19. Juli. 2011

58 12 3
                                    

Liebes Tagebuch,
obwohl Ferien sind bin ich heute schon um 6 Uhr aufgestanden. Ich wollte alles vorbereiten damit Mama einen schönen Geburtstag hat.
Ich hab das Wohnzimmer ein bisschen geschmückt und habe Eierkuchen gemacht. Meine sind zwar lange nicht so gut wie die von Mama aber ich war mir sicher das sie sich trotzdem freuen würde.
Ich hab bis 8 Uhr gewartet. Dann bin ich ins Schlafzimmer gelaufen und hab ihr ein Geburtstagslied gesungen.
Mama hat sich einfach nur weggedreht und nichts gesagt.
„Mama? Alles ok?", hatte ich vorsichtig gefragt aber ich hab wieder keine Antwort bekommen.
Ich hab sie geschüttelt. „Mama steh auf!".
„Lass mich in Ruhe Marlene!", hatte sie gesagt.
Nein, Tagebuch das kann nicht sein. Nicht schon wieder...
Es war doch alles gut. Warum ging es jetzt schon wieder los?
„Mama ich hab Frühstück gemacht", hatte ich es noch ein zweites maö versucht.
„Du sollst gehen!", hatte sie mich angeschrien.
Dieser Satz hatte mir die Tränen in die Augen getrieben.
Warum tat sie das schon wieder?
Ich bin in die Küche gegangen und hab das Telefon geholt.
Ich hab beschlossen Paulina diesesmal gleich anzurufen. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Vielleicht würde es ihr gleich wieder gut gehen wenn sie sofort Hilfe bekam.
Ich hab also Paulina angerufen und habe ihre gesagt das Mama nicht aufstehen will und das sie mich aus dem Zimmer geschickt hat.
Sie hat gesagt das sie es gut findet das ich sie gleich angerufen habe und sie sich auf den Weg macht. Sie hat gesagt das Sophie auch kommen wird und ich Mama erstmal in Ruhe lassen soll bis sie da sind.
Ich hab also gewartet und mich selbst wieder dabei erwischt wie ich moch gefragt habe was ich immer falsch mache.
Irgendwann hat es geklingelt. Sophie und Paulina standen gemeinsam vor der Tür und ich hab sie reingelassen.
Paulina wollte von mir genau wissen wie lange es Mama nicht gut ging und was ich gemacht habe bevor ich sie anrufen habe.
„Gestern war noch alles in Ordnung", hatte ich leise gesagt.
Ich hab ihnen gesagt das ich alles für ihnen Geburtstag vorbereitet habe und sie dann wecken wollte aber sie nicht aufstehen will.
„Hat die sie denn Anzeichen gehabt die auf einen Rückfall hindeuten könnten?", hatte Sophie gefragt.
„Nein überhaupt nicht. Ich war gestern noch hier und wir haben miteinander gesprochen da gab es nichts was besorgniserregend war. Ich schau mal nach ihr", hatte Paulina geantwortet und hat mich mit Sophie allein gelassen.
„Marlene es war gut das du dieses mal gleich Hilfe geholt hast", sagte Sophie.
Mir standen noch immer die Tränen in den Augen Tagebuch.
„Was mache ich falsch?", hatte ich Sophie gefragt.
„Du machst gar nichts falsch. Du hast alles richtig gemacht", hatte Sophie geantwortet.
„Doch irgendetwas mache ich falsch. Mama geht es gut. Ihr geht es so lange gut bis ich in ihre Nähe komme. Warum bekommt sie jedes Mal einen Rückfall sobald ich in der Nähe bin? Warum?", hatte ich gefragt. Ich hatte meine Tränen nicht mehr zurückhalten können.
Eigentlich sollte heute ein so schöner Tag werden aber der Tag war einfach nur grauenhaft.
Genau in diesem Moment kam Paulina mit Mama aus dem Schlafzimmer.
Mama hat mich nicht mal angesehen und ist an mir vorbei gelaufen.
Wieso ist sie für Paulina aufgestanden und nicht für mich?
„Marlene kannst du mal bitte in dein Zimmer gehen? Wir kommen gleich zu dir", hatte Paulina gesagt.
Mit anderen Worten sie wollten etwas besprechen und ich sollte davon nichts mitbekommen. Aber ich wollte auch wissen was hier los ist. Ich will auch wissen woran ich bin und nicht eine für mich verschönte Version der Geschichte hören.
Ich bin also aus der Küche und hab mich so hingestellt das sie mich nicht mehr sehen konnten, ich sie aber noch hören konnte.
„Frau König was geht ihnen durch den Kopf? Was ist gerade los? Wie fühlen sie sich?"
All diese Fragen kamen von Paulina und Mama Antworte nur mit einem  „Ich kann das nicht"
„Was können sie nicht?", fragte Paulina weiter.
„Das wird mir alles zu viel. Ich kann mich nicht um sie kümmern", waren die Worte die aus Mamas Mund kamen. Sie weinte nun auch.
„Sind sie sich dessen bewusst was sie da sagen?", hatte Sophie gefragt.
„Ich... Ich liebe Marlene aber ich kann das nicht. Sie ist immer da. Wenn sie da ist muss ich funktionieren aber ich kann nicht immer funktionieren... Ich kann mich nicht so um sie kümmern wie sie es verdient hat", hatte Mama gesagt. Ihre Stimme wurde  von Wort zu Wort immer leiser. Ich konnte hören wie sehr sie sich überwinden musste das zu sagen aber Tagebuch hast du verstanden was sie da gerade gesagt hat?
Sie will mich nicht mehr. Sie hat gesagt das sie wegen mir Krank wird.
„Frau König wenn sie Marlene jetzt weggeben werde ich sie nicht noch einmal an sie zurückvermitteln. Das ist ihre letzte Chance und das wissen sie. Wir helfen ihnen gerne wenn sie ums sagen wo genau ihr Problem liegt. Was sie überfordert. Aber wenn sie sie jetzt wegschicken dann kommt sie nicht mehr zu ihnen zurück egal wie sehr sie es sich später wünschen. Wir müssen auch an das wohl des Kindes denken und es ist nicht gut für sie wenn sie sich alle paar Monate wieder neu zurechtfinden muss und immer wieder Rückschläge erlebt", hatte Sophie gesagt.
„Das weiß ich aber Marlene hat es verdient glücklich zu sein und in einem guten Umfeld aufzuwachsen aber das kann ich ihr nicht bieten. Zumindest nicht ständig", hatte Mama gesagt.
„Frau König ich finde des gut das sie sich um Marlenes wohl sorgen aber für sie ist es das beste bei ihrer Mutter zu bleiben", hatte Paulina gesagt.
„Ich merke jeden Tag das sie angespannt ist. Ich kann spüren das sie Angst hat. Angst davor das ich wieder krank werde. Marlene steht die ganze Zeit unter Stress. Sie kann sich hier nicht mehr wohlfühlen verstehen sie? Sie kann bei mir nicht mehr glücklich sein und sich sicher fühlen. Die Anspannung verfliegt sobald sie von der Pflegefamilie spricht. Sie hat sich da wohl gefühlt. Ich weiß das es ihr dort besser geht als wenn sie bei mir bleibt. Ich hab meine Chance vertan. Ich hab als Mutter versagt und ich will nicht das Marlene weiter darunter leidet das ich nicht mehr funktionieren kann. Sie hat genug durchgemacht wegen mir. Ich will das sie mir irgendwann mal verzeihen kann aber das wird sie nicht können wenn sie mich immer nur so erlebt", hatte Mama gesagt.

