Donnerstag, 28. August. 2008

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Liebes Tagebuch,

Mama scheint es wieder schlechter zu gehen. Sie ist seit zwei Tagen nicht aufgestanden und hat das Essen, welches ich gemacht hatte, nicht mehr angerührt. Außerdem scheint sie einen großen Vorrat dieser Tabletten zu haben. Ich verstecke die Schachteln immer in meinem Zimmer, aber trotzdem hat sie jeden Morgen eine neue.

Ich habe das ganze Haus durchsucht in der Hoffnung, auch die anderen Tabletten zu finden, damit Mama gar nicht mehr daran kam und sie wieder wie früher wenigstens ab und zu aufstand.

Felix hat mich angeschrien, warum ich die ganze Wohnung auf den Kopf stelle, aber es schien ihm ziemlich egal zu sein, was mit mir oder Mama war.

Ich mag ihn nicht.

Ich habe gestern extra eine große Portion Spaghetti gekocht, damit es für mich und Mama zwei Tage reichte, und er hat einfach heimlich alles aufgegessen, ohne uns etwas übrigzulassen.

Heute nach dem Mittag ist Mama kurz wach geworden.

Es war aber nicht wie sonst. Sie war irgendwie nicht richtig wach und schien nur die Hälfte davon mitzubekommen, was ich sagte.

Mama hat gesagt, dass es dieses Mal anders ist. Sie hat etwas gesagt, was mir Angst machte.

„Marlene, ich habe meinen Regenschirm verloren", hat sie gesagt.

Jetzt war also der Moment gekommen, vor dem ich immer solche Angst hatte.

Ich habe ihr gesagt, dass ich ihr dabei helfen kann, ihn wiederzufinden, aber sie hat gesagt, dass das nicht geht.

Sie hat gesagt, dass es lange dauern kann, bis es ihr wieder besser geht. Durch ihre Trauer regnet es und der Regen macht sie traurig.

Ein Teufelskreis.

Mama hat gesagt, dass sie Tabletten hat, die ihr helfen, das besser durchzustehen.

Warum sollten ihr Tabletten, die sie zum Schlafen brachten, dabei helfen, wach zu werden?

Ich verstehe das nicht, da kann doch was nicht stimmen ...

Ich musste Mama versprechen, nie eine dieser Tabletten anzurühren. Sie hat gesagt, dass die gefährlich für Kinder sind.

Tagebuch, ich verstehe das nicht. Kinder sind auch nur kleine Erwachsene. Wenn etwas für Kinder nicht gut sein soll, warum sollte es dann für Mama gut sein?

Ich mache mir Sorgen. Ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Beim letzten Mal waren ich und Mama wenigstens allein, jetzt muss ich mich auch noch vor Felix in Acht nehmen.

Auch in der Schule läuft es nicht gerade gut.

Besonders seid, das neue Schuljahr begonnen hat, habe ich immer mehr den Anschluss verloren. Die anderen sind gemein zu mir. Und die Lehrer meckern mich auch nur voll, weil ich mal wieder keine Hausaufgaben habe oder eine Unterschrift fehlt, aber liebes Tagebuch, ich kann das einfach nicht allein, aber das verstehen die anderen nicht. Ich musste Mama noch was versprechen. Nämlich niemanden in der Schule zu sagen, dass es ihr nicht gut geht ... Sie hat gesagt, dass sie uns sonst trennen und das geht nicht.

Ich habe es ihr versprochen.

Versprochen, nie jemanden davon zu erzählen, was zu Hause passierte ...

Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt