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[...]

Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, "Na."

Ryan zieht seine Augenbrauen zusammen, dreht sich etwas, die Sonne scheint ihm immernoch direkt ins Gesicht, kneift seine Augen fest zu und dreht sich wieder weg, brummt auf.

Jetzt, da er endlich Anzeichen macht, aufzustehen, richte ich mich auch etwas auf und schaue ihm immernoch, gegen die Fahrertür lehnend, dabei zu, wie sich seine Mimik Sekunde für Sekunde immer mehr verzieht.

Sein lautes Gähnen wird zu einem müden Schmatzen.
Dann blinzelt er langsam auf.
Als er mich erkennt, muss er müde lächeln, "Wieso so früh wach?", bringt er mit einer tiefen, rauen Stimme hervor.

Ich zucke mit den Schultern.
Er muss nicht wissen, dass ich wegen Brandon die ganze Nacht nicht schlafen konnte.

Ein weiteres Brummen als Antwort, dann versucht er sich Aufzurichten.
Er greift mit der rechten Hand hinter seinen Sitz, die Linke ans Lenkrad, dann zieht er sich hoch.

Ich runzle die Stirn, "Was hast du an der Hand gemacht?", frage ich, als mir seine blutig Verbundene linke Hand ins Auge fällt.

Er blinzelt, "Hmmm?"

"Ryan-", ich lehne mich zu ihm und greife nach seiner Hand.

"Ash, ich glaub, dass willst du nich sehn.", murmelt er, macht jedoch keine Anstalten, seine Hand wegzuziehen.

"Gott.", murmle ich, als ich versuche, den selbstgebastelten Verband abzunehmen. Das Blut hat die einzelnen Schichten verklebt, wodurch sie sich nur schwer voneinander lösen.

"Hab nicht aufgepasst.", seine Stimme ist nichtmehr ganz so tief, "Ein Typ aus deinem Dorf da hat mich verletzt, die Wunde war nichteinmal allzu tief...", erzählt er, als ich das letzte Stück aufwickle.
Als seine Hand dann im nächsten Moment offen in meiner liegt, hätte ich ihn am liebsten von mir gestoßen.

"...aber es hat sich bei nem Kampf mit nem Beißer entzündet und...naja-"

"-Entweder der Finger oder du.", ich starre auf die Hand.
Vier Finger, der letzte abgetrennt.
Unsauber, hektisch, schlecht.
Seine ganze Hand ist noch mit trockenem Blut überströmt.
An einigen Stellen sogar Dreck.
Vom kleinen Finger ist nur ein fleischiger Stumpf geblieben.

Ich schlucke und lehne mich zurück.

"Wir können das nicht so lassen. Es wird so nicht verheilen."

Seine Hand zuckt ein kleines bisschen zurück, er schaut mich jetzt wach, mit aufgerissenen Augen an.

"Nein. Nein Ash, wir lassen es so. Du wirst nicht wieder an meinem Körper rumoperieren. Nein-", schüttelt er den Kopf.

"-Ist ja gut Ryan, ich werd nicht rumoperieren..", ich versuche ernst zu bleiben und nicht völlig auszuflippen.
Da rennt er ernsthaft mit einem halben Finger rum, in trockenes Blut und Dreck gewickelt und kümmert sich nichteinmal darum, es zu desinfizieren, "Pass auf, wir desinfizieren und verbinden das neu und dann warten wir ab. Aber wenn es sich entzündet, dann mach ich das das nächste mal. Und zwar richtig und glaub mir Ryan, es wird sich verdammt nochmal entzünden!", ich schwinge die Tür auf und gehe zur Lagefläche.
Dort finde ich nach kurzem Stöbern in diversen Taschen hochprozentiges.
Ich wusste, dass Ryan niemals davon nehmen würde.
Leicht grinsend reiße ich noch ein sauberes Shirt von ihm auseinander und gehe dann zur Fahrertür.

Er steigt vorsichtig aus und ich öffne die Flasche.
"Hier-", ich halte ihm das Shirt vor die Nase.

Er nimmt es vorsichtig in die Hand und ich verdrehe die Augen.
"In den Mund damit!"

"Wa-"

"Willst du mit deinem Geschreie Beißer anlocken?"

Mit einer Hand stopft er sich das Shirt in den Mund und schaut mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

"Okay-", ich schaue ihm noch einmal kurz in die Augen, bevor ich ihn am Handgelenk festhalte.
Dann schütte ich den Vodka vorsichtig  über seinen kleinen Finger.
Augenblicklich fängt er an, in das Tuch zu schreien, was ich nur als dumpfes Brummen wahrnehmen kann und er versucht, seine Hand zurückzuziehen.

"Warte noch-", ich sehe, wie die Flüssigkeit auch langsam das trockene Blut wegwäscht und als ich seine Hand nichtmehr halten kann, lasse ich los und er zieht sie zurück.

Während er sich krümmt, zieht er schnell das Shirt aus dem Mund.
Ich nehme es wieder und er beißt die Zähne zusammen.
Mit der rechten Hand hält er sich jetzt das Handgelenk der zitternden linken.

Ich tunke das Tuch auch leicht mit Alkohol voll und schließe dann die Flasche.

"Komm her."

Ryan, der sich abgewendet hat, schaut mit mit rot tränenden Augen an, aber er weiß, dass es sein muss.

Dann, vorsichtig, reicht er mir die, noch nasse, Hand.
Ich verbinde sie sogut es mit dem Shirt, während er immer mal wieder ein paar Laute ausstößt.

"Okay, das wars schon.", zufrieden gehe ich wieder zur Beifahrerseite und steige ein.

Kurz darauf sitzt Ryan auch wieder neben mir, die Linke schützend gegen seinen Bauch gedrückt, die Rechte am Schlüssel.

"Wollen wir weiter?", fragt er unnötigerweise, während er den Motor bereits gestartet hat.

Ich lehne mich gegen die Beifahrertür, sodass ich ihn direkt anschauen kann.
"Okay, das wäre dann geklärt, aber was zur Hölle ist mit deinem Gesicht passiert?", spreche ich die dünne, lange Narbe an, welche quer über sein Gesicht verläuft.

Er lacht auf, ohne seinen Blick von der Straße zu wenden.
"Du musst nicht jeden neuen Kratzer den ich habe hinterfragen, Ashley. Wie siehts mit dir aus, besser oder schlechter als voher?- a-also Physisch."

Ich wende meinen Blick von ihm ab und suche einen Punkt, auf den ich mich fokussieren kann.
Anscheinend kann ich es nicht länger hinausziehen, über die Dinge, die in der Zwischenzeit passiert sind, nicht reden zu müssen.
Ich seuftze.

Wahrheit.
"Schlechter. Also...gerade als es besser wurde lag ich im nächsten Moment verbunden im Bett.", ich öffne das Handschuhfach, "Unzwar wörtlich. Konnte ohne die Krücken nicht laufen.", kommt es aus mir heraus, ohne voher darüber nachzudenken, dass ich näheres erzählen muss.

"Wa-Krücken?! Was um alles in der Welt ist denn passiert?", er schaut mich verwirrt an, während ich ein paar Schachteln im Handschuhfach hin und her schiebe.

Ich seuftze, "Ist ne lange Geschichte. Aber-", ein Lächeln bildet sich auf meinem Gesicht als ich ein Päckchen Zigaretten herausziehe.
Es ist noch voll.
Ich erinnere mich daran, ich habe ganz viele damals aus diesem Laden zum Tauschen mitgenommen, als Gerith noch da war.
"-Aber wie du siehst lebe ich ja noch. Und komme gut zurrecht ohne die scheiß Krücken.", ich entferne die Folie von der Packung und öffne das Fenster.

"Ich glaub bevor du von Beißern oder anderen Überlebenden oder so getötet wirst, bringt dich der Lungenkrebs um.", er schaut wieder weg. Anscheinend hat er einmal verstanden, dass er lieber nicht genauer nachfragen sollte.
Und es ist fair, weil er mir das mit seiner Narbe auch nicht erzählen möchte.

"Feuerzeug.", ich halte ihm meine Hand hin und er reicht mir Streichhölzer, die in einem Fach unter dem Radio lagen.

Das Radio.
Ich zünde mir die Zigarette an und lehne mich vor, um sie zurückzulegen.
Dann drücke ich auf Play und Carry On Wayward Son fängt an zu spielen.

Just stay aliveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt