Montag, 23. November. 2009

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Liebes Tagebuch,

Es tut mir leid, dass ich mich in den letzten Tagen nicht gemeldet habe. Aber ich bin krank.

Luana hat gesagt, ich habe mir eine Grippe eingefangen.

Mir ging es in den letzten Tagen nicht besonders gut, deswegen habe ich dir nicht geschrieben, sondern die meiste Zeit nur geschlafen.

Ich muss sagen das es mir zum ersten Mal richtig auf die Nerven geht das Luana Ärztin ist.

Sie kommt ständig und will wissen wie es mir geht, macht mir Wadenwickel, weil ich Fieber habe und will ständig, dass ich Tee trinken.

Tagebuch ich glaube so viel Tee wie ich in den letzten drei Tagen trinken musste habe ich im gesamten Rest meines Lebens nie getrunken.

Außerdem hat mir Luana vor zwei Tagen eine Spritze gegeben, weil das Fieber so hoch war.

Ich hasse Spritzen, Tagebuch.

Es tut weh und sie haben lange Nadeln, mit denen sie eine stechen wollen.

Spritzen stehen auf der Liste meiner Feinde.

Meine Feinde

Papa

Felix

Und jeder andere der die Bären im Zoo „langweilig" findet

Spritzen

Mamas Gewitterwolke oder eher gesagt ihre Depression

Und Mamas verdammter Regenschirm.

Ich mag dich nicht mehr Regenschirm, warum hattest du so viele Löcher? Und warum bist du nicht bei Mama geblieben?

Ihr Regenschirme habt nur eine verdammte Aufgabe und das ist andere vor dem Regen zu schützen und nicht mal das hast du hinbekommen...

Ich mag auch Frau Schuster nicht mehr. Sie hat Mama beim ersten Ausbruch der Depressionen geholfen, aber beim zweiten Mal hat sie uns im Stich gelassen. Ich habe Luana davon erzählt, dass ich nochmal versucht hatte, sie anzurufen, aber dachte als sie nicht dran ging, dass sie uns nicht helfen wollte. Luana hat gesagt, dass ich es einfach weiter hätte probieren müssen. Das Samstagabend und Sonntags meistens alle Praxen zu haben. Ich weiß, es ist vielleicht unfair Tagebuch, aber ich gebe Frau Schuster die Schuld daran, dass alles so geworden ist, wie es ist.

Ich brauche jemanden, den ich für all das verantwortlich machen kann...

Luana ist heute am Samstagmorgen noch in der Praxis und arbeitet. Trotzdem kommt sie immer, wenn mal eine Lücke zwischen den Patienten ist rüber und schaut nach mir. Liv ist übers Wochenende mit Freunden unterwegs und Toni ist mit Nala zu einem Wettkampf gefahren. Einem Wettkampf im Kickboxen.

Deswegen hat Luana Linus dazu genötigt zu Hause zu bleiben, damit ich nicht allein bin. So ein Blödsinn Tagebuch.

Ich komme gut allein zurecht.

Auch wenn ich zugeben muss das es sich wirklich gut anfühlt das sich jemand Sorgen in einem macht.

Aber so ganz wohlfühle ich mich nicht, wenn ich mit Linus allein bin.

Es ist besser geworden, Tagebuch. Ich kann mich mit ihm unterhalten, aber eine Spur Misstrauen ist da immer noch und ich kann sie einfach nicht ablegen. Dabei ist Linus so nett zu mir.

Ist es nicht unfair, dass ich ihm trotzdem nicht vertrauen kann?

Man Tagebuch manchmal wünschte ich, du könntest sprechen, damit mir mal jemand antworten auf meine ganzen Fragen gibt.

Ich werde mich jetzt noch etwas hinlegen, Tagebuch, damit ich schnell wieder gesund werde.

Tagebuch ich bin aufgewacht als ich ein Geräusch gehört habe und als ich die Augen geöffnet habe stand Linus vor mir.

Du hast noch offen neben mir gelegen und ich konnte genau sehen, dass er seine Augen auf die Zeilen gerichtet hatte.

Er hat mir eine neue Tasse Tee hingestellt und sich zu mir aufs Bett setzt.

Er hat mich gefragt, ob das stimmt, was dasteht.

Ob ich wirklich Angst vor ihm habe.

Ich habe keine Antwort auf diese Frage Tagebuch.

Ich weiß nicht, ob ich Angst vor ihm habe, aber ich habe trotzdem ein komisches Gefühl im Bauch, sobald er den Raum betritt und das ist bei Toni genau so.

Ich hoffe, er weiß trotzdem, dass ich ihm dankbar bin, dass er mich so gut mit in die Familie aufgenommen hat und dass er sich um mich kümmert als wäre ich wirklich seine Schwester.

Ich kann mich noch genau an seinen Blick erinnern. Es war eine Mischung aus Trauer und Enttäuschung.

Tagebuch ich will nicht das Linus meinetwegen traurig ist. Ich habe in den letzten zwei Jahren einen wahnsinnigen Hass gegen Tränen und Traurigkeit entwickelt.

Ich mag es nicht, wenn andere traurig sind, schon gar nicht meinetwegen.

Ich hoffe Linus weiß, dass ich ihn trotzdem mag, auch wenn ich es ihm im Moment noch nicht richtig zeigen kann...

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Ich kann mich noch heute genau an seinen Blick erinnern. In dem Moment hat mit Linus so unfassbar leidgetan. Ich weiß noch genau, dass ich mein Tagebuch nochmal offen liegen gelassen habe, damit Linus den zweiten Teil des Tagebucheintrages auch noch liest. Damit er nicht mehr traurig ist und ich glaube, dass er das auch wirklich getan hat, zumindest hat er mich am nächsten Morgen mit einem Lächeln auf den Lippen begrüßt.

Heute ist Linus sowas wie mein bester Freund und Nala auch. Nala, Liv und Linus sind mir im Laufe der Zeit so wichtig geworden als wären sie wirklich meine Geschwister und ich kann mir ein Leben ohne die drei heute nicht mehr vorstellen.

Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt