20. Februar. 2010

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Liebes Tagebuch,

Heute ist Nalas Geburtstag, und sie wird 13 Jahre alt. Da es Samstag ist, gab es gleich heute eine große Party. Viele von Nalas Freunden waren hier, und Karla durfte auch kommen, damit mir nicht langweilig wird. Karla ist jetzt meine beste Freundin, und wir verbringen fast jeden Tag zusammen.

Neben Nalas Freunden waren auch viele aus Luanas und Tonis Familie da. Besonders nett war Stefanie, Luanas Mutter. Sie hat mich gleich herzlich begrüßt, als wäre ich schon immer ein Teil der Familie, und mir Schokolade mitgebracht. Sie meinte, sie müsse ihre neue „Enkelin" doch verwöhnen.

Ich habe noch nie eine Großmutter gehabt. Die Eltern von Mama waren schon vor meiner Geburt gestorben, und die von Papa habe ich nie kennengelernt. Mama hat immer gesagt, sie lebten so weit weg, dass sie uns nie besucht haben. Vielleicht am Nordpol wie der Weihnachtsmann – den habe ich auch noch nie gesehen, obwohl er uns einmal im Jahr besucht.

Den ganzen Tag habe ich mit Karla gespielt. Nach viel Kuchen, Süßigkeiten und Chips haben wir gemeinsam mit Nala und ihren Freunden ein Spiel gemacht. Nala hatte einen Teller mit einem Berg Mehl vorbereitet, in dessen Spitze ein Gummibärchen steckte. Jeder musste mit einer Gabel Stück für Stück Mehl abtragen, ohne dass der Berg einstürzte. Wenn der Berg zusammenfiel, musste man das Gummibärchen nur mit dem Mund aus dem Mehl holen. Es war ein Riesenspaß und hat zu lustigen Fotos geführt.

Als Karla um halb acht abgeholt wurde, war Nala mit ihren Freunden in ihr Zimmer verschwunden. Ich habe noch eine Weile mit Liv auf der Terrasse gesessen und Tee getrunken. Dann kam Luana und hat gesagt, dass es Zeit sei, ins Bett zu gehen. Ich bin mit ihr gegangen, aber kaum war sie weg, bin ich wieder aus meinem Zimmer geschlichen.

Ich habe gehört, wie Luana und Stefanie draußen gesprochen haben. Luana sagte, dass es mir deutlich besser geht und ich mich gut gemacht habe. Stefanie fragte, wann ich wieder zu Mama zurück kann, und Luana antwortete, dass es wohl noch eine ganze Zeit dauern werde. Die Klinik hat vorerst weiteren Kontakt, auch telefonisch, untersagt.

Das hat mich schockiert. Luana wusste mehr über Mama, als sie mir gesagt hat. Ich hatte sie so oft gefragt, ob es Neuigkeiten gibt, besonders nach dem abgebrochenen Telefonat, und sie hatte immer gesagt, sie wisse nichts. Dabei wusste sie die ganze Zeit Bescheid.

Luana erzählte Stefanie, dass Mama nach unserem Telefonat einen Rückfall hatte und jetzt wieder bei Null anfangen muss. Ich fühle mich schuldig, Tagebuch. Ich habe das Gefühl, ich bin schuld daran, dass es Mama schlechter geht. Vielleicht bin ich eine schlechte Tochter. Ich habe mich bemüht, alles richtig zu machen, und doch habe ich das Gefühl, nur Fehler zu machen.

Luana hat gesagt, dass Mama sich ständig Vorwürfe macht, weil sie sich nicht genug um mich gekümmert hat und sich allein gelassen fühlt. Die starken Medikamente, die Mama bekommt, sollen ihr helfen, nicht mehr so viel nachzudenken. Luana sagte auch, dass Mama sich bemüht hat, schnell wieder gesund zu werden, um zurück zu mir zu kommen. Aber Luana glaubt, dass sie mich schon verloren hat, weil ich ihr von Luana und ihrer Familie erzählt habe.

Ich fühle mich, als hätte ich Mama den Boden unter den Füßen weggezogen und ihren Regenschirm weggenommen. Sie ist wieder vollkommen den Gewitterwolken ausgesetzt, und ich glaube, dass ich daran schuld bin. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht genauso schlimm bin wie Papa oder Felix. Ich habe nicht nur dafür gesorgt, dass Mama nicht völlig zerbricht, sondern dass sie auch noch mehr leiden muss.

Ich bin traurig, Tagebuch. Ich habe das Gefühl, dass ich alles falsch gemacht habe und dass ich eine furchtbare Tochter bin.

Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt