23. Mai. 2011

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Liebes Tagebuch,

ich bin immer noch sauer auf Luana und habe seitdem nicht mehr mit ihr gesprochen. Sie hat in den letzten drei Tagen immer wieder versucht, mit mir zu reden, aber ich will das gerade nicht. Sie hat es geschafft, dass Eleni mir nicht mehr vertraut, und jetzt vertraue ich ihr auch nicht mehr. Das war einfach nicht richtig von ihr, Tagebuch.

Eleni ist wieder allein in ihrem Zimmer. Paulina hat versucht, mit ihr zu sprechen, nachdem sie alles gehört hatte, aber Eleni brachte nur noch die Worte „Das ist mein Zimmer!" heraus. Also musste Paulina gehen, denn so sind nun mal die Regeln. Niemand geht in dein Zimmer, wenn du es nicht willst. Diese Regel hat Luana selbst aufgestellt, also müssen sich alle daran halten.

Heute war ich mit Liv und Nala ein Eis essen. Die beiden haben mich regelrecht aus dem Zimmer geschleppt. Ein Eis essen im Mai – ich habe gesagt, dass es keine Eiszeit ist, aber Liv hat abends gesagt, dass ein Eis immer geht. Da haben sie recht, Tagebuch, aber ich wollte trotzdem nicht. Irgendwann ging mir Nala mit ihrem „Bitte, bitte, bitte, Marlene, bitte" so auf die Nerven, dass ich doch mitgegangen bin.

Es war das erste Mal seit langem, dass Liv sich nur Zeit für mich genommen hat. Liv wird im Sommer ihre Schule beenden und möchte dann studieren. Sie will Lehrerin werden, und ich bin sicher, dass sie eine gute Lehrerin wird, aber ich vermisse die gemeinsame Zeit mit ihr. Sie ist noch immer mit Jonah zusammen. Linus bewundert sie dafür – er hat nie lange dieselbe Freundin. Ich bin mir nicht sicher, ob er gerade eine hat; ich blick da nicht ganz durch. Auf jeden Fall will Liv mit Jonah zusammenziehen, da beide studieren wollen. Jonah möchte irgendetwas mit Maschinen und Technik studieren, aber genau weiß ich nicht, was das ist.

Liv und Jonah bereiten seit Wochen ihre Wohnung vor, deswegen sehe ich Liv momentan eigentlich nur noch in der Schule. Deshalb bin ich froh, dass ich sie und Nala mal wieder ganz für mich habe.

Ich bin mittlerweile ein vollwertiges Mitglied der Schulsanitäter. Ich habe mich dazu durchgerungen, mich anzumelden und diesen Kurs zu machen, den ich mir schon lange vorgenommen hatte. Eleni war der ausschlaggebende Punkt. Sie hat mir gezeigt, dass ich anderen Menschen helfen kann, und es fühlt sich gut an, anderen zu helfen, besonders wenn einem selbst nicht geholfen wurde. Es ist eine Möglichkeit, sicherzustellen, dass es einem anderen Kind nicht so geht wie mir. Und das, Tagebuch, fühlt sich einfach nur gut an.

Während wir auf unsere Eisbecher warteten, schwiegen wir uns an. Ich wusste genau, was die beiden vorhatten – sie würden auf das Eis warten, um mich dann wieder auszufragen. Manchmal sind die beiden einfach zu leicht durchschauen.

„Wieso wartet ihr so lange? Na los, macht schon. Fragt mich aus!", habe ich gesagt. Die Blicke der Schwestern gingen hilflos hin und her.

„Was ist schon wieder los? Warum sprichst du nicht mehr mit Luana und versteckst dich vor ihr? Sie macht sich Sorgen, und wir verstehen dieses Mal auch nicht, was los ist", sagte Liv.

Irgendwie tun diese Worte weh, Tagebuch. Als wäre ich eine Last. Vielleicht bin ich das ja auch. Vielleicht bin ich wirklich nicht gut genug. Ich...

NEIN! DAS STIMMT NICHT!

Tagebuch, ich will nicht, dass diese Zweifel wieder kommen. Sie rauben einem die Kraft.

„Marlene? Mama macht sich Sorgen um dich. Sie will wissen, warum du nicht mit ihr sprichst, warum du dich so komisch verhältst", sagte Nala dann.

„Ach, dass ich ihrer Meinung nach einen Knall habe, hat sie euch erzählt, ja? Aber dass sie mich vor Eleni bloßgestellt hat. Dass sie mich ausgenutzt hat, um von Elenis Vergangenheit zu erfahren, und Eleni seitdem kein Wort mehr mit mir spricht, weil sie glaubt, ich hätte sie verraten, das hat sie euch nicht erzählt. RICHTIG?", habe ich laut gesagt, und mir standen die Tränen in den Augen. Ihren Blicken nach zu urteilen, hatten sie davon noch nichts gehört.

Tagebuch, etwas absichtlich zu verschweigen, ist auch eine Lüge!

„Seht ihr, aber dann sagen, dass mit mir etwas nicht stimmt. Das hat Luana verbockt, und es war ausnahmsweise mal nicht meine Schuld!", habe ich gesagt.

„Das hat ja auch keiner gesagt!", antwortete Liv.

„Ihr habt es aber gedacht. Ihr habt gedacht: ‚Was ist denn jetzt schon wieder mit ihr los? Kann sie denn nicht mal normal sein?' Nein, kann ich nicht, und ich werde auch nie normal sein, und Eleni wird es auch nicht. Warum könnt ihr das nicht einfach mal akzeptieren und uns in Ruhe lassen? Ja, es geht mir besser, seit ich bei euch bin, aber ich werde nie einfach so an fremden Männern vorbeigehen können, ohne Angst zu haben. Ich bin nicht so normal, wie ihr mich gerne haben wollt, und ich werde es auch nie sein. Warum muss Luana unbedingt wissen, was Eleni passiert ist? Reicht es nicht, dass es ihr besser geht und dass sie offener wird? Nein, sie muss wieder alles wissen und lässt mich dann blöd dastehen, und dann bin ich die Böse, weil ich sauer auf sie bin? Nein, dieses Mal lasse ich die Schuld nicht auf mich schieben. Diesmal muss Luana mal bei sich selbst nach den Fehlern suchen. Bei mir findet ihr den nicht! Wenn ihr mit jemandem reden müsst, dann mit ihr!", habe ich wütend gesagt.

Ich war so wütend, Tagebuch!


Mama hat ihren Regenschirm verloren - Wie Depressionen eine Familie verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt