Auf einmal rüttelte mich jemand am Arm. "Jenna wach auf, beruhig dich", rief mein Papa und setzte sich neben mich. "Du hast schlecht geträumt", flüsterte er und nahm mich in den Arm. Vorsichtig befreite ich mich aus der Umarmung und stürmte rüber ins Kinderzimmer. Philipp lag alleine in seinem Bett. "Ich hab nicht schlecht geträumt", jammerte ich, als ich mich wieder zurück aufs Sofa legte. "Wir helfen euch Beiden da wieder raus zu kommen", flüsterte mein Papa und legte sich neben mich. "Wo sind die anderen?", fragte ich. "Felix, Anni und Theo schlafen im Gästezimmer, Astrid und Jürgen sind unten bei euren Nachbarn und Fabian und Irina schlafen mit Mario in eurem Zimmer", erklärte er und legte einen Arm um mich. "Und du?", schniefte ich. "Ich pass auf meine Prinzessin auf", flüsterte er. "Danke Papa", weinte ich und legte meinen Kopf auf seine Brust, "egal wer mein Prinz ist, du wirst immer mein König bleiben". "Ich hab dich lieb", flüsterte er und gab mir einen Kuss auf meine Haare. Die Situation war so schrecklich und schön zugleich. "Wieviel Uhr ist es?", erkundigte ich mich. "Gleich halb sieben", antwortete er. Ich sah auf einmal keinen Grund mehr weiterzuschlafen. "Papa?", meinte ich nach fünf Minuten wieder. "Ja?", fragte er. "Wir müssen eine Beerdi.." -"Das machen deine Tanten und Fabian", unterbrach er mich, "mach dir keine Sorgen". "Danke", seufzte ich und legte mich wieder hin. Um sieben Uhr stand Fabian in der Küche und machte uns allen Frühstück. Irgendwie erinnerte er mich in letzter Zeit sehr an seine Mutter. "Danke", flüsterte ich, als er mir einen Kamillentee gab. Wir setzten uns an den Küchentisch und sagten nichts. "Wie gehts Mario?", erkundigte ich mich nach einigen Minuten. "Richtig scheiße", meinte er. Als Irina auch aufgestanden war beschloss ich rüber ins Schlafzimmer zu gehen. Mario lag wie ein Stein da und rührte sich nicht. Vorsichtig setzte ich mich auf die Bettkante und streichelte über sein Gesicht. Wieder rannten mir Tränen übers Gesicht. Mein Freund hatte die Augen leicht geöffnet und hob die Bettdecke hoch, sodass ich mich mit darunter legen konnte. "70% aller Eheschließungen scheitern, nachdem man ein Kind verloren hat", flüsterte er kalt. "Wieso sagst du das und woher weißt du das?", wimmerte ich. "Hab ich mal gehört", meinte er. "Erstens sind wir nicht verheiratet und zweitens haben wir noch ein Kind und für das wir jetzt stark sein müssen", flüsterte ich. "Trotzdem ist mein kleines Mädchen tot", flüsterte er. "Wieso bist du jetzt so böse zu mir?", heulte ich. "Tut mir leid Baby", flüsterte er und setzte sich auf, "ich brauch jetzt jemanden zum reden". "Kannst du mit mir nicht reden?", meinte ich und wischte mir eine Träne aus den Augen. "Doch aber ich brauch ein Mann-zu-Mann-Gespräch", antwortete er, stand auf und ging aus dem Zimmer. Ich verstand nicht richtig was er wollte, doch wenn er so seine Trauer bekämpfen würde war es für mich okay. Langsam tappte ich zurück zum Sofa. Mario saß draußen auf dem Balkon und hatte sein Handy am Ohr. "Mit wem telefoniert er?", fragte Astrid und setzte sich neben mich. "Keine Ahnung, er wollte ein Männergespräch", antwortete ich und beobachtete ihn weiter. Er redete irgendwas vor sich her und schaute in den Himmel. "Wie gehts dir?", flüsterte sie und strich mir über den Arm. "Ganz okay. Meine kleine Tochter ist tot, mein Freund ist kurz vor einem Nervenzusammenbruch und ich weiß nicht wie es weitergehen soll", antwortete ich. Beim Blick nach draußen begann mein Herz wieder heftig zu schmerzen. Tränen rannten über Marios Gesicht und er fing wieder an heftig zu weinen. "Ich will nicht, dass er so leidet", wimmerte ich und legte vorsichtig meinen Kopf auf Astrids Schulter. "Mir tut es auch weh ihn so zu sehen", flüsterte sie und schniefte heftig. "Nicht weinen Mama", flüsterte ich und schaute ihr ins Gesicht. Sie lächelte gequält und wischte sich die Tränen von den Backen. "Er hat vorhin erzählt, dass 70% aller Ehen nach dem Tod von einem Kind zuende gehen", weinte ich. "Jenna wieso glaubst du so einer Scheiße", seufzte meine Schwiegermutter. "Wieso glaubt er sowas?", fragte ich. In dem Moment ging die Balkontür wieder auf und Mario kam herein. "Wer war das?", fragte ich. "Marco. Er bricht seinen Urlaub ab und kommt bald vorbei", flüsterte er und setzte sich neben mich. Marco war warscheinlich der einzige, der ihn noch irgendwie zurückholen konnte. "Komm her Mäuschen", flüsterte er, als ich ihm am Abend die Tür öffnete. "Danke das du da bist", grinste ich gequält. "Du brauchst nicht zu lachen, ich weiß wie du dich fühlst. Wo ist Mario?", fragte er und ließ mich wieder los. "Im Wohnzimmer", antwortete ich und trat ihm aus dem Weg. Michael und Astrid waren zum Einkaufen gefahren und Fabian begann mit den Beerdigungsplänen. "Du musst das hier nicht machen", meinte er, als ich mich neben ihn an unseren Schreibtisch setzte. "Doch", seufzte ich und schaute in den Laptop. "Kümmer dich lieber um Philipp, ganz ehrlich", meinte er, "er hat jetzt schon seine Schwester verloren und ich will nicht, dass er auch noch seine Eltern dadurch verliert". Er hatte Recht. Ich hatte mich seit zwei Tagen nicht mehr mit meinem Sohn abgegeben. Wortlos stand ich auf und lief ins Kinderzimmer. Felix saß auf dem Schaukelstuhl und war über das Baby gebeugt. "Hey", flüsterte ich und blieb in der Tür stehen. "Schau mal wer da ist", flüsterte er und Philipp drehte seinen Kopf in meine Richtung. Gequält grinste ich ihm zu und winkte ihm. "Hallo mein Schatz", meinte ich mit hoher Stimme und er fing an zu quieken. Mir blieb die Stimme weg. Meine Tränen schnürten mir wieder die Kehle zu. "Zeig mal der Mama wie schön du lachen kannst", flüsterte Felix und lief auf mich zu. Er drückte mir das Baby auf den Arm und strich mir kurz über den Arm. Philipp schaute mir ins Gesicht und hatte seine Mundwinkel immernoch oben. "Wir müssen da jetzt wohl zu dritt durch kleiner Mann", seufzte ich und trug ihn rüber ins Wohnzimmer. Dort machte ich aber ganz schnell wieder kehrt. Mario saß auf dem Boden und heulte Wasserfälle und Marco saß neben ihm und redete auf ihn ein. "Mein Leben ist zerstört!", hörte ich ihn schreien. "Komm wir machen einen Spaziergang", flüsterte ich meinem Sohn zu und schlüpfte einfach nur in meine Sandalen. Draußen war es unerträglich heiß und eine große Sonnenbrille verbarg meine roten und dunklen Augen. Ohne nachzudenken lief ich Richtung Englischen Garten. Die Sonne stach immernoch, obwohl es schon acht Uhr war. "Jenna Gentzel!", schrie mich auf einmal jemand. Erschrocken fuhr ich herum. Ein Reporter kam mir hinterher gerannt. "Haben sie keinen Feierabend?", fragte ich mit leiser Stimme. "Na so jemanden wie sie bekommt man ja nicht allzu oft vor die Linse", antwortete er und wollte ein paar Fotos schießen. "Hören sie bitte auf", meinte ich und versuchte Philipp von ihm wegzudrehen, doch er hörte nicht auf mich. "Sehen sie nicht, dass es mir nicht gut geht?", zischte ich. "Wegen Mario?", fragte er neugierig. "Nein", entgegnete ich, "doch irgendwie schon". "Wollen sie ihn gar nicht heiraten?", wollte er wissen. "Das geht sie einen Scheißdreck an", zischte ich und lief schneller, doch er verfolgte mich. "Hauen sie ab", schrie ich. Wieder wurde mir alles zuviel und mir liefen die Tränen über die Wangen. "Leiden sie unter ihrem Freund?", was seine nächste Frage. "Lassen sie mich in Ruhe!", brüllte ich weinend und rannte von ihm weg. Philipp an mich gepresst und weinend lief ich die Straßen entlang, bis ich wieder vor unserer Wohnung stand. Völlig außer Kräfte schloss ich die Tür auf und setzte mich auf die Treppe. Ich konnte meine Schreie nicht zurückhalten. "Warum?!", schrie ich und beugte mich über Philipp. Er schaute mich nur mit erschrockenem Blick an. Oben öffnete sich eine Tür und meine Schwester kam herunter. Ohne irgendein Wort zu sagen führte sie mich nach oben und nahm mir mein Kind aus den Armen. Langsam lief ich ins Wohnzimmer und legte mich aufs Sofa. Mario kauerte immernoch an der Wand und wimmerte in ein Kissen. Lias Kissen. Marco saß neben ihm und strich ihm über den Rücken. Ich hätte auch gerne so einen guten Freund, der mir aus dieser Situation helfen würde. Ich spührte, wie mir jemand eine Decke über meinen Körper legte und mich am Kopf küsste. Mir war es egal wer es war, doch ich war so froh meine Familie in dieser Zeit bei mir zu haben.
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Love never runs out (Mario Götze FF - ON HOLD)
Fanfiction"Lass mal zu der da hinten gehen" - ein Satz, der das Leben zweier Menschen komplett veränderte.