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[...]

Ich lege die Schere beiseite und gehe einen Schritt zurück, um ihn nocheinmal auf Abstand zu mustern.

"Und?", fragt Ryan während er ungeduldig auf eine Reaktion von mir wartet.
Aber es spricht nicht der Ryan von jetzt.
Die Stimme kommt von dem nervigen, tollpatschigen Jungen von damals.
Glattrasiert und die Haare nach rechts leicht abstehend.

"Die selbe Frisur wie früher.", antworte ich und wende mich ab.
Ich kann ihn nicht ansehen.
So, wie er jetzt aussieht, zeigt mir, wie sehr er sich wegen mir verändern musste.
Damals war er noch er selbst, er hat gemacht, was er wollte und hatte nur wichtige Sorgen.
Und jetzt dreht sich alles nurnoch darum, wie es mir geht- dass es mir gutgeht. Ich bin der Rollstuhl, der ihn davon abhält, aufzustehen und loszuziehen. Ich bin der Zaun, der ihn einschränkt. Ich bin die Last, die er tagtäglich mit sich trägt.
Und ich dachte immer, es wäre genau andersrum.
Ich habe es nichteinmal bemerkt.
Ich habe nicht bemerkt, dass er sich immer mehr veränderte.
Und so selbstsüchtig muss man erst einmal sein, das nicht zu bemerken, obwohl er mein einziger Kontakt über Monate hinweg war.

"Jetzt siehst du aus wie zwölf.", reißt mich Geriths Stimme aus den Gedanken und ich drehe mich um.

Ryan fängt an zu lachen und geht zu Gerith ins Wasser, um sich ebenfalls die abgeschnittenen Härchen vom Körper zu waschen.
Ich gehe zur Feuerstelle, die Gerith vorbereitet hat und zünde sie an.
Dann spieße ich ein paar Fische auf und lasse sie über dem Feuer schmorren.

"Okay, das reicht-", höre ich Gerith aus dem Wasser kommen, "Jetzt bist du dran, setz dich hin.", er zeigt auf den Platz, wo die beiden zuvor gesessen haben und der mit Haaren umkreist ist.

"Gerith-", ich seuftze, "Gib her, ich schneide sie mir schon selbst.", ich strecke meine Hand nach der Schere aus.

Er lacht, "Du denkst es wird besser, wenn du dir blind Haare schneidest, als wenn ich es tue?", er zeigt wieder auf das Plätzchen, "Kannst du vergessen und jetzt los, es wird langsam dunkel."

Wiederwillig setze ich mich schließlich doch hin und ich spüre, wie Gerith breit grinst, als meine ersten Haare auf dem Boden aufkommen.
Haare wachsen nach, Ashley.

"Wie lange willst du sie haben?", fragt er amüsiert.

"Bis zur Schulter.", antworte ich.

"Kann ja nicht so schwer sein.", mehr Haare landen um mich herum auf dem Boden und nachdem er eine Zeit lang an mir rumgeschnitten hat, kommt er um mich herum und betrachtet mich von vorne.
Dann nickt er zufrieden und steckt die Schere weg.

Ich fahre mir durch die Haare und halte einen Moment inne.

"Der Fisch ist fertig.", ich zeige aufs Feuer.
Gerith reicht mir einen und wir setzen uns ans Feuer.
Ryan kommt dann auch aus dem Wasser und setzt sich mit einem Fisch neben mich.

"Sieht gut aus.", bemerkt er beiläufig, während er eine Gräte aus seinem Mund zieht.

"Was wollen wir morgen machen?", lenke ich ab.

"Sag dus mir. Du hast immer Pläne gemacht, schon vergessen."

Ich schaue auf und er schaut mich mit einem undeutbaren Blick an.

"Okay-", ich denke kurz nach, "-wir...wir fischen, waschen die restlichen Sachen und räumen die Lagefläche auf.", ich beiße ein Stück ab.

"Hört sich gut an.", meint Gerith.

Eine Stille entsteht in der wir alle mit unserem Essen beschäftigt sind.

"Wie schlafen wir?", fragt Ryan als er fertig ist und wirft die Fischreste ins Gebüsch.

"Ich schlafe heute draußen.", Gerith steht auf und streckt sich.

"Ich kann auch draußen schlafen.", wende ich ein und betrachte den orange rosanen Himmel.

"Gut, ich geb dir noch ne Decke, hier im Schatten der Bäume ist es kälter als auf der Straße.", ignoriert Ryan mich und steht ebenfalls auf.

"Okay, ich gehe mich dann mal kurz entleeren.", er verschwindet einige Meter tief im Wald.

"Machst du das Feuer aus, es wird dunkel und wir sollten schlafen gehen.", fragt Ryan vom Truck aus.

Ich stehe letztendlich auch auf und lösche das Feuer mit ein wenig Wasser.
Dann gehe ich rüber zum Truck und helfe Ryan, Geriths Schlafplatz vorzubereiten.

"Er braucht ziemlich lange.", meint er, während wir einsteigen.

"Sollten wir nachschauen?", frage ich rhetorisch und lege meine Beine quer über Ryans Schoß.

"Nein, am Ende verlieren wir uns dann auch noch. Vielleicht braucht er einfach nur ein passendes Plätzchen für sein Geschäft.", antwortet er unnötiger Weise.

Die hohen Bäume verdecken die untergehende Sonne, wodurch es frühzeitig schon dunkel wird und ich Ryans Gesichtsausdruck nurnoch schwer deuten kann.

Ein paar Minuten später, gerade als ich mich zudecken wollte, klopft es an der Scheibe und Gerith ist zu sehen.
Ryan öffnet seine Tür, "Wo warst du so lange?", fragt er.

Ich höre ihm nicht zu, wodurch mir sein schwerer Atem auffällt.
Ich kneife meine Augen zusammen und mustere ihn.
Man erkennt nicht viel, ein paar dunklere graue Schatten auf seinem Gesicht, ein paar glitzerne Schweißtropfen auf seiner Stirn.

"...dein Bett ist gemacht."

"Okay, danke. Gute Nacht.", er winkt kurz und entfernt sich dann.
Ryan schließt die Tür.

Ich öffne meinen Mund und atme schon ein, um Ryan zu fragen, aber als ich seinen Gesichtsausdruck sehe, schließt sich mein Mund wieder automatisch.
Ihm ist nichts aufgefallen.
Er richet sich zufrieden das Kopfkissen und deckt sich zu.

"Ich bin verdammt müde.", seuftzt er halblaut.

Ich nicke leicht.

"Morgen wird ein langer Tag, wir sollten ausschlafen."

"Dann schnarch nicht zu laut.", meine ich leise und er lacht kurz auf.

"Gute Nacht Ash."

"Schlaf gut Ryan.", ich decke mich bis zur Brust zu und lasse mich in mein Kopfkissen fallen.

Just stay aliveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt