96

510 33 13
                                    

"Komm.", ich gehe zur Glastür und drehe mich zu Ryan.

"Ashley...wir sollten echt nicht-"

"Dann bleib halt drinne.", ich schiebe die Tür auf und mache einen Schritt nach draußen.

Die Backsteine liegen immernoch da, wo ich sie fallengelassen habe, mit Schnee überzogen.

"Verdammt, lass es doch einfach!", er dreht mich an der Schulter leicht zu sich, "Willst du ein zweites mal reinfallen?"

"Genau das ist es, was ich verhindern will. Also hilf mir entweder oder halt deine Klappe während du weiter vorm Kamin hockst."

Er schaut mir gereizt in die Augen.

Die letzten zwei Tage hatte ich keine Kraft mehr mich durchzusetzten und habe einfach auf ihn gehört.
Aber es ist besser, wenn wir kennzeichnen, wie der Pool verläuft.
Damit sowas nicht wieder passieren kann.

"Es muss jetzt gemacht werden. Sonst wird die Eisschicht wieder zu dick."

Ich wende mich ab und gehe den sicheren Weg rüber zur Hütte, wo ich mir einen der dicken Bauschläuche, wovon drei an den Wänden hängen, schnappe und damit wieder rausgehe.

Ryan steht immernoch an der Tür, mit diesem dämlichen Stirnband auf dem Kopf, was er besser als die Strumpfhose fand.

Ich lasse den Schlauch auf dem Boden fallen und rolle ihn ein paar Meter aus.
Dann nehme ich mir das schwere Ende mit dem Metallverschluss und werfe es ein paar Meter nach vorne.
Es landet dumpf auf Gras und ich gehe hin, wo ich es wieder ein paar Meter nach vorne werfe.

Diesmal bricht es auf der dünnen Eisschicht, die sich seit gestern gebildet hat, ein.
Ich ziehe es vorsichtig zu mir, wobei weiteres Eis zerbricht, bis es am Beckenrand angekommen ist.

Ich gehe wieder hin und schaue aufs Wasser.

Es war diesmal so verdammt knapp.
In all der Zeit bin ich dem Tode nie so knapp entkommen wie vorgestern.

Ich gehe in die Hocke und strecke meinen Arm langsam aus.

"Was machst du?"

Ich ziehe meinen Arm zurück und schaue zu Ryan hoch, der sich einen Laubbesen geholt hat und mich, darauf stützend, von oben anschaut.

"Deine Mütze.", ich zeige auf die Beanie, die auf einer dickeren Eisschorle festgefroren zu sein scheint.

Er winkt ab, dreht den Besen um und sticht mit dem Holzende ins Eis.

Ich ignoriere ihn und lehne mich wieder leicht vor, um die Mütze zu mir zu ziehen.

"Gleich fällst du rein.", Ryan arbeitet sich am Beckenrand entlang und bricht dort das Eis auf.

"Halt-", ich greife sie mit zwei Fingern, "-die Klappe.", im nächsten Moment habe ich die Mütze vom Eis befreit und werfe sie ein Stück zurück Richtung Hintertür.

Dann fange ich auch damit an, den Beckenrand abzugrenzen.

Nach kurzer Zeit ist es auch schon erledigt und wir treffen uns auf der anderen Seite.

Der Pool ist rechteckig und nicht allzu groß.

"Wenn es schneit war alles umsonst.", bemerkt Ryan.

Ich nicke, "Wir bräuchten eine Art Zaun.", ich gehe wieder Richtung Glastür, "Wir könnten die Leitern benutzen, aber wenn es mal mehr schneit, dann macht das auch keinen Sinn."

"Abmessen.", wirft er knapp ein.

Ich schaue zu ihm hoch.

"Abmessen? Wir?"

Er nickt und nimmt mir den Schlauch ab.

"Wir können nichts anderes tun. Wir haben keine Ahnung wann es wie viel Schneit, also müssen wir uns merken, wo der Pool ist.", er läuft wieder zur anderen Seite.

"Na wenn das dein Plan ist, dann leg ich uns schonmal Handtücher für morgen hin.", folge ich ihm.

Er bringt die Sachen zurück in die Hütte und bleibt dann wieder neben mir stehen, auf den Pool starrend.

"Okay-", er wechselt seinen Blick zur Glastür, dann wieder zum Pool.

"Du musst es für dich ausmessen.", er läuft rüber zur Glastür und bleibt links neben ihr stehen, "Machen ja unterschiedlich große Schritte.", und dann zählt er die Schritte bis zum Beckenrand ab.

"Für mich sinds vier, dann fängt der Pool an.", bleibt er stehen und schaut mich an.

"Das sind zirka zwei Meter, das kann ich mir auch so merken.", verschränke ich meine Arme.

"Zwei Meter von der Hauswand bis ins Nasse. Sollte genug sein, was."

Und fast einen Meter von unserem Trampelpfad zur Hütte.
Den Weg zur Hütte werden wir kaum verfehlen, wenn man gerade von der Glastür kommt, läuft man fast geradeaus zur Hütte. Sogar leicht nach links, weg vom Pool.

"Der ist zehn Schritte lang, bis zum Badezimmerfenster, ungefähr.", ruft er von hinten und bleibt stehen, "Und von hier aus bis zur Garage sollte man nichtmehr in Lebensgefahr schweben.", er kommt wieder rüber.

"Und jetzt können wir endlich wieder ins Warme.", klopft er seine Schuhe ab und geht an mir vorbei rein.

Augenverdrehend schnappe ich mir die Mütze und folge ihm.

"Du machst dir doch jetzt nicht wieder was zu Essen.", ich ziehe die Jacke aus und lege sie auf den Tisch, während Ryan unsere Kochvorrichtung im Ofen aufbaut, "Wir sind erst seit ein paar Stunden wach, du wirst den ganzen Tag hungern wenn du jetzt deine Portion isst."

"Ich will aber jetzt essen.", er läuft an mir vorbei in die Küche, "Ich nehme an, du willst nichts?"

Heute ist er schlecht drauf.
ignorant, egoistisch und unglaublich genervt. Vielleicht, weil wir gestern kaum geredet haben.
Ich lag fast den ganzen Tag im Bett und habe mich ausgeruht.
Hätte er vielleicht auch tun sollen.

"Wir müssen uns die Sachen aufteilen Ryan. Gott, eigentlich müsstest du das nach der ganzen Zeit schon selbst wissen, wie sollen wir den Winter überstehen, wenn du drei warme Mahlzeiten am Tag zu dir nimmst?", ich verschränke die Arme.

Er läuft mit seiner Dose an mir vorbei zum Kamin und stellt sie dort aufs Gitter. Dann setzt er sich davor und lacht auf, "Merkst du was? Drei warme Mahlzeiten am Tag sind normal."

Ich lasse mich auf die Couch fallen, sodass ich Ryan anschauen kann, "Nur, wenn man es sich leisten kann. Und das können wir nicht."

Er dreht sich zu mir, "Sollten wir aber. Wenn wir weiter so wenig essen, überstehen wir den Winter erst recht nicht. Wir erfrieren nichteinmal, nein- wir verhungern. Mit Nahrung in den Schränken, in einem warmen Haus werden wir einfach verhungern, weil wir es uns ja aufteilen müssen. Wenns weg ist, suchen wir neues, hier stehen noch etliche Häuser in der Nachbarschaft.", er redet immer schneller und ich merke, wie seine Wut langsam hervortritt.

"Ach komm Ryan, du hast doch keine Ahnung, wie lange so ein Winter sein kann. Und außerdem wissen wir nichteinmal, ob die anderen Häuser überhaupt was zu Essen haben!", verdrehe ich genervt die Augen.

"Gott Ashley-", stöhnt er auf, "Nur weil du keinen Hunger mehr verspürst, weil du sowieso schon seit Monaten fast nichtsmehr zu dir nimmst, heißt das nicht, dass das bei anderen auch so ist. Komm, zeig doch mal, zieh nochmal dein Shirt hoch und fahr dir über die Rippen, morgen bist du vielleicht wirklich nurnoch ein Skelett!", er greift sich den Stoff seines Pullis und schüttet den Kopf, "Ich lass es dazu nicht kommen! Nach alldem werde ich nicht an Unterernährung sterben! Weißt du noch, als es dich gekümmert hat? Als wir fischen waren oder im Camp gegrillt haben? Und das war nichteinmal wiklich genug für einen Tag. Wovor verdammt hast du wirklich Angst! Ist es wirklich nur vor dem Winter?", schaut er mich verzweifelt an, "Weil wenn du so weitermachst, bist du tot, noch bevor es so richtig Winter geworden ist."

Just stay aliveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt