Vorgeschichte

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Mein Körper fühlte sich an wie Gummi. Ich spürte wie jemand meinen Arm etwas nach oben zog, um meinen Körper zum Aufstehen zu bewegen, doch ich blieb am Fließenboden sitzen. Mein Blick war immer noch verschwommen und ich konnte kaum etwas sehen. Briseis ließ meinen Arm wieder los, der nun schlaff zu Boden sank. Ich spürte, wie sie ihre Hände auf meine Schultern legte und mich leicht zu schütteln begann. 

„Miriam, komm wieder zu dir." Mit einem Mal wich dir Taubheit aus meinem Körper und das schwere Gefühl kehrte zurück in meine Brust. Mit dem erwachen meines Körpers kehrte allerdings auch der Ekel wieder zurück. Er hat mich schon wieder angefasst.

Auch wenn ich es irgendwie geschafft hatte zu entkommen, so war dennoch schon allein der Gedanke an seine Berührungen und Küsse genug um mich erneut zum verzweifeln zu bringen. Langsam wurde mein Blick wieder klarer und ich erkannte wie Briseis sich etwas begann zu entspannen.

„Miriam?" Mehr sagte sie nicht, doch es schien alles in mir zu lösen. Mein Körper begann zu zittern und dicke Tränen liefen meine Wange hinunter. Ich fühlte mich einfach so schmutzig. Leise hatte ich begonnen zu schluchzen und zu wimmern. Mein Körper begann etwas nach vorne zu sinken, doch Briseis kam mir sofort entgegen und stützte mich mit ihrem Körper. Ich legte meine Arme um sie und hielt mich hinten an ihrem T-Shirt fest, dann begann ich laut zu weinen. Briseis schloss mich in eine festere Umarmung und hielt mich so fest. Eine ganze Weile hockten wir so am Boden der Toilette. Irgendwann hatte ich dann alle meine Tränen aufgebraucht. Briseis strich weiterhin beruhigend über meinen Rücken. 

„Geht es wieder?" Ihre Stimme war ganz leise und klang beinahe etwas tonlos. Es tut mir leid.

Ich nickte und löste mich wieder von Briseis, die mich immer noch besorgt ansah, doch ich versuchte zu lächeln und sie zu beruhigen.
Lüg mich nicht an.

Mein Lächeln erlosch. Gabriel Stimme riss einen neuen Spalt in meine Brust. Gabriel ich brauche dich, jetzt.

„Komm lass uns erstmal von hier verschwinden." Briseis war nun aufgestanden und hielt mir eine Hand hin. Zögerlich begann ich meine Hand ebenfalls auszustrecken und in ihre zu legen. Mit unserer gemeinsamen Kraft hoben wir mich von dem Boden ab. 
Einige Minuten später waren wir aus der Schule draußen. Wir hatten kein weiteres Wort gesprochen und ich spürte deutlich das etwas Anspannung in der Luft lag.

„Willst du darüber reden?" Fragte Briseis als wir im Bus saßen. Wir waren alleine im Bus.

„Eigentlich nicht." Etwas an Briseis Gesichtsausdruck veränderte sich in diesem Moment, doch ich wusste nicht genau was. Eine Weile blieb es noch still.

„Hast du Lust noch etwas zu mir zu kommen?" Ich sah sie etwas verwundert an, doch sie begann nur seicht zu lächeln.

„Ich dachte nur du hast vielleicht keine Lust jetzt nach Hause zu gehen." Komischer weiße hat sie wirklich recht.

„Ja, okay." Ich versuchte wieder zu lächeln, doch sofort hallte Gabriels Stimme wieder in meinem Kopf.

Lüg mich nicht an. Erst recht nicht wie du es sonst bei Menschen machst.

Ich musste wieder wegsehen. Es ist zwar schon einige Zeit vergangen seit Ostern und dennoch...Ich kann ihn einfach nicht vergessen. Nicht nur weil sein Kind gerade in mir heran wächst. Jeden tag gibt es mehr als nur einen Moment, in dem ich an ihm dachte. Ich kann mich noch genau an jedes Detail erinnern. Seine helle Haut, die silbernen Haare mit den weißen Spitzen und sein schmale, dennoch aber mächtige Gestallt. Ich hatte es mir zwar nicht eingestehen wollen, als ich ihn noch nahe sein konnte und jetzt konnte ich es nicht mehr verdrängen, denn ich bin absolut und unwiderruflich in Gabriel verknallt. Jeder Tag rammt mir allerdings mehr und mehr Risse und Schnitte in meine Brust.
Nach ein paar Minuten gelang es mir wieder mich zu beruhigen und ich wand meinen Blick erneut Briseis zu. Sie sah starr und nachdenklich nach vorne. Was sie wohl beschäftig? - Wieso fragst du eigentlich so blöd? Dir muss doch eigentlich klar sein, was sie nun beschäftigt. 

Briseis schien zu bemerken, dass ich sie anschaute, doch sie reagierte nicht darauf. Sie starrte weiterhin gerade aus.

Nach weiteren zehn Minuten stiegen wir aus und machte uns auf den Weg zu Briseis nach Hause. Die Sonne brannte an diesem Tag trotz der noch relativ frühen Zeit stark auf meine Schultern. 

„Wirst du mir eigentlich irgendwann mehr erzählen." 

Du wirst mir nicht mehr erzählen warum du das vorher gemacht hast oder?
Lass mich doch endlich in Frieden.

„Es ist um einiges komplizierter, als du es dir vielleicht vorstellst."

„Du bist wirklich verschwiegen...Hast du eigentlich schon mal daran gedacht, dass es dir vielleicht besser geht, wenn du mit jemanden sprichst?" 

„Ja, doch wie gesagt, es ist kompliziert." Plötzlich spürte ich eine Hand auf meine Schulter. Ich blieb stehen und sah zu Briseis. Sie war ebenfalls stehen geblieben und sah mich nun an. Ich konnte sehen, wie sie den Mund öffnete, um etwas zu sagen, doch dann schloss sie ihn wieder. Sie atmete einmal tief ein und begann dann erneut einen Versuch zu sprechen:

„Ist dir so etwas wie vorhin schon einmal passiert?" Ich nickte.

„Nicht genau so, doch man könnte eigentlich mit ja antworten." Plötzlich kam Briseis näher und ich erschrak, als Briseis Arme sich um mich schlangen. Wie ein Zinnsoldat stand ich nun da. Ich war sichtlich überfordert mit ihrer Reaktion. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie nun versuchen würde abstand zwischen uns zu bringen. 

„Es tut mir leid." Diese Worte verwirrten mich, doch ich hätte nie erwartet, was sie dann als nächstes zu mir sagte.

„Das hast du nicht verdient."

„Es hat eigentlich alles mit der Scheidung von Ninas Eltern angefangen." Briseis und ich saßen auf ihrem Bett, uns im Schneidersitz gegenüber und sie hörte gespannt zu.

„Wir waren früher alle befreundet, also Nina, Sarah und ich. Wir hatten uns durch einen Tanzkurs in der Volksschule kennengelernt..." So erzählte ich Briseis die ganze Geschichte. Wie Nina sich von uns gelöst hatte, aus irgendeinem Grund begann groll gegen mich zu hegen und wieso sich schließlich auch Nina gegen mich gestellt hatte. Ich erzählte ihr auch von der Vergewaltigung, doch mit so wenig Details wie möglich.
Nach einer schier endlosen Zeit hatte ich meine halbe Lebensgeschichte zu Ende erzählt. Ich hatte Briseis die ganze Zeit genau gemustert und mir war natürlich nicht entgangen, wie ihre Augen begonnen hatten zu glitzern und sich langsam mit Tränen zu füllen, als ich meine Gesichte dann beendet hatte begannen Briseis Tränen zu fließen. 
Sofort lehnte ich mich zu Briseis nach vorne und nahm sie etwas unbeholfen in den Arm. Gott ich wollte doch nicht, dass sie weint.

„Hör bitte auf zu weinen." Doch ich spürte, wie ihre Tränen weiter liefen.

„Es tut mir so leid." 

„Du musst dich nicht entschuldigen. Es ist ja nicht deine Schuld" 
Es dauerte eine ganze Weile, doch irgendwann hatten wir uns Beide wieder gefangen und konnten wieder sprechen ohne in Tränen auszubrechen.
Wir hatten uns etwas nach unten gesetzt und den Fernseher eingeschaltet. Wir hoffenden, dass irgendeine Sinn freie Sendung uns etwas auf andere Gedanken bringen würde. Allerdings war das Niveau der Sendungen um diese Zeit so niedrig, dass wir dann doch lieber den Fernseher ausschalteten. Irgendwann kam Briseis dann mit einem Vorschlag.

„Lass uns doch zur Abwechslung über etwas, keine Ahnung, Sinn freieres sprechen." Ich legte meinen Kopf schräg und sah sie etwas misstrauisch an.

„Und an was hättest du da gedacht?" Briseis begann zu überlegen. 

„Ich weiß nicht." Sie drehte sich auf dem Sofa etwas weiter zu mir.

„Ich weiß das dein „Freund" bei dir ein etwas heikles Thema ist, aber kann ich dich dennoch etwas über ihn fragen?" 

„Hatten wir nicht heute schon mehr als genug Dramen?" Ich sagte es zwar etwas scherzhaft, doch Briseis verstand was ich meinte.

„Schon...aber ich bin halt so unsagbar neugierig." Sie lächelte mich schelmisch an. Das kann ja noch was werden.

„Nun gut. Was willst du wissen." Sie begann breiter zu strahlen.

„Okay. Also...Erzähl doch mal. Wie war der Typ so. Aussehen, Charakter, ich will alles wissen." In dem Moment kam ich mir vor wie ein Mädchen in einem einfachen Teenagerdramer. 

„Ähm, also...er war irgendwie...eigenartig." Briseis sah mich leicht Stirnrunzeln an. Ich musste dabei leise kichern.

„Er war irgendwie,...so ganz anders. Ich habe zwar nicht so viel Erfahrung mit Jungs, doch irgendetwas an ihm war einfach...ganz anders. Es war die Art, wie er mit mir sprach und sich mir gegenüber verhielt. Er schien sich wirklich für mich zu interessieren und hielt mich nicht für einen Sonderling." Wäre auch komisch, wenn man bedenkt was seine Vorgeschichte ist.

„Wenn ich mit ihm zusammen war erkannte er sofort, wenn ich log. Ich hatte immer das Gefühl, dass er in mir lesen konnte, als wäre ich für ihn ein offenes Buch." Briseis kuschelte sich etwas mehr in das Sofa, wie ein kleines Kind, das einer Geschichte lauschte. Ich musste etwas lächeln und erzählte bereitwillig weiter.


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