Blickwinkel

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Kapitel 61

Blickwinkel

Perspektive, aus der man etwas betrachtet


Draco saß auf den Plastikstühlen gegenüber der Behandlungstür als Hermione den Arztraum verlies. Er hatte die Unterarme auf den Oberschenkeln abgestützt und starrte vor sich hin. Es dauerte nicht lange bis er sie bemerkte und aufstand. Draco kam ein paar Schritte auf sie zu, blieb dann jedoch etwas unsicher stehen, als sie sich nicht weiterbewegte.

„Alles okay?", fragte er und Hermione presste die Lippen zusammen. Nein, nichts war okay. Sie fühlte sich fürchterlich. Mit zwei großen Schritten war sie bei ihm und drückte sich an seine Brust. Sie vergrub ihre Nase in seinem Shirt und klammerte sich an ihm fest. Tief atmete sie seinen vertrauten Geruch ein und kämpfte gegen die Tränen.

„Halt mich nur fest", wisperte sie und spürte seine starken Arme, die sie umschlossen. Er fuhr ihr beruhigend über den Rücken und sie schwor sich, dass sie das nie, nie wieder tun würde. Es war das erste und letzte Mal gewesen.

Hermione wusste nicht warum sie letztendlich zugestimmt hatte sich untersuchen zu lassen. Vielleicht weil es ihre Mutter war und egal wie oft sie mit ihr gestritten hatte, wie oft sie ihr auch widersprochen hatte, letztendlich war sie ihr dankbar für ihre Sorge. Wusste, dass sie trotz aller Probleme immer um sie gekämpft hatte. Ihre Mutter liebte sie, dass wusste sie, doch ihre Liebe war nicht das Beste für sie. War es nie gewesen.

Ihre Mutter hatte gesagt, dass die Ärztin nur einen kurzen Blick auf sie werfen würde. Hermione hatte dem wider besseren Wissens zugestimmt. Die Untersuchung, die daraufhin gefolgt war, war eine der am meisten demütigenden Erfahrungen gewesen, die sie jemals gemacht hatte. Es war keine körperliche Demütigung gewesen. Sie hatte keine Probleme damit gehabt, dass sie sich hatte ausziehen müssen und jemand ihren Körper begutachtet hatte. Die Demütigung war mehr in ihr drinnen, viel persönlicher und emotionaler.

Die Ärztin, die sie untersucht hatte, hatte ihren nackten Körper gesehen und hatte jede Stelle genau untersucht. Sie war behutsam vorgegangen und es wäre auch nicht so schlimm gewesen, wenn sie nicht, nachdem sie ihren Genitalbereich untersucht, hätte plötzlich Abstriche gemacht hätte. Sie hatte plötzlich begonnen ihre Verletzungen zu dokumentieren und sie gefragt, ob der Mann, der ihr das angetan hatte, festgenommen worden war. Ob sie Anzeige erstatten wollte und Hermione war im ersten Moment vollkommen überrumpelt gewesen.

Dann hatte sie die Untersuchung abgebrochen. Hatte angefangen sich wieder anzuziehen und die Ärztin hatte versucht ihr ins Gewissen zu reden. Ihr gesagt, dass kein Mann das Recht hatte über ihren Körper zu bestimmen. Dass sie sich wehren musste, dass es nicht ihre Schuld war, dass sich jemand an ihr vergriffen hatte.

Hermione hatte das nicht hören wollen. Sie wollte nicht wie ein Vergewaltigungsopfer behandelt werden. Denn sie war es nicht. Sie hatte versucht das der Frau klarzumachen. Hatte ihr gesagt, dass sie nicht missbraucht wurde, dass sie keine Anzeige machen wollte. Die Ärztin hatte sie nur mit so einem widerlichen, wissenden, mitleidigem Blick angesehen und gesagt sie würde alles aufheben, falls sie es sich anders überlegen wollte.

Hermione war wütend gewesen, wütend und verletzt und dann war ihre Mutter reingekommen und hatte mit der Ärztin gesprochen. Wie erstarrt hatte sie hinter der Absperrwand gesessen, um sich anzuziehen und der Unterhaltung gelauscht.

Hermione glaubte nicht jemals etwas so Abwertendes gehört zu haben. Wie die Ärztin ihrer Mutter in kurzen präzisen Sätzen berichtet hatte, dass sie Samenproben entnommen hatte, dass sie Hämatome durch Vaginal und Analverkehr hatte. Sie hatte ihr von den Verletzungen von Schlägen und Bisswunden erzählt und Hermione hatte atemlos dem Gespräch gelauscht und es hörte sich nicht so an, als würden sie über sie sprechen. Es war, als würde ihre eigene Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung ihrer Umgebung vollkommen auseinanderklaffen. In dieser Beschreibung hörte sich ihr Körper widerlich und abartig und missbraucht an. Aber sie fühlte sich nicht so. Sie fühlte sich gut und geborgen. Unweigerlich konnte sie sich der Frage nicht erwehren, woher diese falsche Wahrnehmung kam. War es ihre eigene Wahrnehmung, die so gestört war oder die Wahrnehmung der Menschen um sie herum. Sie hatte auf der Liege gesessen und darüber nachgedacht, bis die Ärztin ihr gesagt hatte, dass sie den Raum für den nächsten Patienten brauchte.

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