Kapitel 108

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"Philipp zieh dein Trikot an, wir müssen los!", rief ich und suchte meine Krücken. Jenna kam aus dem Wohnzimmer und war schon umgezogen. "Das hat dir aber auch schon mal besser gepasst", meinte ich und musterte sie von oben bis unten, weil es nur wie ein Sack an ihr hing. "Ich hab eben ein Bisschen abgenommen, da kann ich jetzt auf die Schnelle auch nichts ändern", entgegnete sie und zupfte das Oberteil zurecht. Jonas hatten wir für diesen Abend bei Dani abgegeben, die sich als Nachbarin einfach toll um unsere Kinder kümmerte. Als wir vor dem Stadion auf unserem Parkplatz standen konnte ich die Fotografen schon hören. Philipp sprang schnell heraus um mir die Tür zu öffnen und mir beim aussteigen zu helfen. "Danke Großer", grinste ich und stützte mich auf meiner Krücke ab und hüpfte an den Fotografen vorbei zu meinem Rollstuhl. Philipp lief neben mir her und grinste bis hinter die Ohren. "Willst du was essen?", fragte ich ihn, worauf er nur den Kopf schüttelte. "Ich will Fußball", entgegnete er und lief schnurstracks an den Theken vorbei und auf die Tribünen zu. Kurz warf ich Jenna einen "Du-kümmerst-dich-ums-Essen"-Blick zu und folgte meinem Sohn. Die Blicke der Zuschauer waren unübersehbar. Ein Glück hatte ich einen Platz bekommen, den ich ohne Treppenstufen bezwingen konnte. Zwar stand ich mitten im Gang, doch das juckte mich auch nicht. Philipp setzte sich neben mich auf seinen Platz und schaute sich interessiert um. "Was ist dein Tipp?", fragte ich und schaute ihn an. "Ähm", überlegte er kurz und schaute aufs Spielfeld, "3:0". "Mario!", rief jemand hinter mir und packte mich an der Schulter. Langsam drehte ich mich um und sah in Jogis Gesicht. "Servus", grinste ich und gab ihm die Hand, "sorry, umarmen ist im Moment nicht". "Erzähl, was ist jetzt genau", meinte er und setzte sich neben Philipp auf Jennas Platz. "Rippen gebrochen, Bein gebrochen, Arm gebrochen", erklärte ich kurz. "Also wirst du auch in zwei Monaten nicht für die Nationalmannschaft spielen können oder", seufzte er. "Ich bin froh, wenn ich zum Winter wieder fit bin", schüttelte ich den Kopf. "Hallo", schaltete sich Jenna dazwischen, die mit einem Trinkbecher dazu kam. "Jenna, dich hab ich ja schon ewig nicht mehr gesehen", rief Jogi und umarmte sie. Es folgte ein Wiedersehensdialog, der ungefähr zehn Minuten dauerte. Auf einmal tauchten Philipp und ich auf der großen Leinwand auf und das Stadion begann zu jubeln. Mein Sohn erschrak und lachte nur verlegen in die Kamera. "Die jubeln nur wegen dir", flüsterte er mir ins Ohr. "Spinnst du, die haben ihren Zukunftsstar erkannt", lachte ich. Meine Mannschaft dominierte wie immer das Spiel und ließ den Gästen aus Stuttgart kaum Chancen. Zum Ende stand es deshalb 4:0, durch Tore von Robert, Kingsley und Josua. Beim Rausgehen wurde ich von vielen Menschen gegrüßt und fotografiert. Ich kam mir im Rollstuhl komisch vor, doch ich musste ein Lebenszeichen von mir geben. Am Ausgang des Vip-Bereichs standen schon wieder die Reporter und hielten mir ein Mikrofon hin. Jenna und Philipp schickte ich inzwischen zum Auto und stellte mich den Fragen. "Mario, wie geht es ihnen?", fragte mich ein Mann mit schwarzer Softshell-Jacke. "Den Umständen gut, danke", antwortete ich. "Was ist es denn jetzt genau, es gab ja noch keine konkreten Diagnosen", hakte er weiter nach. "Arm, Bein und Rippen gebrochen", antwortete ich direkt, "meine Rückkehr dauert noch etwas". "Ja das sehen wir, wie fühlen sie sich, wenn sie daran denken, dass sie diesen Unfall hätten vermeiden können", fragte er. "Es hätte noch viel schlimmer kommen können und ich habe mit dem Unfall an sich abgeschlossen, jetzt ist es so und ich werde dafür auch niemandem die Schuld zuschieben", meinte ich, "natürlich wünschte ich, dass es nicht passiert wäre". "Ihren Sohn haben wir ja auch heute gesehen, wie geht es ihm nach seinem Verschwinden?", wollte er wissen. "Es hat sich wieder gefasst und es geht ihm gut", entgegnete ich, "er hilft mir dabei die Zeit zu überstehen". "Wie geht es ihrem jüngeren Sohn?", fragte er. "Dem gehts auch gut, aber ich glaube das Ganze hat jetzt nichts mehr mit Fußball zu tun", blockte ich ab und schaute den anderen Reportern in die Augen, die mir erwartungsvoll die Mikrofone vor den Mund hielten. "Also wenn sie keine Fragen mehr haben dann geh ich jetzt weiter", meine ich und schaute sie noch einmal prüfend an. Als sie keine Reaktion zeigten nickte ich und machte kehrt. Philipp stand schon am Auto und hielt mir die Tür auf. "Danke", schnaufte ich und setzte mich auf den Beifahrersitz. Jenna verstaute meinen Rollstuhl und stieg ins Auto. "Was wollten die wissen?", fragte sie und trat die Kupplung. "Ach das übliche, nichts brisantes", zuckte ich mit den Schultern und winkte beim Herausfahren einigen Fans, die hinter der Absperrung warteten. Die Tage vergingen und ich ließ mich jeden Tag von Jenna zum Trainieren fahren, jedenfalls versuchte ich zumindest meine Bauchmuskeln in Schuss zu halten. Der Arzt war langsam auch zufrieden mit meiner Entwicklung und versicherte mir, dass ich meinen Gipsarm in etwa einer Woche los war. Mitte September saß ich vor dem Fernseher und zog mir mit Philipp einen Dinosaurierfilm auf RTL rein. In der Werbeunterbrechung wurde ich wegen einem Bild von mir aus dem Gespräch mit meinem Sohn gerissen. "Warte mal kurz", zischte ich und erhöhte die Lautstärke. "..ist die Welt bei den Götzes wirklich so heil, wie sie uns vorgespielt wird? Mehr dazu in einer halben Stunde bei Exklusiv Weekend", sprach die Fernsehstimme. "Hast du das gerade gesehen?", fragte ich meinen Sohn. "Ja", nickte er mit aufgerissenen Augen. "Da bin ich ja mal gespannt", schnaufte ich und beschloss den Aufnahmeknopf zu drücken. Jenna setzte sich auch bald dazu und wir warteten gespannt auf den den Beitrag. Davor mussten wir uns allerdings noch irgendwelche Unterwäschepräsentationen aus den USA antun, einen Beitrag über Heidi Klum, die News der Woche und eine Werbeunterbrechung. Nach einer Stunde kam dann endlich der gewünschte Beitrag. Philipp hatte inzwischen das Handtuch geworfen und war lieber raus zum spielen gegangen. "Und jetzt! Fußballstar Mario Götze scheint mit seiner Familie ein offenbar harmonisches Familienleben zu führen, doch die Tatsachen und Gerüchte sprechen eine andere Sprache, Jessica Langenfels hat die Einzelheiten", verkündete die Moderatorin. Es erschienen Bilder von unserem letzten Stadionaufenthalt am ersten Spieltag. "Mario Götze schaut müde aus", begann eine mitfühlende Stimme. Bilder von mir im Rollstuhl. "Nicht nur die Folgen seines Unfalls im Amerikaurlaub zeichnen sich an seinem Körper. Es scheint, als sei die Beziehung mit seiner Frau Jenna am Scheitern, wie aktuelle Bilder vom August zeigen. Nach der Entführung ihres Sohnes Philipp vor wenigen Monaten hat sich die Situation komplett verändert. Mario zieht sich in der Mannschaft zurück, seine Familie steht auf einmal im Vordergrund", das Bild wechselte und ein Bild von Jenna erschien. "Das Mario diese Geschehnisse überstanden hat ist deutlich, doch die Statur seiner Frau Jenna zeigt das Gegenteil. Die 25-jährige ist dünner wie noch nie zuvor. Die Strapazen der letzten Monate haben sich angesammelt und langsam wird deutlich, dass die junge Mutter an ihren Grenzen ist. Kritiker sagen, der gemeinsame Urlaub sei eine Flucht aus dem Alltag gewesen. Öffentliche Auftritte sind von der Bildfläche verschwunden und Götze lebte Anfang des Jahres drei Monate in England, angeblich ohne Kontakt zu seiner Frau und seinen Kindern". Bildern von Jenna, wie sie mit Philipp an der Hand und einer großen Sonnenbrille in der Stadt unterwegs war und wenig später ein Bild von mir in England. "Eine angebliche Affäre mit seiner Beraterin wurde noch nicht ausgeschlossen und der Kontakt zu seinem besten Freund Marco Reus scheint verschwunden zu sein, der sich vor Kurzem mit seiner neuen Freundin Ann-Kathrin Gentzel zeigte, welche gleichzeitig die Ex-Freundin von Marios Bruder Felix Götze ist und die Schwester von Jenna Götze. Was die Beiden zu dieser Beziehung sagen kann man sich denken. Philipp und Jonas Gentzel bleibt nur zu hoffen, dass sich ihre Eltern wieder aufraffen und die tragischen Tage vergessen". "Ein gute Besserung wär wohl angebrachter", zischte ich und schaute auf mein Gipsbein, welches ich immer noch tragen musste. Um dem Beitrag noch den letzten Schliff zu geben zeigten sie noch ganz alte Fotos. Jenna gerade mal 18 Jahre alt. "Die wahrscheinlich schnellste und spektakulärste Liebesgeschichte im deutschen Fußball. Jenna Gentzel und Mario Götze, damals gerade 18 und 21 Jahre alt treffen sich in der Münchner Innenstadt, verlieben sich, wenige Monate später, Schwangerschaft, ungeplant. Die Zwillinge Lia und Philipp werden geboren" -"Ey Leute wir brauchen jetzt keinen tragischen Lebenslauf", schrie Jenna dazwischen, die von der ganzen Sache sowieso schon angenervt war. "Die Weltmeisterschaft 2014 ist für die kleine Familie ein Ereignis, das sie noch mehr zusammengeschweiß, doch wenig später der Schicksalsschlag: Lia erleidet den seltenen Fall des Kindstodes und die Familie stürzt in eine Depression, doch sie schaffen den Umbruch: Mario und Jenna geben sich im Jahr darauf das Ja-Wort und zeigen: Wir können es schaffen. Vor Kurzem nun die Geburt ihres zweiten Sohnes. Bleibt nur zu hoffen, dass die jungen Eltern diese Energie aus ihrer Hochzeit in Zukunft wieder aufwenden und uns genau diese Botschaft wieder verkünden können". Dann war es auf einmal zu Ende. "Ist das denen ihr Ernst?", lachte ich, "haben die nichts anderes zu tun, als andere Familien zu stalken und zu kritisieren, ich rast aus!" "Schau ich echt so fertig aus?", fragte meine Frau und tastete sich an die Wangen. "Du isst ja jetzt wieder", schüttelte ich den Kopf, "außerdem bist du die Wunderschönste". "Aber jetzt denken alle, dass wir unfähige Loosereltern sind", schimpfte sie. "Jenna jetzt fahr mal runter, den Schmarrn schaut sich kein Mensch an und ich hab in ein paar Tagen sowieso eine Pressekonferenz und danach ein Interview und da klär ich das schon", winkte ich ab, "denen werd ich was erzählen". Da ich merkte, dass ihre Gedanken immer noch arbeiteten nahm ich sie in den Arm und schüttelte den Kopf: "Jenna du bist die beste Mutter, die Deutschland je gesehen hat". "Das weiß ich doch", grinste sie und gab mir einen Kuss. Eine Woche später humpelte ich auf zwei Krücken zum Trainingsgelände und begrüßte meine Teamkollegen. "Wie lange hast du das Ding jetzt noch dran?", wollte Thomas wissen, "und was macht der Rest?" "Noch zwei Wochen ungefähr, Arm ist ein Glück wieder in Ordnung und Rippen werden auch", antwortete ich und klatschte meine Teamkollegen ab. Ich sah sie oft in letzter Zeit, da ich oft meine Arme trainieren ging. "Ich muss rein", entschuldigte ich mich, weil ich schon viel zu spät für meinen Interviewtermin war. "Götze", begrüßte mich der Pressesprecher mit einem Handschlag, "ist das richtig, dass die Reporter heute auch private Fragen stellen dürfen?" "Ich beantworte einfach das, was ich beantworten will", flüsterte ich ihm zu und begrüßte wenig später auch die Reporter. Ich hatte nichts dagegen etwas über meine Familie zu sagen. Ich wollte keine Gerüchte mehr. "So kann losgehen", nickte ich, als ich verkabelt war und meine Krücken neben mir abstellte. Ich saß auf einem bequemen Hocker und wurde von jeden Seiten mit Kameralichtern bestrahlt. Alles schrie nur so nach "RTL-Exklusiv-Weekend". "Ja Mario Götze, schön, dass sie sich zu einem Interview bereiterklärt haben", begann der Interviewer, auf dessen Namensschild groß "T. Rademacher" stand. "Kein Problem", entgegnete ich und machte es mir einigermaßen bequem. "Zuerst: Wie steht es um ihre Gesundheit?", wollte er wissen. "Ja, die Frage aller Fragen", schnaufte ich und versuchte so gut wie möglich sympatisch und motiviert zu klingen, "mein Arm und meine Rippen sind schon so gut wie perfekt, nur mein Bein braucht eben noch ein wenig Zeit". "Wie waren ihre ersten Gedanken nach dem Unfall in Amerika?", wollte er wissen. "Ich hatte auf der rechten Seite natürlich fürchterliche Schmerzen und als ich dann die Diagnose bekommen habe, war für mich klar, dass ich es einfach selbst verbockt hatte", antwortete ich und kratzte mir am Hinterkopf. "Wie war die Situation für ihren Trainer Pep Guardiola?" "Natürlich nicht einfach, weil ich schon die halbe Saison wegen Manchester und aus privaten Gründen gefehlt habe und dafür hat er es erstaunlich gelassen genommen", erklärte ich, "das hätte nicht jeder so gemacht". "Sie haben es gerade schon angesprochen", lenkte Herr Rademacher ab, "die private Situation im Hause Götze, wie schaut es dort zur Zeit aus". "Ich bin glücklich, so wie es ist", nickte ich und versuchte dabei etwas unwiderstehlich zu lächeln. "Jetzt sind ja vor kurzem Bilder von ihrer Schwägerin Ann-Kathrin Gentzel aufgetaucht, seit wann wissen sie, dass sie schwanger ist?", sprach er ein komplett anderes Thema an. Mir ging das eigentlich viel zu schnell: "Ja als Familienmitglied weiß ich das natürlich schon etwas länger", antwortete ich kurz und hoffte auf keine weitere Frage. "Jetzt ist ja bekannt, dass sie seit Neuestem mit Marco Reus zusammen ist, ist er dann auch der Vater?", wollte er wissen. "Da fragen sie die Beiden am besten selbst", grinste ich zurück, "da will ich nichts öffentlich machen". "Das respektieren wir natürlich", schnaufte er und schaute weiter auf seinen Zettel. "Ja in letzter Zeit wird oft über das Auseinanderleben der Familie Götze geredet, ist da was dran?", fragte er und schaute wieder hoch. "Ich weiß nicht so ganz was sie damit meinen, mit meinen Eltern verstehe ich mich unglaublich gut und meine Brüder sind mir wirklich wichtig", entgegnete ich, "da hat sich beim Verhältnis nichts verändert". "Entschuldigung eigentlich wollte ich auf ihre eigene Familie anspielen", grinste der Mann. "Achso", meinte ich kurz und kratzte mir am Kopf, "ja was gibt es da großes zu erzählen, wir sind glücklich". "Wirklich?", schaute er mich ernst an, "wie geht es ihnen wirklich? Wie haben sie das Verschwinden ihres Sohnes verkraftet und wie geht es ihrer Frau". "Ja natürlich hatten wir ein paar echt harte Monate hinter uns, weil ich natürlich sehr lange in England war und meine Kinder und Jenna wirklich nicht gesehen habe und wenig später ist Philipp ja dann verschwunden und da muss ich sagen waren wir beide wirklich am Ende", ich machte kurz Pause und schnaufte theatralisch, "aber Gott sei Dank haben wir ihn wieder gefunden und Philipp kann man ziemlich schnell wieder aufpeppeln". "Und wieso kursieren diese Bilder im Internet, auf denen ihre Frau so unglaublich abgemagert aussieht, haben sie da keine Angst?", fragte er. "Ich weiß den Grund dafür und deswegen kann ich damit etwas lockerer umgehen", schnaufte ich, weil ich auf keinen Fall verraten durfte, dass Jenna schwanger war und einfach nichts herunterbekam, "außerdem, wenn sie sie heute sehen würden, dann hätten sie ein ganz anderes Bild von ihr, weil sie wirklich sehr viel besser aussieht". "Na das lassen wir jetzt mal so stehen", entgegnete er kalt. "Nein, sie können es mir wirklich glauben, wir sind im Moment sehr glücklich, auch wenn es wirklich manchmal nicht so scheint", entgegnete ich, "ich kenne Jenna jetzt schon 7 Jahre, was für manche vielleicht nicht viel klingt, aber für mich ist es ein Viertel meines Lebens und ohne sie wäre ich wirklich aufgeschmissen". "Und Jenna wahrscheinlich auch ohne sie, oder?", konterte er. "Ach naja", überlegte ich kurz, "in den letzten Wochen konnte ich mich ja nicht bewegen und Jenna hat es sogar hinbekommen mich überall hinzufahren und alles andere zu machen". "Eine richtige Powerfrau", grinste er. "Das ist sie wirklich", entgegnete ich lächelnd, "die beste". "Was sagen sie zum Namen Svenja Cleary?", haute er mir auf einmal ein Brett vor den Kopf.

Teil 1, ich musste hier einfach unterbrechen, weil es sonst viel zu lang gewesen wäre . Liebe Grüße!

Love never runs out (Mario Götze FF - ON HOLD)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt