-fünfunfsechzig-

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Schloss, Iléa
Raven's Point of View:

"Dad, was ist passiert?", fragte ich misstrauisch, als mein Vater mit völlig eiskalter Miene den Raum betrat. In wenigen Stunden sollte der Bericht ausgestrahlt werden. Wir hatten beschlossen ihn nur mit dem Prinzen zu drehen, der so gut wie alles tun würde, damit wir seiner Schwester nicht wehtun würden.

"Die beiden Deppen, die die Königin bewachen sollten, haben während der Besprechung die Schlüssel vor der Tür liegen lassen und irgendein Verräter hat sie jetzt befreit. Wie dumm kann man eigentlich sein?!", wütend schlug er mit der Hand auf den Tisch.

Ich zuckte leicht zusammen. "Oh Mist.. Wir müssen den Bericht so schnell wie möglich drehen, sonst wird sie womöglich noch unters Volk kommen und denen irgendetwas erzählen. Hast du schon welche losgeschickt, die sie zurückholen?"

"Natürlich habe ich das. Hälst du mich für einen totalen Anfänger? Aber wir haben es zu spät gemerkt, sie kann schon ziemlich weit sein", meinte er verärgert und ging im Raum auf und ab.

"So weit kann sie noch nicht sein, Dad. Keine Sorge, wir finden Sie und dann ist alles wieder gut", versuchte ich ihn zu beruhigen.

Aber er schüttelte den Kopf. "Nein, so einfach ist das nicht, Raven. Sie kann nämlich sogar schon in den ersten Dörfern sein. Wenn Sie in Urbina ist und sich die Nachricht breitmacht, dass Rebellen das Schloss besetzt haben, haben wir so gut wie verloren. Wir müssen das um jeden Preis verhindern."

"Ich glaube nicht, dass die Königin sofort damit rausplatzt. Immerhin schadet das auch ihrem Ruf. Die bringt sich erst einmal in Sicherheit. Und bis dahin haben wir sie längst wieder gefunden und alle erkennen endlich die Wahrheit", sagte ich mit einer solchen Überzeugung, dass ich es mir selbst fast abkaufte. Zwar stimmte es, dass die Königin wohl kaum direkt dem ersten Menschen, den sie traf, die Wahrheit erzählen würde, aber so viel Zeit hatten wir auch nicht.

Mein Dad nickte. "Jedenfalls hast du Recht. Der Bericht muss sofort gedreht werden."

Ich nickte zustimmend und sah ihn fragend an.
"Deswegen bin ich auch hier", fuhr er fort, "Du und Kathleen werden eine der Hauptrollen spielen. Als ehemalige Castingteilnehmerinnen, die erkannt haben, dass die Königsfamilie total fake ist und die Rebellen toll, bla bla bla", erklärte er kurz.

Ich nickte. Natürlich würden wir es ihnen so verkaufen. Anders würden sich die meisten wohl nicht überzeugen lassen. Zum Glück hatten wir auch noch andere Ladys gefangen gehalten, die ebenfalls eingebaut werden würden. Irgendwie taten sie mir sogar etwas leid, aber immerhin taten wir das Richtige. Irgendwann würden sie das auch verstehen.

"Dad?", fragte ich mit leiser Stimme.

Er sah mich nicht an, sondern schwieg, als warte er darauf, dass ich weiterredete.

"Wir tun doch das Richtige, oder?", fuhr ich vorsichtig fort.

Er sah auf und zog die Augenbrauen zusammen. "Wie kommst du auf die Frage, Raven?", er klang ernst und streng.

Ich zuckte schnell mit den Schultern. "Ich weiß ja, dass es das Richtige ist, aber-"

Er unterbrach mich. "Dann hör auf soetwas zu fragen und bereite mir keine Sorgen. Ich habe gerade wirklich andere Probleme. Zum Beispiel die entlaufen Königin und den blöden Bericht. Sag bitte Kathleen auch noch Bescheid. In zehn Minuten fangen wir an." Mit diesen Worten verließ er den Raum. Herzlicher hatte ich ihn auch nicht erwartet.

Lancester, Iléa
Dena's Point of View:

Das Mittagessen verlief eisig. Marylin sagte kein Wort, Ann und Sarah waren auch ungewohnt still und auch John und Soraya schienen nicht die Initiative ergreifen zu wollen. Aber das war mir eigentlich auch ganz Recht. Die einzigen Worte, die ich sagte, waren Danke wenn mir jemand die Kartoffeln gereicht hatte. Das aber auch nur, wenn es John oder Soraya gewesen waren. Die anderen drei hatte ich geflissentlich ignoriert.

Als wir abgedeckt hatten, verschwand Marylin sofort wieder auf ihr Zimmer. Ann folgte ihr, die beiden schienen sich gut zu verstehen. Noch ein Grund mehr, sauer auf Ann zu sein. War diese Marylin ihr jetzt etwa wichtiger als die eigene Familie?

Sarah blieb noch am Tisch sitzen und schien mit mir reden zu wollen, aber ich verzog mich ins Wohnzimmer aufs Sofa. Obwohl ich John und Soraya erst so kurz kannte, fühlte ich mich schon fast wie zuhause. Die beiden bedrängten mich nicht und beantworteten mir trotzdem alle Fragen, die ich hatte.

Sarah lehnte im Türrahmen und klopfte vorsichtig an um auf sich aufmerksam zu machen. Ich seufzte und drehte mich weg. Sie setzte sich zu mir und sah mich an.

"Es tut mir schrecklich leid, Dena. Ich weiß, dass du das nicht hören möchtest, aber was hättest du an unserer Stelle getan?", fragte sie, aber eigentlich war es nur eine rhetorische Frage, denn ich konnte sie nicht beantworten und das wusste Sarah.

"Sieh mal, Ann nimmt sich das sehr zu Herzen. Sie gibt es vielleicht nicht zu, aber sie ist verletzlicher, als sie sich gibt. Klar, eigentlich bin ich die ruhige und verletzlich von uns beiden, aber eigentlich schirmt Ann sich viel mehr ab. Möchtest du nicht mit ihr reden?", fragte sie sanft.

Ich schüttelte den Kopf. "Ich bin kein kleines Kind mehr, Sar. Ich kann selbst entscheiden, was ich tue und muss mir keine stundenlangen Ansprüchen anhören."

"Du benimmst dich aber wie ein kleines Kind. Klar, Ann auch, aber du solltest den ersten Schritt auf sie zumachen", erklärte sie.

Ich schnaubte. "Und warum ich? Ich-"

"Das meine ich", sagte sie ruhig, "Sei erwachsen und nicht so störrisch."

"Nur, weil ich mir nicht alles gefallen lasse, heißt das nicht, dass ich kindisch bin. Du solltest den Unterschied kennen, wenn du doch so reif bist", antwortete ich augenverdrehend.

Sarah ignorierte meine Aussage. "Jedenfalls solltest du wissen, dass es nichts bringt noch sauer zu sein. Das bringt Jus auch nicht zurück. Und es bringt auch nichts, wenn du jetzt losziehst um Jus zurückzuholen. Es ist zwecklos", ihre Worte trafen mich ungewohnt hart. Anscheinend hatte sie auch keine Lust mir die ganze Zeit hinterherzurennen.

Ich schwieg einfach nur und wollte nicht zugeben, dass ich ihm sowieso nicht gefolgt wäre. Dazu hätte ich nämlich viel zu viel Angst gehabt. Ich war keine Heldin wie aus einem Roman. Ich war nur ein ganz normaler Mensch, der nun mal Angst hatte, wenn es um wilde Rebellen ging.

Als ich immernoch nicht antwortete, verdrehte Sarah sauer die Augen, stand auf und verließ den Raum. In diesem Moment bereute ich es so ignorant gewesen zu sein. Sie hatte das nicht verdient.

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