Montag, 2. Juni. 2008

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Liebes Tagebuch,

heute war Mama irgendwie merkwürdig. Als ich heute Morgen aufgestanden bin, um zur Schule zu gehen, war sie noch nicht wach. Normalerweise hat sie mir immer schon Frühstück gemacht, aber heute lag sie noch im Bett.

Ich habe sie geweckt und sie hat zu mir gesagt, dass sie heute noch ein bisschen liegen bleiben will. Sie sagte das es ihr nicht so gut ging und dass ich mir heute selbst Frühstück machen soll und dann allein zur Schule gehen soll.

Normalerweise gehe ich morgens nicht allein zur Schule. Mama mag es nicht, wenn ich im Dunklen allein gehe, aber nach Hause lief ich allein.

Mama hat gesagt, dass ich doch schon groß war und es auch einmal allein schaffen wurde, und da hatte sie recht. Ich war schon groß!

In der Schule war heute nichts Aufregendes und mittags lief ich wieder zurück nach Hause.

Als ich dort war, stand Mama in der Küche und kochte. Sie hatte noch immer ihren Schlafanzug an und sah wirklich müde aus.

Es hat eine ganze Weile gedauert, bis sie gemerkt hat, dass ich da war, aber dann umarmte sie mich und lächelte.

Während wir aßen, erzählte ich von der Schule und Mama erzählte mir, dass die Polizei heute noch mal da war und Papa jetzt eine sehr, sehr lange Zeit im Gefängnis bleiben muss.

Sie hat gesagt, dass, dass sehr viel länger sein würde als ich mir vorstellen kann.

Ich habe Mama gefragt, was Mord bedeutet.

Mama hat sehr lange gebraucht, bis sie eine Antwort gab.

„Das bedeutet, dass ein anderer Mensch gestorben ist und Papa ist daran schuld", sagte sie zu mir.

Ich sah, dass sie schon wieder Tränen in den Augen hatte.

Nein! Ich wollte nicht, dass sie traurig war.

„Lernt Papa im Gefängnis wieder lieb zu sein?", habe ich sie gefragt.

„Die im Gefängnis versuchen es ihm beizubringen, aber es dauert sehr lange, bis ein Mensch, der etwas so Schlimmes getan hat, das gelernt hat. Er bleibt jetzt mindestens 15 Jahre dort. Das ist eine sehr lange Zeit, Marlene. Das ist mehr als zweimal so lange, wie du auf der Welt bist", sagte sie.

Das war wirklich lange.

Mama begann wieder zu weinen.

Ich war überrumpelt gewesen und habe sie gefragt, was los ist. Mama hat gesagt, dass sie es sich nie verzeihen kann, mir das angetan zu haben.

Ich wusste nicht, was sie meint. Sie hat doch gar nichts gemacht.

Mama hat gesagt, dass sie mich hätte vor Papa schützen müssen und dass sie es sich nie hätte verzeihen können, wenn es mich getroffen hätte.

Ich habe nicht so richtig verstanden, was sie meint. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, weiß ich, dass sie Angst davor hatte, dass Papa mir statt einem anderen etwas getan hätte...

Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt