5. August. 2010

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Liebes Tagebuch,

Heute ist Donnerstag, und das neue Schuljahr hat begonnen. Wer hat sich bitte ausgedacht, dass ein Schuljahr mitten in der Woche startet? Naja, hingehen muss ich ja so oder so.

Tagebuch, weißt du, dass ich jetzt schon in die 5. Klasse gehe? Es ist so viel Zeit vergangen, seit ich dir das erste Mal geschrieben habe. Schon drei Jahre! Jetzt bin ich in einem anderen Gebäude in unserer Schule, da ich nicht mehr in der Grundschule bin. Das bedeutet, ich sehe Nala, Linus und Liv jetzt noch öfter. Ich vermisse sie.

Genauso wie Luana und irgendwo auch Toni, obwohl ich mich nie viel mit ihm beschäftigt habe. Und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Liv hat immer gesagt, dass Toni so handelt, weil er nur schwer von Menschen Abschied nehmen kann. Er weiß, dass die Kinder, die zu ihnen kommen, früher oder später wieder in ihre Familien zurückkehren, und deshalb baut er keine besondere Bindung zu ihnen auf, um den Abschied leichter zu machen. Sie hat immer gesagt, dass er mich trotzdem liebt und alles für mich tun würde, auch wenn er nicht gut Abschied nehmen kann.

Tagebuch, ich habe darüber nachgedacht, ob ich den Schulsanitätern beitreten soll. Heute sind die älteren Schüler, die im Schulsanitätsdienst sind, durch die Klassen gegangen und haben Flyer verteilt und Werbung gemacht. Allein der Gedanke, dass ich anderen Menschen helfen könnte und nicht mehr nur hilflos daneben stehen muss, motiviert mich. Ich könnte mir das wirklich gut vorstellen. Vielleicht kann ich irgendwann jemanden helfen, der sich in einer ähnlichen Situation befindet, wie ich es einmal war. Ich glaube, ich könnte gut mit anderen reden und ihnen zeigen, dass es besser ist, Hilfe zu suchen, weil dann alles wieder gut wird – so wie bei mir.

Gestern hat Mama aufgeräumt und dabei ein altes Foto gefunden. Es zeigt sie und Papa, etwa 15 Jahre alt. Da war Mama gerade 17, also so alt wie Liv. Mama hat gesagt, dass Papa ihr erster Freund war. Auf diesem Foto sahen sie so glücklich aus, und ich frage mich, was zwischen damals und heute passiert ist. Warum ist Papa so geworden, wie er jetzt ist – zu einem Mörder?

Mama hat das Bild lange angesehen und sah dabei traurig aus. Es scheint, als würde sie sich dasselbe fragen wie ich. Vielleicht weiß sie selbst nicht, was passiert ist. Aber das spielt auch keine Rolle. Papa interessiert uns nicht mehr. Wir leben nicht in der Vergangenheit, sondern im Hier und Jetzt.

Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt