Freitag, 26. September. 2008

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Liebes Tagebuch,

heute ist mein Geburtstag.

Herzlichen Glückwunsch Marlene ...

Ich bin heute acht Jahre alt geworden. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Im letzten Monat ist Mama so gut wie nie aufgestanden. Sie hatte auch mal ab und zu gute Tage, an diesen hat sie mir leichte Gerichte gezeigt, die ich kochen kann, damit ich mich nicht immer nur von Spaghetti ernähren muss.

Mama hat sich an ihren guten Tagen immer von Felix ferngehalten.

Sie hat Angst vor ihm. Er schreit sie ständig an, egal, ob sie schläft oder wach ist.

Sie hat vor ein paar Tagen irgendwas davon gesagt, dass sie sich erneut einen Teufel ins Haus geholt hat. Dann ist sie auf den Küchenboden gesunken und hat geweint.

Sie hat sich entschuldigt. Dafür, dass sie nicht auf mich gehört hat und dass ich mit ihm auskommen muss.

Sie hat gesagt, dass sie dafür sorgen wird, dass wir ihn nie wiedersehen müssen, sobald sie wieder genug Kraft hat.

Ich frage mich, wann das so weit sein wird.

Als ich heute Morgen aufgestanden bin, lag Mama im Bett wie immer. Felix hat zum Glück geschlafen.

Ich habe mir Frühstück gemacht und wollte dann zur Schule gehen.

Frau Krause von nebenan hat mir aufgelauert und mir einen kleinen Kuchen in die Hand gedrückt, mit einer Kerze darauf.

Ich mag Frau Krause, sie ist nett und ich weiß, dass ich jederzeit zu ihr gehen könnte, wenn ich Hilfe brauche. Aber ich habe Mama versprochen, es niemanden zu sagen, auch wenn Frau Krause wusste, dass wieder, was mit Mama ist, weil sie mich gefragt hat, ob sie wieder einkaufen gehen soll für uns. Einkaufen, das macht Mama an ihren guten Tagen. Nur einmal musste ich Frau Krause bitten, weil der Kühlschrank leer war und Mama nicht wach zubekommen war.

In der Schule war alles wie sonst. Ich fühle mich langsam nicht mehr wohl da. Ich weiß langsam nicht mehr, was schlimmer ist Schule oder zu Hause sein.

In der Schule werde ich von den anderen geärgert, weil ich ständig mit zerzausten Haaren oder denselben Klamotten in die Schule komme. Die Lehrer machen es nicht besser. Heute habe ich wieder eine schlechte Note bekommen, weil ich eine Hausaufgabe nicht hatte. Wir sollten einen Steckbrief über ein Familienmitglied machen, zusammen mit dem Familienmitglied.

Mittlerweile versuche ich zumindest die Aufgaben allein zu machen, aber diese ging einfach nicht ohne Mama. Die Lehrer schreien mich immer vor der ganzen Klasse an. Das ist nicht fair.

Sie sagen, ich soll nicht so faul sein.

Ich bin nicht faul. Ich kümmre mich um Mama.

Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten. Nicht mal an meinem Geburtstag konnten sie mich in Ruhe lassen.

Liebes Tagebuch, ich kann nicht mehr ... Das macht mich fertig, aber ich habe es Mama versprochen.

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Ich wischte mir eine Träne von der Wange. Es macht mich noch heute fertig, wenn ich das lese. Ich war damals gerade mal acht Jahre alt und schon mit den Nerven am Ende. Ich bin den Lehrern bis heute böse, dass sie nicht mal darüber nachgedacht haben, warum ich von der guten Schülerin so abgestiegen bin. Vielleicht hätte mir das einiges erspart.

Ich habe mich irgendwie allein auf diesem Planeten gefühlt wie nie zuvor. Ich hatte Mama versprochen, nichts zu sagen, und ich wünschte mir, dieses Versprechen nicht gehalten zu haben. Das hätte sowohl mir als auch Mama einiges erspart.

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Als ich von der Schule nach Hause gekommen bin, sah ich etwas, was mich sehr überrascht hatte.

Mama war wach. Auf dem Küchentisch stand ein Geburtstagskuchen und ich bekam eine lange Umarmung mit Glückwünschen von Mama.

Sie hatte ihren Wackelpudding Kuchen gebacken. Mein absoluter Lieblingskuchen. Er bestand aus ganz normalem Kuchenteig, einer Sahneschicht und in dieser Sahneschicht waren kleine Würfel von Wackelpudding in verschiedenen Farben. Der beste Kuchen, den es gibt.

Mama hat mir eine Kette umgehängt. Mein Geburtstagsgeschenk... Es ist ein Amulett. Darin befindet sich ein Bild von mir und Mama. Mama hat gesagt, es wird mir helfen, diese Zeit zu überstehen und dafür sorgen, dass ich stark bleibe, damit wir die Zeit nach all dem wieder genießen können... Sie hat gesagt, dass es mich daran erinnern wird, nie aufzugeben.

Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt