Liebes Tagebuch,
Eleni lebt nun schon ein paar Tage bei uns und versteckt sich seitdem in ihrem Zimmer. Bei Luana gibt es eine Regel, die sie sehr wichtig findet: Niemand geht in dein Zimmer, wenn du es nicht willst, und du gehst nicht in das Zimmer der anderen. Das bedeutet, dass Eleni die ganze Zeit allein ist. Anders als bei mir zwingt Luana sie auch nicht, zum Essen zu kommen, sondern lässt immer etwas in der Küche stehen, das sich Eleni holen kann. Das macht sie aber immer erst, wenn wir alle in unseren Zimmern sind.
Luana hat gesagt, dass Eleni Zeit braucht, viel Zeit. Ihre Schwester war der einzige Mensch, dem sie noch vertraut hat, und diesen Menschen gibt es nun nicht mehr. Trotzdem will ich ihr helfen, Tagebuch. Obwohl es Luana streng verboten hat, bin ich in ihr Zimmer gegangen.
Eleni stand am Fenster und schaute hinaus. Das tut sie den ganzen Tag, Tagebuch. Sie lässt ihre Tür immer ein Stück offen, weil sie es nicht ertragen kann, das Gefühl zu haben, eingesperrt zu sein. Jedes Mal, wenn ich hineinschaue, steht sie da, ein Bild in der Hand, und blickt nach draußen.
„Eleni", sagte ich leise, und sie erschrak so sehr, Tagebuch, dass sie sich regelrecht gegen die Wand drückte, um so weit wie möglich von mir entfernt zu sein.
„Keine Angst, ich komme nicht näher", sagte ich. Ihre Augen waren so voller Schmerz. Schmerz, den sie in letzter Zeit ertragen musste.
„Du musst nicht sprechen, wenn du nicht willst. Ich akzeptiere das. Ich bin auch so eine wie du. Ich bin hierher gekommen, weil meine Mutter sich nicht um mich kümmern konnte. Ich weiß, dass es manchmal schwer ist, die richtigen Worte zu finden, weil einem so viel gleichzeitig durch den Kopf geht, dass man es nicht beschreiben kann. Ich will nur, dass du weißt, dass du nicht allein bist. Ich habe etwas für dich. Mir hat es geholfen, mein Gedankendurcheinander aufzuschreiben. Vielleicht hilft es dir auch. Das ist zumindest besser, als alles in sich hineinzufressen", sagte ich. Ich legte ihr das Tagebuch neben die Tür und ging wieder hinaus.
Sie muss es geholt haben, denn kurze Zeit später war es weg. Es war nicht leer, Tagebuch. Ich hatte etwas hineingeschrieben, in der Hoffnung, dass sie es liest:
Liebe Eleni,
Es ist okay, still zu sein, wenn man die richtigen Worte nicht findet. Ich weiß, dass das manchmal schwer ist. Es ist okay, keine Nähe zuzulassen, wenn man sich unwohl fühlt. Ich hatte am Anfang gerade bei Toni und Linus meine Probleme. Es ist okay, wenn du dir die Zeit nimmst, die du brauchst, um hier anzukommen. Aber ich will dir sagen, dass du in einer wirklich tollen Familie gelandet bist. Ich fühle mich inzwischen sehr wohl hier, aber auch ich habe lange gebraucht, bis ich all dem eine Chance geben konnte.
Und ich will dir noch etwas sagen: Ich weiß, dass du trauerst. Dass deine Schwester wahrscheinlich der wichtigste Mensch in deinem Leben war. Wusstest du, dass jeder Mensch, der unsere Erde verlässt, einen eigenen Stern im Himmel bekommt? Dieser Stern ist wie ein Haus, in dem die Person lebt. Dieses Haus wird von einer Wolke getragen, und je mehr man an diese Person denkt, je mehr Tränen man verliert, desto schwerer wird das Sternenhaus. Irgendwann kann die Wolke das Haus nicht mehr halten. Es ist zu schwer geworden durch all die Erinnerungen und Gedanken. Das Haus stürzt in Form einer Sternschnuppe auf die Erde zurück. Es ist die Geburt eines neuen Menschen, Eleni. Irgendwann fällt auch das Haus deiner Schwester auf die Erde zurück, und sie kommt als Baby wieder auf die Erde zurück. Deswegen ist es so wichtig, immer nett und gerecht zu allen zu sein, denn du weißt nie, wer vor dir steht. Menschen, die böse waren, bleiben sehr lange da oben, ehe sie von vorne beginnen dürfen, damit sie es im nächsten Leben nicht wieder tun.
Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Deiner Schwester geht es gut da oben, und ich bin mir sicher, dass sie über dich wacht. Du bist nicht allein, Eleni. Auch wenn es dir im Moment nicht so erscheint, es wird alles einfacher, glaub mir.
- Marlene -
Tagebuch, das mit dem Sternenhaus und der Wolke ist vollkommen ausgedacht, aber manchmal hilft es, etwas zu haben, woran man glauben kann, und ich hoffe, dass es Eleni helfen kann, ihre Trauer zu überwinden.
DU LIEST GERADE
Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändern
Teen Fiction-Depressionen betreffen die ganze Familie auch wenn nur ein Mitglied daran erkrankt ist- Das das Leben nicht fair ist, bekommt die siebenjährige Marlene zu spüren. Seit sie Schreiben gelernt hat vertraut sie ihrem Tagebuch ihre Sorgen an. Bisher bes...