Samstag, 23. August. 2008

81 17 13
                                    

Liebes Tagebuch,

ich habe versagt. Felix lebt jetzt seit zwei Wochen bei uns und schon hat er dafür gesorgt, dass Mama wieder länger im Bett bleibt als vorher.

Ich habe Angst und fühle mich allein...

Wie sich herausgestellt hat, hat Felix gelogen.

Er arbeitet nicht von zu Hause.

Er ist zwar den ganzen Tag zu Hause, in diesem Punkt hat er nicht gelogen, aber der Grund, warum er zu Hause war, war ein anderer.

Felix hat gar keine Arbeit, Tagebuch. Er ist den ganzen Tag zu Hause, blockiert den Fernseher im Wohnzimmer und er trinkt die ganze Zeit Bier und anderes Zeug, welches giftige Farben hat.

Am Anfang hat Mama noch gesagt, dass Felix so was sicher nur am Wochenende machen würde, aber das tat er nicht.

Mama hat gesagt, dass Felix sich sicher bald wieder anders verhalten wird.

Sie hat recht gehabt, aber er verhielt sich nicht besser.

Abends hat er meistens schon eine Menge getrunken. Ich weiß nicht genau, was genau er da alles trinkt, aber es verändert ihn.

Er wird sehr gereizt und vor zwei Tagen hat er Mama angeschrien, weil das Mittagessen noch nicht fertig war.

Gestern hat er sie geschlagen. Ich habe es ganz genau gesehen.

Mama ist gleich im nächsten Moment ins Bett gegangen und Felix hat gesagt, dass ich besser ganz schnell auf mein Zimmer gehen soll, wenn ich nicht wollte, dass ich auch eine bekam.

Mama ist seit gestern nicht mehr aufgestanden.

Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe schon alles versucht, um sie wach zu bekommen. Es ist nicht wie das letzte Mal, dass sie einfach nur im Bett liegt, nein, sie schläft wirklich.

Ich habe auf ihrem Nachtschrank eine Schachtel Tabletten gefunden.

Schlaftabletten steht darauf.

Tabletten, die einem zum Schlafen brachten. Warum sollte sie so was nehmen? Ich verstehe das nicht, Tagebuch.

Ich habe die Tabletten genommen und in meinem Zimmer versteckt. Wenn sie keine mehr hat, wird sie wieder aufstehen, ich bin fest davon überzeugt, dass sie morgen wieder aufsteht.

Das hoffe ich zumindest.

Der Zettel von Frau Schuster hängt noch immer an unserem Kühlschrank und ich habe versucht, sie anzurufen. Sie hat mir bis jetzt immer meine Angst nehmen können, wenn ich um Mama fürchtete.

Es ging niemand ran. Ich hoffe, dass sie schnell zurückrufen wird.

Liebes Tagebuch, ich habe wirklich Angst um Mama. Was ist, wenn ich meinen Superhelden erneut verliere?

-------

Wenn ich diese Zeilen lese, kann ich noch ganz genau nachvollziehen, wie ich mich damals fühlte. Meine Hoffnung, dass alles gut werden würde, war noch ein zweites Mal so weit weg, dass ich glaubte, sie nie wieder finden zu können. Damals war ich sieben. Es war kurz vor meinem achten Geburtstag. Ich wünsche mir insgeheim, dass ich die Zeit noch mal zurückdrehen könnte, dann hätte ich etwas anders gemacht und es wäre vielleicht nie so weit gekommen, wie es gekommen war. Klein und naiv, wie ich damals war, hatte ich fest daran geglaubt, dass Frau Schuster schon von allein zurückrufen würde. Ich hatte sie an einem Samstag angerufen, da war es klar, dass sie nicht dran ging. Als sie auch nach ein paar Tagen nicht zurückgerufen hatte, glaubte ich, dass sie uns nicht mehr helfen wollte. Hätte ich nur damals gewusst, dass sich Mama dieses Mal nicht selbst Hilfe holen würde und wohin das noch alles führte ...

Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt