10. März. 2011

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Liebes Tagebuch,

ich glaube, Eleni hat den Tagebucheintrag tatsächlich gelesen. Es kann sein, dass ich mir das nur einbilde, aber ich glaube, dass sie langsam beginnt, mir zumindest ein wenig zu vertrauen. Ich kann mittlerweile in ihr Zimmer sehen, ohne dass sie sich in die letzte Ecke verkriecht. Bei den anderen macht sie das immer noch.

Luana hat gesagt, dass Eleni bald auch in die Schule gehen muss. Sie hat erklärt, dass Eleni erst in die erste Klasse geht und dass es wichtig ist, dass sie nicht zu viel verpasst. Luana meinte, dass sie ihr gerne mehr Zeit gegeben hätte, ihr aber nicht helfen kann, wenn Eleni sie nicht an sich heranlässt. Sie hat gesagt, sie hätte Eleni auch zunächst zu Hause unterrichtet und ihr den Stoff zumindest ein bisschen näher gebracht, damit sie nicht allzu weit zurückfällt.

Ich verstehe, dass Luana das macht, weil sie das Beste für Eleni will, aber ich weiß, dass das nicht die richtige Lösung sein kann. Wenn Eleni nicht einmal uns an sich heranlässt, wie soll das dann in einer Klasse funktionieren? In einer Klasse kann sie den Abstand nicht wahren, den sie braucht, um sich wohlzufühlen, und vor allem wird sie es furchtbar schwer mit den anderen haben.

Tagebuch, Kinder können grausam sein, das habe ich selbst am eigenen Leib erfahren. Wenn du nicht stark bist, dann sind sie gemein zu dir. Ich habe das irgendwie ausgehalten, aber Eleni ist jetzt schon am Ende. Das würde sie kaputt machen. Ich hoffe, dass ich das Luana irgendwie klarmachen kann. In der Schule würde sie momentan untergehen, selbst wenn sie an eine gute Schule geht, wo es wirklich wenig Streit gibt. Aber Ausgrenzung gibt es nun mal überall, und gerade die Tatsache, dass sie sich selbst ausgrenzt, macht es nicht besser.

Ich habe das irgendwann auch gemacht, weil es mir irgendwann lieber war, gar nichts mehr mit den anderen zu tun zu haben, als immer nur Kontakt mit ihnen zu haben, wenn sie mich ärgerten. Aber man braucht den Kontakt zu anderen, und auch Eleni braucht ihn. Man merkt, wie sehr sie sich danach sehnt, aber sie kann es einfach nicht zulassen.

Es ist wie mit den Hunden, Tagebuch. Wenn dich ein Hund gebissen hat, hast du automatisch auch vor allen anderen Hunden Angst oder zumindest Misstrauen, obwohl sie dich nie gebissen haben. So ist das auch bei Eleni. Den Menschen, denen man als Kind am meisten vertraut, sind nun mal die Eltern, und wenn die einem so etwas antun, dann ist es schwer, je wieder jemandem trauen zu können.

Ich weiß nicht, was Elenis Eltern mit ihr gemacht haben, aber Sophie hat gesagt, dass sie viele blaue Flecken und andere Verletzungen hatte. Vielleicht waren sie so wie Felix, nur dass Eleni das jahrelang aushalten musste. Ihre Schwester war die Einzige, die ihr Halt gegeben hat, der einzige Mensch, dem sie vertrauen konnte und der ihr Vertrauen nicht gebrochen hat. Und diesen Menschen gibt es nicht mehr.

Tagebuch, Eleni ist in einem ganz tiefen Loch. Dort gibt es kein Licht, und sie ist in der Dunkelheit gefangen. Ich kann verstehen, dass sie sich so verhält, aber ich werde ihr helfen, aus diesem Loch herauszukommen. Meine Leiter steht schon drin, jetzt muss sie nur noch meine Hand nehmen, damit ich sie daraus holen kann...






Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt