Sonntag, 27. September. 2009

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Liebes Tagebuch,

es tut mir leid, dass ich dir gestern nicht geschrieben habe, obwohl ich dir sonst jeden Tag schreibe.

Gestern war mein Geburtstag.

Ich bin jetzt neun Jahre alt Tagebuch und ich glaube, gestern war einer der schlimmsten Tage, an die ich mich erinnern kann.

Ich weiß nicht, warum, aber Felix war gestern besonders schlecht drauf und ich habe ihn auf dem falschen Fuß erwischt.

Er war sehr wütend und hat mich gegen die Wand im Flur gedrängt.

Dann hat er mich zu Boden geworfen und ein paarmal nach mir getreten, bevor er wieder im Wohnzimmer verschwunden ist.

Ich habe es gestern noch geschafft, in mein Zimmer zu kommen, aber mehr nicht mehr.

Mir hat alles wehgetan und tut es auch immer noch.

Mein gesamter linker Rippenbogen ist blau, pocht und tut weh.

Ich weiß, ich habe dir das schon so oft gesagt, aber ich kann nicht mehr.

Ich befinde mich in einem Tornado. Zumindest fühle ich mich so. Um mich herum passieren die schlimmsten Dinge und ich muss im Inneren ums Überleben kämpfen. Aber im Moment fehlt mir die Kraft dazu.

Es ist nicht wie bei Mama. Ich kann aufstehen, aber ich habe Angst vor dem, was der nächste Tag mit sich bringt.

Der Tornado kreist um mich. Schon zwei Jahre. Mit jedem Tag gewinnt er an Kraft.

Er wird größer.

Er wird stärker.

Er nimmt mich immer mehr ein.

Irgendwann werde ich unter seinem Druck zusammenbrechen.

Weißt du Tagebuch, ich dachte, dass ich mich irgendwann daran gewöhnen werde. An das, was mit Mama ist, aber jedes Mal, wenn ich ins Schlafzimmer sehe, tut es weh.

Es tut so unglaublich weh.

Es ist dieser Schmerz, den man nicht betäuben kann.

Er ist da, und zwar immer.

Liebes Tagebuch, ich hoffe noch immer auf ein Wunder.

Auch wenn ich nicht mehr daran glauben kann, dass alles irgendwann besser wird, weil bis jetzt alles immer schlimmer wird.

Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt