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Ich gehe vorsichtig auf ihn zu.

"Ryan?", frage ich kleinlaut, doch er rührt sich nicht.
Als ich direkt hinter der Bank stehe bemerke ich erst den Ausblick.
Von der Klippe aus sieht man eine ganze Stadt. Sie liegt vielleicht hundert Meter unter uns, aber die Wolkenkratzer die im Zentrum stehen sind um einiges Höher als die Klippe.
Man hat den Überblick über die meisten Straßen und man kann sogar die Beißer, die am Rand der Stadt rumschlendern, beobachten.
Und das alles zusammen mit der untergehenden Sonne und den bunten Abendhimmel, der sich in den Fenstern der Wolkenkratzer spiegelt, macht die Aussicht unbeschreiblich schön.

"Wow", bringe ich hervor und lasse mich neben Ryan auf die Bank fallen.
Ich winkle ein Bein an, stütze mein Kinn auf mein Knie und schaue auf die Stadt.

"Ich hätte nicht gedacht, dass du das durchziehen willst.", fange ich an.

Ich warte kurz auf eine Antwort von ihm, doch er bleibt still.

"Wärst du wirklich gegangen?", wieder keine Antwort, "Ryan, wieso wolltest du gehen? Ich meine, es war doch nicht wirklich wegen der Sache mit Gerith, oder?", ich schaue ihn von der Seite her an.

Kurz bevor ich dachte, er antwortet wieder nicht, macht er dann doch den Mund auf: "Nein.", er schaut zu mir, ein leerer Blick in seinen Augen, "Es war wegen dir. Deinen Lügen, Ashley.", ein verletzter Ton in seiner Stimme.

Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen, "Ich verstehe dich nicht ganz...was meinst du mit meinen Lügen, wenn du immernoch von-", ich drehe mich leicht zu ihm.

Er lacht spöttisch auf, "-Wie konnte ich nur so dumm sein, so leichtgläubig und blind. Du hast gesagt du lügst mich nicht an, aber wieso sollte es bei mir auch anders sein.", dann schaut er mir wieder in die Augen, diesmal ein kalter, verletzender Blick, "Heute habe ich viel nachgedacht, Ashley. Ich war auf mich selbst angewiesen. Und das hat mir die Augen geöffnet.", er seuftzt, "Ich hätte nie mit dir mitgehen sollen."

Dieser Satz trifft mich.
Ich setze mich wieder normal hin und schaue ihn verwirrt an.

"Du hast das alles ziemlich schlau gemacht. Und ich bin auf alles reingefallen, sogar darauf, dass du mir vertraust. Aber dachtest du wirklich, dass ich so dumm bin, dass ich wirklich garnichts hinterfrage?", er schaut in den Himmel.

"Ryan, ich vertrau-"

"Ja.", er lacht, "Ja, anscheinend gehts dir wieder ganz gut. So wie vor alldem."

"Ryan? Was hast du-wurdest du gebissen-", ich fasse ihn am Arm an, den er sofort wegzieht.

"Halt die Klappe und hör mir zu. Lass mich dir einfach zeigen was für ein- ein...wieder-licher Mensch du eigentlich bist, selbst scheinst du es ja nicht zu merken. Oder du willst es nicht sehen, was auch immer." er schaut mir wütend in die Augen, wobei seine Wangen langsam erröten.

Ich schlucke und er schaut wieder weg.

"Weißt du noch damals im Camp? Du hast gesagt du hättest keine Kraft zum Lügen. Du seist zu müde und erschöpft vom Leben. Seit wann ist das denn so? War das schon so, als du Delron getötet hast?", er sieht mich verurteilend an.

Ich starre auf einen Punkt hinter ihn.
Unfähig irgendetwas zu sagen, Tränen schießen mir in die Augen.

"Du hast ihn getötet. Getötet Ashley. Und seinen Tod verraten. Du weißt, ich habe ihn gehasst, aber sowas hat er nicht verdient. Keiner von deinen Opfern hat das verdient.", ihn interessiert es kein bisschen, wie sehr mich seine Worte treffen. Er formuliert es absichtlich so. So, dass es mich quält. Und in seinem Blick sehe ich, dass es ihm gefällt.

Ich schüttle den Kopf, "Du-Du kanntest Delron ni-nicht, er war am e-ende, ich h-habe ihm ein-einen Gefallen getan.", stottere ich und wische mir die Tränen weg, die mir stumm über die Wangen rollen.

"Wow...ich war mir damit nicht sicher, aber anscheinend bist du wirklich so herzlos. Was ist mit deinen Eltern? Hast du auch ihnen einen Gefallen getan. Oder Jane und Terrance. Und was ist mit Frank und den ganzen anderen Überlebenden des Camps die du eines Nachts ermordet hast? Haben sie den Tod verdient, haben sie es verdient von dir ermordet zu werden? Von Zombies zerrissen, weil du die Tür Nachts aufgemacht hast? Du hast nicht das Recht Gott zu spielen. Du solltest dafür ermordet werden."

Ich fange laut an zu schuchtzen und vergrabe mein Gesicht in meine Hände.

"Es hat mich schon gewundert warum George dich auswählte. Er muss dich nicht sofort erkennt haben, hat es aich nie direkt angesprochen aber selbst ich habe gemerkt, dass eure Wege sich schoj einmal gekreuzt haben."

"Karma hates bitches.", er lacht kurz, "Endlich verstehe ich es. Du hast verdient, was sie dir angetan haben. Jeden Tag den du im Bett lagst hast du verdient. Du hast es verdient zu sterben Ashley, keinem anderen würde ich den Tod mehr wünschen als dir.", er legt eine kurze Pause ein in der man nur mein weinen hört, "Und du hast auch Gerith getötet, wenn auch indirekt. Mich trifft keine Schuld. Ich bin selbst ein Opfer von dir. War immer für dich da. Habe dir geglaubt, vertraut. Genauso wie Gerith. Er war ein Held. Du hast fast alle aus seiner Gruppe getötet und er war gnädig zu dir. Hat dir nie was angetan. Hat dir immer geholfen. Wieso konnte es nicht dich an seiner Stelle treffen."

"HÖR AUF!", schreie ich auf.

"Nein. Nein das kannst du vergessen. Von mir bekommst du kein Mitleid mehr. Du bist kein Mensch mehr. Menschen sind nicht zu so schlimmen imstande.", er lacht auf, "Ich versuche nichteinmal dich zu verletzten Ashley, wirklich. Ich halte dir nur einen Spiegel vors Gesicht. Sage dir die Wahrheit, weil einer es tun muss.
Und jetzt ist auch klar wie du so lange alleine überleben konntest. Du bist selbstsüchtig. Steht dir etwas im Weg beseitigst du es einfach. Weil du ein Monster bist. Glaub mir, ich tue mir langsam selbst leid wenn ich daran zurückdenke, wie gut ich zu dir war.", plötzlich spüre ich seine Hand an meiner Seite, woraufhin ich anfange, zu zittern. Er zieht etwas aus meiner Jacke und einen Moment später riecht es nach Rauch.

"Weißt du, ich habe noch nie zuvor geraucht.", er lacht wieder, "Und es schmeckt genauso scheiße wie es riecht, aber das ist das Einzige, was mich gerade abhält dich von der Klippe zu schubsen.

"Schubs mich.", sage ich heiser, während ich versuche, mich zu beruhigen und mir die Augen reibe.

"Davor habe ich noch eine Frage. Du hast gesagt, dass ich die Tür abchließen soll. Wieso? Ich habe dich doch eh nur gestört, wieso hast du mich nie getötet?"

Ich lehne mich zurück und lache bitter auf.

Dann schaue ich leicht lächelnd, mit noch angeschwollenen Augen in den Sonnenuntergang, "Ich konnte es nicht. Ich könnte dich nie töten. Und du weißt, warum. "

"Ich weiß doch nichteinmal, ob du überhaupt Ashley heißt.", ich schaue zu ihm. Er zieht von der Zigarette und lächelt amüsiert.

"Ich heiße Ashley. Heißt du auch wirklich Ryan oder hast du meinen Kommentar von damals ernstgenommen?", ich wische mir noch eine Träne weg.
Es ist sowieso vorbei.
Wieso noch weinen, weswegen sollte ich noch trauern.
Die letzten Momente werde ich ganz sicher nicht trauernd verbringen.
Das bin ich mir doch irgendwie Schuldig. Die Mauer, die ich jahrelang errichtet habe und schon einmal gefallen ist war nicht nur zum Schutz da. Sie hat mir persönlichkeit gegeben. Sicherheit. Selbstbewusstsein.
Weswegen mein Mundwinkel nun leicht nach oben zuckt.

"Habe ich dich je angelogen?", er schaut mir ernst in die Augen.
Dann drückt er die Zigarette aus und wendet sich zu seinem Rucksack.

"Wie auch immer, wird wohl auch nichtmehr passieren.", er holt die Waffe aus, die ich ihm gegeben habe und überprüft die Kugel.

Ich antworte nicht darauf, sondern zünde mir auch eine Zigarette an.

"Ich hoffe dich zu töten nimmt mir einen Teil der Schuld ab.", er entsichert sie und hält sie mir mit kleinem Abstand an die Schläfe.

"Das hoffe ich auch für dich."

Just stay aliveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt