Ich schlief die ganze Nacht nicht. Das leere Bett neben mir, das Foto auf meinem Nachttisch, sogar seine alte Trainingsjacke, die über einen Stuhl geworfen war, machte mich fertig. Ich hatte schon lange keinen Liebeskummer mehr, dafür traf es mich dieses Mal umso härter. Verzweifelt suchte ich Facebook nach dem Namen Svenja Cleary ab, doch fand nichts. Um drei Uhr nachts setzte ich mich vor den Fernseher und zappte durch die Programme. Irgendwann begann auf RTL das Assi-Morgenprogramm, was ich mir in meiner Verzweiflung auch anschaute. Endlich wurde es draußen hell und ich konnte Philipp wecken. "Du schaust voll traurig aus", meinte er, als wir gegenüber am Frühstückstisch saßen. "Wieso, ich hab nur wenig geschlafen", krächzte ich und schmierte ihm ein Butterbrot. "Du vermisst Papa oder?", fragte er und schaute mir direkt in die Augen. Sein Blick tat so weh, dass ich mir auf die Lippen beißen musste. "Noch 59 Mal schlafen, dann sehen wir ihn wieder", versuchte er mich zu beruhigen. Darauf sagte ich nichts, sondern reichte ihm das Brot. "Müssen wir umziehen, wenn es Papa gefällt?", wollte er wissen. 1000 Mal lieber würde ich nach Manchester zeihen als alleine hier zu bleiben. "Vielleicht", flüsterte ich und strich mir über die Augen. In dem Moment klingelte es an der Tür. "Wer kommt denn um halb sieben vorbei?", fragte mein Sohn und rannte zur Tür. Schnell strich ich mir meine Haare zurecht und lief ihm hinterher. "Onkel!", rief Philipp. "Was machst du denn hier?", fragte ich Felix. "Ich würde Philipp in die Schule bringen, solange Mario nicht da ist", erklärte er, fast wie auswendig gelernt. Ich konnte ihn nicht wegschicken. Er befand sich in der gleichen beschissenen Situation wie ich. "Komm rein", seufzte ich und lief zurück in die Küche. "Wie geht's Mario?", wollte er wissen und setzte sich mit an den Tisch. "Wir haben noch nicht gesprochen", zuckte ich mit den Schultern und gab ihm eine Tasse mit heißem Tee. "Ich will ihn heute anrufen", mischte sich Philipp dazwischen und biss in sein Brot. "Das machen wir heute nach der Schule okay?", schlug Felix vor. "Hast du heute kein Training?", wollte ich provokativ wissen. "Doch aber nur vormittags", beachtete er mich. "Ich geh Jonas wecken", meinte ich schnell. Ich wollte Felix nicht vom Telefonat erzählen, vielleicht stimmte es ja auch gar nicht. Jonas war schon wach und schaute mit seinen braunen Augen zu mir hoch. "Wenigstens redest du nicht die ganze Zeit von ihm", seufzte ich und trug ihm zum Wickeltisch. Genauso wie Philipp früher schrie er einfach nicht. "Jenna", meinte Felix, der hinter mir im Türrahmen stand, "Astrid und Jürgen kommen heute vorbei und wollen mit Mario über Skype telefonieren", fuhr er fort, "sie verstehen das nicht so ganz und wir müssen es ihnen erklären. Könnten wir zu euch, weil bei mir ist gerade Chaos",. "J..ja..klar. Sind die Beiden wohl in der Stadt?", fragte ich. "Ja sie sind bei Fabian und wollen Jonas sehen", erklärte er. Ich drehte mich in seine Richtung und schnaufte: "Ja klar, ich kann einen Kuchen backen, wenn du Philipp von der Schule wieder holst", meinte ich leise und drehte mich wieder rum, um Jonas einen neuen Strampler anzuziehen. "Mario hat aber seinen Laptop vergessen, da wird Skype problematisch", erwähnte ich. "Hab schon mit ihm geschrieben, er bekommt das mit seinem Handy auch irgendwie hin", antwortete er. "Gut", flüsterte ich und versuche mich auf meinen Sohn zu konzentrieren. Felix erinnerte mich so an Mario. Er sprach genauso, dachte genauso und war allgemein vom menschlichen genauso. "Ich such Philipp was zum Anziehen raus, ja?", meinte er und wartete nur auf mein Nicken. "Geh einfach", dachte ich mir und nickte mit dem Kopf. Der Gedanke an Mario durchbohrte mein Herz. "Wir gehen Mama!", brüllte Philipp, als er eine halbe Stunde später mit seinem Schulranzen in der Tür stand. "Tschüss hab einen schönen Tag Spatz", grinste ich und winkte ihm kurz zu. Dann waren sie auch wieder weg und ich wieder ganz alleine. Mit Jonas. Doch der sagte nichts. Im Laufe des Vormittags putzte ich die Wohnung und backte einen Kuchen, doch dachte immer an Mario. Vielleicht klärte sich die Situation, wenn wir telefonieren würden. Gegen halb drei trudelten Felix und Philipp wieder ein, weil sie noch im Olympiapark kicken waren und wenig später kamen auch Astrid und Jürgen vorbei. Etwa eine halbe Stunde beschäftigten sie sich mit Jonas und dann holte Felix seinen Laptop heraus und erklärte ihnen, wie sie Mario anrufen könnten. "Jenna er ist online, kommst du auch?", rief Felix, als ich die Teller in die Spülmaschine räumte. Ohne zu widersprechen lief ich ins Wohnzimmer und setzte mich neben Jürgen auf die Couch. Mario nahm den Anruf sofort an und als ich sein Gesicht sah fiel mir mein Herz in die Hose. Es tat so sehr weh in seine Augen zu sehen. Schnell wandte ich meinen Blick auf den Boden und ließ die anderen sprechen. "Papa!", brüllte Philipp sofort und begann heftig zu winken. "Hallo mein Großer, alles klar bei dir?", fragte Mario. Seine Stimme. Am liebsten hätte ich ihn jetzt in meinen Armen. "Alles cool", antwortete Philipp ganz lässig. Dann redete sein Vater eine Weile mit ihm über seinen neuen Job, doch mich schaute er niemals an. War er immer noch so verletzt von meiner Ohrfeige? Hatte er sich neu verliebt? "Ich hab mir gerade deinen kleinen Sohn angeschaut", strahlte Astrid in die Kamera. "Und was sagst du?", fragte Mario. "Habt ihr gut gemacht", grinste sie und schaute mich dabei an. Ich wagte einen kurzen Blick auf den Bildschirm, doch als sich unsere Blicke trafen schaute er mich kurz kalt an und drehte dann wieder seinen Kopf. "Und hast du schon Freunde da drüben?", fragte Philipp. "Ganz viele", lachte Mario und ich hörte heraus, dass es gekünstelt war. Bei Mario klingelte etwas im Hintergrund. "Wer ist das?", fragte Felix verwirrt. "Ach das ist bestimmt Svenja, sie holt mich für einen Pressetermin ab", erklärte er und schon im Klang seiner Stimme hörte ich, dass er dabei grinste. "Svenja also", wiederholte Felix lachend. "Dann wollen wir dich nicht länger stören und lass was von dir hören", meinte Jürgen zum Abschluss. "Tschüss Papa, ich vermisse dich", rief Philipp traurig und winkte ihm. "Ich dich auch, machs gut und ihr anderen auch", meinte Mario und grinste noch ein letztes Mal in die Kamera. Wieso hatte ich überhaupt mit vor dem Laptop gesessen? Er wollte mich nicht sehen und ich ihn eigentlich auch nicht. Ein Glück hatte er aufgelegt. "Ihr habt ja jetzt gar nichts geredet", beschwerte sich Astrid, als Felix den Laptop zuklappte. "Wir telefonieren schon nochmal", beruhigte ich sie und stand auf um den Kuchen in der Küche fertig aufzuschneiden. "Hast du einen Kuchen extra für uns gebacken?", rief Astrid und lief mir hinterher. "Na irgendwie muss ich ja meine Backkünste unter Beweis stellen", grinste ich gekünstelt. "Wo ist denn eigentlich deine Schwester?", fragte sie dann viel zu laut, sodass es Felix im Wohnzimmer auch locker hörte. "Felix wo ist meine Schwester?", gab ich die Frage an ihn weiter. "Die ist weggefahren", rief er wie aus der Pistole geschossen. "Ach schön wohin denn", grinste sie. Felix schaute sich hilfesuchend um. "Paris", antwortete ich für ihn. "Und da hat sie keinen von euch mitgenommen?", fragte sie verwirrt. "Mit Freundinnen", fügte Felix hinzu. "Bis wann geht ihre Reise?", hakte sie weiter nach. "Sie weiß es noch nicht, aber wahrscheinlich noch zwei Wochen", erfand ich und trug den Kuchen auf den Tisch. "Richtet ihr schöne Grüße von mir aus", meinte Astrid und setzte sich. "Mach ich", antwortete ich und versuchte mich irgendwie zusammen zu reißen. Die Beiden wussten von gar nichts. Nicht von Felix und Anni und nicht von Mario und mir. Okay von Mario und mir wusste niemand etwas. Nach eineinhalb Stunden war ich den ganzen Trupp wieder los und ich konnte es mir auf meiner Couch bequem machen. "Hast du schon mit Papa telefoniert?", fragte mich Philipp, als er sich an meine Seite kuschelte. "Nein, noch nicht", flüsterte ich und fuhr ihm durch die Haare. "Du hast irgendwas", schüttelte er den Kopf und setzte sich auf, sodass er mich von oben bis unten mustern konnte. "Philipp das bildest du dir ein", verneinte ich und wollte ihn wieder zu mir herziehen. "Dann rufen wir jetzt Papa an", protestierte er. "Nein wir können ihn jetzt nicht anrufen", wehrte ich mich, "er hat bestimmt Training". "Mama es ist fast acht Uhr", schüttelte Philipp den Kopf. "Trotzdem", zischte ich und fuhr Jonas, der auf meinem Bauch lag durch die dünnen Haare auf seinem Kopf. "Du willst ihn gar nicht anrufen", flüsterte Philipp etwas verärgert. "Das stimmt nicht Philipp", schüttelte ich den Kopf. "Ihr habt euch gestritten, sonst hättest du heute Morgen nicht geweint". "Schatz manchmal läuft es in einer Beziehung einfach nicht rund", seufzte ich und versuchte seinen prüfenden Blicken zu entkommen. "Habt ihr euch schlimm gestritten?", hakte er nach und hörte ich ziemlich niedergeschlagen an. "Wir müssen das regeln, wenn seine Zeit in England abgelaufen ist", wollte ich ablenken. "Das dauert doch noch viel zu lange", meckerte er. "Philipp! Manchmal kann man einer Person nicht einfach verzeihen!", fuhr ich ihn genervt an. "Mama du darfst dich nicht mit Papa streiten", zischte er zurück.
Mario PoV:
Meine Familie zu sehen machte mich unglaublich glücklich, doch beim Anblick von Jenna zerriss es mir fast das Herz. Eigentlich durfte ich jetzt nicht an sie denken, denn ich war jetzt voll im Training der Mannschaft integriert. Die erste Einheit hatte mir riesig viel Spaß gemacht, auch wenn Luis wirklich anders coachte als Pep. Die Wochen vergingen und ich fand mich immer mehr ins Spiel ein. Privat lief es nach einem Monat gar nicht. Mit Jenna hatte ich immer noch nicht geredet und mit Philipp telefonierte ich nur, wenn er mit Felix unterwegs war. "Mario, ich hab hier eine Einladung zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung in München. Die ganze Nationalmannschaft ist eingeladen", rief mich Svenja an einem Donnerstagabend, als ich gerade meine Haustür aufsperren wolle. "Wann soll das sein?", fragte ich. "Diesen Samstag auf der Praterinsel", rief sie rüber. "Muss man da hin?", fragte ich genervt. "Könntest dich ja mal wieder in Germany blicken lassen", meinte sie und lief zu mir rüber. "Naja sehr lange bin ich ja sowieso nicht mehr hier", zuckte ich mit den Schultern und setzte mich auf die Treppe vor meiner Haushälfte. Hier waren wir in letzter Zeit oft gesessen und hatten geredet. "Und was meinst du? Bleibst du hier?", fragte sie und schaute zu mir hoch. "Möglich", nickte ich grinsend. "Dann tu mir einen Gefallen und geh dahin, das wirft ein gutes Licht auf dich", redete sie weiter und zupfte an ihrer kurzen Hose herum. "Wenn du meine Begleitung machst", stellte ich als Bedingung. Irgendwie musste ich mich ja bei Svenja für die letzten Wochen bedanken und deswegen wollte ich sie einfach mit auf diese Veranstaltung nehmen, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was wir dort sollten. "Mach ich doch gerne", grinste sie zu mir hoch.
Jenna PoV:
Ich gewöhnte mich irgendwie ohne Mario zu leben. Die Bilder an der Wand machten mich zwar immer noch unglaublich traurig, doch Philipp zu Liebe ließ ich mir nichts anmerken. An einem Donnerstagabend klingelte auf einmal mein Handy und Jule rief mich an. Eigentlich rief sie mich nie an. "Was ist los Girl?", meldete ich mich und stellte mich auf den Balkon, weil ich die Kinder schon schlafen gelegt hatte. "Wir haben ein riesiges Problem im Service!", schrie sie in den Hörer, "am Samstag müssen wir eine Veranstaltung mit vielen Promis versorgen und wir haben viel zu wenig Personal, weil ein Drittel der Leute krank sind!" Jule arbeitete jetzt schon seit vier Jahren beim Catering Service an der Isar um sich neben ihrem Studium ein Geld dazu zu verdienen. "Welche Promis sind so am Start?", erkundigte ich mich neugierig. "Von Tom Schilling und Florian David Fitz war die Rede", erklärte sie stolz. "Nächsten Samstag?", wiederholte ich. "Nächsten Samstag, Praterinsel", versicherte sie mir. "Ich werde da sein", meinte ich, weil Theo am Samstag kommen würde und auf die Kinder aufpassen könnte. Der Tag war schneller gekommen, als ich gedacht hatte und deshalb stand ich am folgenden Samstag in schwarzer Kleidung und blauer Schürze hinter der Theke des Services und ließ mir erklären, was ich zu tun hatte. Jetzt konnten die Gäste kommen, doch die mussten sich erst über den roten Teppich quälen.
Mario PoV:
Ich trat aus dem Taxi und hakte mich bei Svenja unter. Es war brechend voll und ich musste mir meinen Weg durch die Menschenmassen bahnen. Meine Begleitung hatte sichtliche Schwierigkeiten sich hinter mir zu halten, deswegen streckte ich meine Hand aus und schnappte ihre. Die Nationalmannschaft sah ich schon von Weitem. "Der Engländer!", brüllte Thomas, als er mich sah und so wurden auch alle anderen um uns herum auf uns aufmerksam. Ich hatte komischerweise Lust auf den Abend, denn ihn konnte mir Niemand kaputt machen.
Zwei Kapitel in zwei Tagen, Schulterklopfer verdient oder! Kommentiert fleißig!♥
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Love never runs out (Mario Götze FF - ON HOLD)
Fanfiction"Lass mal zu der da hinten gehen" - ein Satz, der das Leben zweier Menschen komplett veränderte.