Tagebuch sie hat es gemerkt. Sie hat gemerkt das ich die ganze Zeit Angst vor einem erneuten Rückfall habe und das ich jedes mal Angst habe sie so wie heute zu finden wenn sie noch nicht wach ist wenn sie aufsteht. Ihre Worte spulen sich immer wieder in meinem Kopf ab. Sie hat auf mich geachtet Tagebuch und das die ganze Zeit.

„Ich weiß das das alles für ihre Entwicklung nicht gut ist. Ich war Krankenschwester vor all dem. Mit hab mit solchen Kindern, Kinder die unter der Familiensituation leiden, tagtäglich zu tun gehabt und weiß das sie es in der Zukunft nicht leicht haben. Aber für Marlene ist es noch nicht zu spät. Ich hab lange über all das nachgedacht und auch wenn mir diese Entscheidung mehr als schwer gefallen ist muss ich als Mutter an das wohl meiner Tochter denken. Und für meine Tochter ist es das beste wenn sie in einer stabilen Familie aufwächst", hatte sie gesagt. Ihre Stimme hat gezittert Tagebuch...
„Das klingt als hätten sie gut darüber nachgedacht", sagte Paulina.
„Das habe ich. Das ist die schwerste Entscheidung die ich je treffen musste aber ich habe für meine Tochter entschieden und nicht danach was ich will. Ich hab lange versucht mir einzureden das es für sie das beste ist bei mir zu bleiben und hab alles ausgeblendet was mit mir und den Depressionen zu tun hatte, weil ich nicht wahr haben wollte wie sehr Marlene darunter leidet aber ich muss aufhören die Realität zu verleugnen", hatte sie gesagt.
Ihre Stimme hat so gezittert und sie hat geschluchzt. Sie hat so schlimm geweint. So hab ich Mama nich nie gesehen. Nicht mal während der Depressionen.
Es war still. Keiner sagte etwas.
Ich bin in die Küche gegangen. Ich hab es nicht mehr ausgehalten Mama so zu sehen und hab sie umarmt.
Diese Worte waren schmerzhaft gewesen aber gleichzeitig hatte es sich gut angefühlt das sie an mich gedacht hatte.
Mir liefen ebenfalls die Tränen über die Wangen und Mama hat mir angesehen.
„Du hast schon wieder gelauscht oder?", hat sie leise gefragt und ich hab nur genickt.
„Es tut mir leid Marlene. Ich weiß du wirst es jetzt nicht verstehen aber wenn du älter bist wirst du verstehen. Du wirst verstehen warum ich diese Entscheidung getroffen habe. Spätestens wenn du mal selbst Mutter bist. Ich will das du weiß das ich dich nicht loswerden will", hat sie gesagt und ihre Hand unter mein Kinn gelegt so das ich sie direkt ansehen musste.
„Ich mache das damit du glücklich sein kannst und aufwachsen kannst wie andere Kinder. Verstehst du das?", hat sie gefragt.
----------------------------------
Ich weiß noch genau wie furchtbar diese Situation damals für mich war. Das klang so endgültig. So als ob Mama jetzt aus der Welt wäre.
Aber jetzt wo ich erwachsen bin bin ich so stolz auf Mama. Stolz darauf das sie so mutig war. Das war die Schwerste Entscheidung für sie je getroffen hat. Die Schwester Entscheidung die eine Mutter treffen kann. Ihr Kind wegzugebeb damit es ihm besser geht. Aber diese Entscheidung war so verdammt wichtig für mich und aus heutiger Sicht auch die einzig richtige. Ich will nicht wissen wo ich heute wäre wenn sie anders entschieden hätte...








Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt