Tage

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„Na! Hattest du auch schöne Ferien Miriam?" Ich hasste den Klang ihrer Stimme, sie rief pure Wut in mir hervor. Keuchend sah ich zu Nina. Sie war ebenfalls wütend. Sarah stand etwas dahinter und so genau konnte ich ihren Blick nicht deuten. Ich schwieg während der ganzen Zeit. Nina schien genervt.

„Willst du dieses Jahr auch wieder schweigen? Es wird dir nicht helfen und meine Achtung vor dir sinkt auch mit jeder Sekunde." Trotz ihrer provozierenden Worte blieb ich still. Sarah begann mich zu mustern und ich konnte sehen, wie es begann in ihrem Kopf zu rattern.

„Nun sag was Schlampe." Mit eiligen Schritten trat sie noch näher an mich heran und packte mich an meinen Haaren. Ich versuchte ihr auszuweichen, doch mein Blick begann wieder mehr zu verschwimmen und meine Glieder zuckten. Sie zog mich näher zu sich und blickte mir hasserfüllt in die Augen.

„Ich weiß nicht was damals im Klo in dich gefahren ist, doch du scheinst jeden widerstand wieder verloren zu haben. Schade eigentlich ich hätte dich gerne auch noch ein zweites mal gebrochen." Sie krallte ihre Hände fester in meine Haare und zog noch einmal richtig daran. Ihr Lachen hallte durch den leeren Gang. Energisch und beinahe angewidert schubste sich mich von sich weg, erneut gegen die Wand. Ich knurrte bei dem aufschlagen gegen die harte Wand. In meinem Rücken bildete ich mir ein ein knacken zu hören.

„Widerlich." Erneut kam sie zu mir und hob meinen Kopf an. Sie wird aufhören, wenn ich mich nicht wäre. 

„Willkommen im neuen Schuljahr." Mit einer beinahe beiläufigen Bewegung trat sie mir gegen mein Bein. Es begann stark zu schmerzen und ich wollte den Kopf nach hinten reißen, doch Nina ließ mich nicht. 

„Deine Freundin kann dir auch nicht helfen." Meinen Kopf stieß sie erneut gegen die Wand. Ich hörte ihre Schritte und sah mit verschwommen Blick, wie die Beiden die Treppen hinunter liefen. Erleichtert, dass es so schnell vorbei war, atmete ich aus, blieb aber noch ein paar Minuten liegen und wartete bis sich mein Blick etwas klärte. Zum Glück bin ich nur mit den Rücken aufgeschlagen.
Minuten vergingen, ehe ich mich langsam daran machte wieder aufzustehen.
Mein Fuß schmerzte bei jedem einzelnen Schritt und mein Rücken schien sich auch den ganzen Heimweg zu beschweren. So gut es ging versuchte ich zu laufen und mir nichts anmerken zu lassen, vor allem als ich aus dem Bus stieg. Müde und wie immer, nach einem Schultag eigentlich, den Tränen nahe lief ich meinen üblichen Heimweg. An der Gabelung, an der sich Briseis und ich immer getrennt hatten blieb ich für einen Moment stehen. Ich sah in ihre Richtung und mir wurde das Herz schwer in der Brust. Warum war sie ausgerechnet heute nicht da? Ich hätte sie wirklich gebraucht...

Schnell fing ich herunter fallende Tränen ab und begann weiter in Richtung meines Heimes zu laufen. Es hatte den ganzen Tag eigentlich nur etwas gerieselt, doch mit einem Mal brachen über mir die Wolken in Tränen aus. Ich wurde unter einem Meer von spitzen Tropfen begraben, doch ich begann nicht schneller zu laufen, eher ließ ich die Tropfen ungehindert auf mich nieder regnen. In der stillen Hoffnung sie würden mich wie ein Dusche reinigen, doch die Kleidung begann nur schwer mit der Zeit sich an meine Haut zu legen und meine Haare wurden von Tropfen niedergedrückt. Selbst der Himmel beginnt schon um mich zu weinen...

Die nächsten Tage, oder besser die ganze Woche verging nur schleppend. Ich begann mich wieder mehr in meinen Zimmer zu verstecken und alles was Briseis und Gabriel/Lucifer aus mir geholt hatten, verkroch sich nun wieder tief in meinem warmen Körper. Legte sich schlafend neben mein kleines Kind. 

Dienstag...

Ich verschlief und verpasste meinen Bus. Eine Stunde später als sonst, also mitten in der ersten Stunde schaffte ich es erst in die Klasse. Alle saßen bereits an ihren Plätzen und erhoben ihre Köpfe, als ich vorsichtig und langsam die Tür öffnete. Nina konnte sich ein lächeln nicht verkneifen. Sarah sah mich verachtend an. 

„Tut mir leid...ich hab verschlafen." Mein Klassenvorstand nickte und gab kein weiteres Kommentar dazu ab, da er wusste, dass ich sonst nicht zu spät kam. Schnell schlich ich mich, trotz der Blicke die sich durch meinen Körper bohrten, auf meinen Platz. Die Reihe, noch immer leer. Briseis war auch heute nicht gekommen. Ganz allein kämpfte ich mich durch den Tag. 

Allein bei den Spinden zurück gelassen stieß Nina wieder meinen Kopf gegen die dünne, blecherne Tür. Sie trat wieder gegen meinen Fuß, den selben wie auch gestern. Mit einer Hand packte sie mich am T-Shirt und ließ mich zu Boden stürzten. Ich schrie, als ich auf mein Bein fiel. Es brannte und begann zu pochen. Nina lachte. Sarah kniff die Augen zusammen. Hast du etwa Mittleid mit mir? Zu spät...

Jeder Schritt schmerzte auch heute. Auf meinem Bein begannen sich die blauen Flecken zu sammeln. Es fühlte sich warm an und tat nun bei der kleinsten Bewegung schon weh. Ich erzählte niemanden davon. Briseis meldete sich auch nicht. Wie früher weinte ich alleine in meinem Zimmer und unter der Dusche. Ich hasse es!

Mittwoch...

Es regnete nun schon am Morgen. Meine Mutter stand an dem Tag mit mir auf. Ich versuchte so gut es ging zu lächeln. Sie fuhr mich mit dem Auto zur Schule. Ich lauschte ihr während der Fahrt und wenn sie gerade nicht sprach, dann hörte ich den dumpfen, manchmal knacksenden Worten des Moderators zu, dessen Stimme aus den kleinen Lautsprechen des Radios drang. Anscheinend bin ich immer noch kein Fan des Radios.

Als ich aus dem Auto stieg wünschte mir meine Mutter einen schönen Schultag und gab mir einen Kuss zu abschied. Ich blieb noch am Straßenrand stehen und winkte, bis das Auto in der ferne verschwand. Wieder war ich allein. 
Im Klassenzimmer befand sich wieder keine weitere Person. Langsam vereinsamend setzte ich mich in die Ecke der ersten Reihe. Ich kramte mein Handy aus meiner Tasche. Keine Nachrichten. Kein Anruf. 

Stundenlang brannten sich wieder Blicke in meinen Rücken. Erneute Blicke gegen meinen Kopf und das Bein, den Bauch schützte ich um jeden Preis. Miriam lachte. Sarah wirkte etwas bleich, beinahe Krank. Schimpfwörter fielen. Ich antwortete nicht. Wartete nur einfach, bis sie mich wieder in ruhe ließ, dann lief ich mit wackeligen Beine nach Hause. Menschen sahen mich an, hielten mich vielleicht für betrunken oder auf Drogen. In meinem Zimmer brach ich dann wieder in Tränen aus.

Donnerstag...
Ich ging wieder alleine zur Schule. Der Bus kam eine viertel Stunde zu spät und ließ mich noch etwas länger im kalten Regen stehen. Durchnässt stieg ich in den, doch etwas wärmeren, Bus und fuhr den Weg zu meinem eigenen Gefängnis. All-inklusive, selbst mit der Willkür der Wärter. 
Die Scheibe des Buses war nass, weshalb man nur schlecht sah was in der Außenwelt vor sich ging. Farben verschwammen, wie bei einer Aquarellmalerei. Menschen stiegen aus und ein. Ich schenkte ihnen nicht wirklich Beachtung und kämpfte lediglich gegen Müdigkeit, die mich noch von der Nacht heimsuchte. 

Swinging in the backyard

Pull up in your fast car

Whistling my name

Open up a beer

And you say, "Get over here

And play a video game."

I'm in his favorite sun dress

Watching me get undressed

Take that body downtown

In den letzten Tagen hatte ich meinen alten iPod wieder ausgegraben. Darauf befand sich hauptsächlich noch Musik von Lana del Rey und ich hatte auch den Rest ihrer neuen Alben rauf geladen. Ihre feine Stimme passte perfekt zu meiner Stimmung und auch zu dem andauernden Regen.

I say, "You the bestest."

Lean in for a big kiss

Put his favorite perfume on

Go play a video game
It's you, it's you, it's all for you

Everything I do
I tell you all the time

Heaven is a place on earth with you

Tell me all the things you wanna do

I heard that you like the bad girls

Honey, is that true?

It's better than I ever even knew

They say that the world was built for two

Only worth living if somebody is loving you
Baby, now you do


Ich stieg aus dem Bus und trat wieder den restlichen Weg an und hielt mich zurück nicht einfach auf der Straße stehen zu bleiben, mich von dem nächsten Fahrzeug erfassen zu lassen oder einen riesigen Umfall zu verursachen, an dem Menschen vielleicht an meiner Stelle starben. 
Nina ließ auch die Pein an diesem Tag nicht auf. Diesmal schlug sie mir allerdings nicht gegen den Kopf oder das Bein. Es waren lediglich Worte, die sich in meinen Kopf brannten und Narben hinterließen, als sie begannen zu verheilen. 
Briseis war immer noch nicht in die Schule gekommen. Gemeldet hatte sie sich auch nicht. Ich traute mich nicht.


Freitag...

So etwas wie Freude kam in mir auf. Ich hatte die erste Woche beinahe schon überstanden. Geschlafen hatte ich allerdings, wie auch schon in den letzten Tagen, kaum. Es waren nicht nur die Ängste vor den folgenden Tag, sondern auch Lucifers Erinnerungen, die mich heimsuchten. Es waren teilweise schreckliche Erinnerungen. Ich hatte gesehen, wie er begann Gefühle zu entwickeln. Solche wie die der Menschen und das hunderte von Jahren, bevor ich geboren wurde. Es war ein schrecklicher Anblick, auch hinter dunklen Liedern. In meinen Träumen konnte ich spüren wie es in seiner Brust brannte, wie sein Herz begann außerhalb seiner Bestimmung zu schlagen. Einmal sank er sogar vor Schmerz zusammen. Sein Körper vertrug die Last einer Seele nicht. Mit einem Arm räumte er hunderte seiner Büchern, mit den Studien zu Boden. Keuchend kniete er auf dem Boden, bat selbst vor seinem damaligen Meister um Hilfe. Der Glaube an dieses Wesen schien damals schon zu schwinden, doch war immer noch zu stark, um sich ihm zu widersetzten. Irgendwie tragisch, auf seine eigene Art und Weise.

Sein Meister winkte jedoch nur ab. 

„Du bist meine stärkste Schaffung Lucifer, wenn nicht du, so kann keiner dieser Seuche widerstehen. Sei der erste und weise Engeln nach dir den Weg." Schon damals mochte er den Begriff Engel für Seinesgleichen nicht. In seinem Kopf wertete den Begriff etwas ab, was er für ihn alles war. Ab da an zwangen ihn immer öfter die Gefühle in die Knie. Er wurde gereizt und zuckte leicht aus. In der Nacht begannen immer öfter die Stimmen zu verfolgen. Es waren die Schreie verzweifelter Menschen, ermordet, schwer verletzt oder das Herz gebrochen. In seinen Ohren hallten die Worte und Schreie immer wieder. Die Schreie rissen mich immer wieder aus diesen Erinnerungen. 

Meine Eltern schliefen beide noch, als ich in der Küche stand und Frühstückte. Ich hatte nun wieder begonnen mehr zu Essen, da sich mein Körper schon begann zu beschweren. Als ich das Haus dann verließ stand meine Mutter gerade erst auf und ich verabschiedete mich noch schnell von ihr ehe ich verschwand. 


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