicher, da mein Gefühl mir sagte dass hier etwas gewaltig schief lief und wir alle getäuscht wurden und doch fragte ich mich wirklich, ob er all diese liebe Hava gegenüber immer nur gespielt hatte?

Egal was es letztendlich war. Eins war sicher. Ich würde auf sie aufpassen und ihr helfen, diejenigen zu finden, die für diese zwei Jahre, in denen mir meine Schwester genommen wurde, verantwortlich waren.

Ich würde mich vor jeden für sie stellen, selbst gegen meinen eigenen Vater. Egal wie schwer es sein würde. Ich war ihr Lieblings Mensch und sie meiner.

Komme was wolle.

Die Hintertür wurde geöffnet und ich sah, wie mein Vater mit Handschellen an den Händen rein kam. Das Braun seiner Augen, die identisch mit meinen Braunen sind, glühte vor Intensität . Stumm nickte er mir zu und das war sein Hallo an mich. Nicht mehr und auch nicht weniger. Nur manchmal zeigte er mir seine Liebe, aber ich hatte mich längst daran gewöhnt. Er hatte seine eigene Art und Weise, seine Liebe zu zeigen. Bei mir jedenfalls.

Er setzte sich hin und die Richterin fing an. Nur mit halbem Ohr hörte ich zu, denn gedanklich war ich noch immer bei Hava. Vor allem da nur Felix und ich bei ihr waren, als sie den Zusammenbruch hatte. Ich wusste nicht genau, was da unten vorgegangen war und Felix auch nicht, denn Ewan hatte wohl noch nie mit jemandem darüber gesprochen und von Daniel fing ich erst gar nicht an, denn er hatte noch nie ein Wort darüber fallen lassen. Alle drei waren zur selben Zeit da unten. Eine von ihnen konnte sich an nichts mehr erinnern und zwei von ihnen schwiegen alles Tod. Sprachen nicht davon. Sondern schämten sich...

Was das alles jetzt für ihre Ehe bedeutet, wusste ich nicht, aber wahrscheinlich kamen jetzt die schweren Tage...

Denn eine sehr große, schwere und bedrückende Frage lastete auf ihren Schultern.

Die erste lautete: War wirklich unser Vater für den Tod von Ewans Eltern verantwortlich?

Und die zweite lautete: Hat wirklich unser Vater Hava entführen lassen...?

Zwei unangenehme und schwere Fragen, die vieles kosten würden, denn Hava die Vorstellung, ihren perfekten Helden zu nehmen, war schwerer als alles andere. Fast unmöglich.

Niemals würde sie es auch nur in Betracht ziehen, dass unser Vater dafür verantwortlich sein könnte.

Jetzt würden wir sehen, wie das ganze laufen würde. Wie echt diese Liebe zwischen Ewan und Hava und vor allem, wie stark sie ist und sein wird.

Die Tür wurde geöffnet und der verschollene Wichser, der den Laster gefahren hatte, kam rein und würde Aussagen. Es war schwer gewesen ihn zu finden, er wurde gut versteckt, doch dank Daniels und Mr. Harris Hilfe wurde es leichter.

Der Fahrer war der Schlüssel, der meinen Vater zur Freiheit bringen würde.

Zur Freiheit...

<<Freispruch auf Kaution. >>, hörte ich die Richterin rufen und den Hammer schwenken, als ich tief Luft holte und meinen Vater musterte. Ein schmales Lächeln war auf seinen Zügen zu sehen, als der Hammer das Holz traf und alle Aufstanden.

Mein Vater war frei. Endlich Frei.

Frei...

Und nun wusste ich nicht mehr, ob das gut oder doch schlecht war...





Lost Part of a Puzzle - MY HEART IS ON FIRE🔥-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt