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"Du kannst es nicht.", ich drehe meinen Kopf zu ihm, sodass die Pistole jetzt genau auf meine Stirn zielt, "Du kannst es nicht, Ryan, weil du noch nie einen Menschen getötet hast."

Seine Hand fängt an zu zittern, während er versucht meinem Blick standzuhalten.

"Es ist ganz einfach-", ich schließe meine Hand um seine, mit die er die Waffe hält, "-drück ab. Denk daran wie wütend du auf mich bist. Was ich getan habe."

Ich habe abgeschlossen.
Er kann es tun, ja irgendwie freut es mich sogar, dass er derjenige ist.

Er wird unruhig und schaut nervös hin und her.

"Du hasst mi-", er reißt seine Arm von mir weg, holt aus und schmeißt die Waffe in den Abgrund.
Dann bleibt er ein paar Meter vor mir stehen.

"Nein. Nein, so einfach mache ich es dir nicht.", er lacht, "Fast hast du es geschafft. Ja, fast hast du es geschafft, dass ich dich von all dem erlöse. Sterben wäre der leichteste Ausweg, hm? Du würdest nichtmehr nachts deswegen durchdrehen, oder was auch immer mit dir los ist. Und ich würde dann alleine sein. Dann würde alles auf mir lasten. Nein, du musst es so lange wie möglich bereuen. Damit leben. Es muss dich von innen zerfressen-"

"-Damit nichts mehr übrig bleibt? Hat es schon Ryan, schon lange.", er dreht sich zu mir.
Mein Herz rast.
Ich hätte einfach nachhelfen sollen.
Seinen Finger drücken.

"Wieso hast du dich nicht schon längst umgebracht. Du hast ja kaum darauf gewartet, bis ich das tue."

"Nein.", ich suche seinen Blick, "Nein, du warst es, der mich davon abgehalten hat.", ich stehe auf, woraufhin er sich sofort umdreht und ein paar Schritte Richtung Abgrund läuft, "Weißt du noch, als wir nachts darüber geredet haben? Ich habe gesagt, dass ich noch nicht so verloren war, um mich umzubringen.", ich werde lauter und hole ihn ein. Ich packe seinen Ärmel und er dreht sich halb zu mir, "Ich war nicht verloren, weil du da warst. Wie hätte ich mich umbringen und so einen guten Menschen wie dich alleine lassen können. Hast du nicht gemerkt, was du bewirken kannst?", er zieht seine Hand weg, sodass ich loslasse.

"Und wieso sollte ich es jetzt tun?", fragt er verletzt.

Ich schlucke, "Weil du jetzt alles weißt. Und weil du einen Grund dazu hast. Und weil ich nicht weiß, wie es jetzt weitergehen soll."

Er schaut mich an, während ein kühler Wind weht.

Und weil die Stimmen endlich aufgehört haben.

"Ich kann dich nicht mehr ansehen.", sagt er abwertend und dreht sich wieder weg.

"Was wirst du jetzt machen?", ich setze mich wieder ruhig auf die Bank.

"Ich schätze mal gehen.", er setzt sich auf den Boden hin, immernoch mit dem Rücken zu mir, "Aber davor habe ich noch eine Frage. Wieso hat dich selbstsüchtiges Miststück Geriths Tod so sehr berührt?"

"Gerith war ein guter Mensch. Ich hatte das Gefühl, durch ihn die Tode der anderen wieder irgendwie gutzumachen. Indem ich ihm helfe, ihn mit uns gehen lasse. Als er mir erzählt hat, dass er gebissen wurde...habe ich ihn schon in mein Herz geschlossen. Und als er gestorben ist, ist dieser Teil in mir mit ihm gestorben. Deswegen bringt Vertrauen nur Probleme mit sich.", ich gehe zu ihm und setze mich neben ihn.

"Sagst du.", lacht er spottend auf, "Ist es nicht eher so, dass er Delron irgendwie ähnlich war? Er somit noch lebte?"

Ich schaue ihn von der Seite an.

"Geh nicht."

Er lacht auf und schüttelt den Kopf.

"Ryan, bitte. Du kannst nicht einfach gehen. Mich alleine lassen. Ich kann ja nichteinmal Auto fahren!", lächle ich leicht.

"Du wolltest mich immer loswerden, glaub mir, das hast du oft genug gezeigt. Und jetzt wo ich wirklich gehen will, bittest du mich zu bleiben.", er schaut mich an und mein Blick wird ernst.

"Ich kann nicht mehr ohne dich, okay. Ich brauche dich. Ohne dich-"

"-Drehst du noch durch, ich weiß. Aber es ist mir egal was mit dir passiert. Du bist mir egal Ashley."

"Du bist mir aber nicht egal.", versuche ich es wieder und meine Augen füllen sich wieder unwillkürlich mit Tränen.

"Woher soll ich wissen, dass du mich nicht auch umbringst.", er legt den Kopf etwas schief.

"Ich würde nie...", ich schütte den Kopf.

"Du hast deinen besten Freund umgebracht Ashley. Und wir kennen uns seit höchstens einem halben Jahr. Ich glaube nicht, dass du dir dabei so sicher sein kannst."

Ich schlucke.

"Okay", flüstere ich gezwungen lächelnd mit Tränen in den Augen, "Dann wars das also?"

"Ja.", er fässt mir an die Wange und streicht mir eine Träne weg, "Das wars."

Ein Schauder läuft mir den Rücken hinunter und er steht auf.

Ohne noch irgendwas zu sagen laufen wir zum Auto. Es ist selbsterklärend, dass er es bekommt.

Ich nehme meine beiden Rucksäcke von der Lagefläche und schaue ihn an.

"Hier.", ich hole eine Pistole und die dazugehörige Munition aus dem Rucksack mit den Waffen und halte sie ihm hin.

Er nimmt sie stumm an sich und mustert mich dann.

"Willst du Geriths Sachen haben?", fragt er.

Ich schüttle leicht den Kopf, "Nein."

"Okay", seuftzt er.

"Wohin fährst du jetzt?", frage ich, ohne voher nachzudenken.

"Irgendwohin, wo ich bleiben kann. Ein Haus im Wald. An einem See vielleicht.", sagt er betont.

"Viel Glück.", ich merke, wie ich versuche, den Abschied hinauszuzögern.

Er antwortet nicht.

"Du hast gesagt, du lässt mich nicht fallen.", platzt es aus mir heraus.

"Du hast mich dazu gezwungen Ashley. Ich habe dich nicht fallen gelassen, du bist gesprungen. Aber das ist jetzt auch egal."

Er schaut mich noch einmal an.
Und mir wird bewusst, dass es jetzt vorbei ist. Dass er gleich einsteigen und wegfahren wird.
In seinem Blick sind nocheinmal all die Emotionen zusammengefasst. Die Enttäuschung, die Wut, die Trauer, der Hass und alles, was er mir heute gesagt hat.

"Bleib...bleib einfach am Leben.", sage ich noch kleinlaut, als er einsteigt und losfährt. Und mich alleine zurück lässt.
Jetzt ist es wieder wie am Anfang.
Nur dass ich jetzt gebrochen bin.





Just stay aliveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt