Gestresst drückte ich sie weg, weil ich noch mit Philipps Trainer sprechen musste und viel zu spät war. Ich durfte mir eigentlich überhaupt keine Fehltritte mehr erlauben. "Servus", begrüßte ich meine Kollegen beim Joggen. "Servus", antwortete David. Irgendwie herrschte eine gedrückte Stimmung. "Hast du schon von dem Unfall auf der A9 gehört?", fragte er wenig später. "Ja, was ist damit?", wollte ich wissen. "Da sollen angeblich zehn Menschen gestorben sein, drei Kinder", schnaufte er und legte ein wenig an Tempo zu. "Heftig", schnaufte ich und kurz fuhr es mir kalt den Rücken herunter. "Na wenigstens müssen wir heute nicht mit dem Bus irgendwohin", schnaufte Thomas. In dem Moment ertönte schon Peps Pfiff und wir wurden zusammengetrommelt. Am Ende des Trainings wartete schon Philipp am Zaun und unterhielt sich mit einem meiner Fitnesstrainer. "Ich zieh mich noch kurz um, dann komm ich wieder", meinte ich im Vorbeigehen und fuhr meinem Sohn kurz durch die Haare. Als ich in der Umkleide auf mein Handy schaute erschrak ich, da mich Jenna noch sieben Mal versucht hatte anzurufen. "Scheiße", zischte ich und wählte ihre Nummer. "Mario! Verdammt!", meldete sie sich. "Was ist denn passiert?!", rief ich gestresst und schlüpfte in meine Jogginghose. "Anni hatte einen Autounfall!", erklärte sie. "Auf der A9?", fragte ich nach. "Ja", antwortete Jenna schnell. Mir wurde urplötzlich schlecht, sodass ich mich setzten musste. "Sie ist angeblich in Ingolstadt im Klinikum", fügte meine Frau noch hinzu. "Was?! Sie lebt also noch?", versuchte ich mir Klarheit zu verschaffen. "Klar, spinnst du?!", entgegnete sie, "Felix wollte hochfahren und hat gefragt, ob ich mitkommen will, passt du auf die Kinder auf?", wollte sie wissen. "Ja, klar", entgegnete ich verwirrt, "ich hab nur gehört, dass zehn Menschen dabei gestorben sind". "Ja es soll eben auch welche geben die überlebt haben", entgegnete Jenna, "Felix wurde nur von Marco angerufen und der wurde von Annis Handy von einer Sanitäterin angerufen". "Kompliziert, kompliziert", meinte ich und versuchte mich mit einer Hand in meine Schuhe zu quetschen. "Jonas schläft, kann ich dann gehen?", fragte sie. "Ja klar, ich bin in 15 Minuten daheim", antwortete ich, "bis heute Nacht". Nach dem Telefonat beeilte ich mich extra und sammelte Philipp von draußen ein.
Jenna PoV:
Felix holte mich wenig später vor der Tür ab und ich stieg in seinen Audi. "Weißt du was genaues?", wollte ich wissen und schnallte mich an. "Marco hat mir gesagt, dass wir vorbeischauen sollen, weil er ja nicht sofort kommen kann", erklärte er und fuhr los, "er hat nur gemeint, dass sie Anni in die Klinik bringen und nicht was sie hat oder wie es ihr geht". "Naja dann wird es ja nicht so schlimm sein", murmelte ich und drehte den Radio leise auf. "Wir müssen über die Landstraßen fahren, weil die ganzen Autobahnen verstopft sind", erklärte er dann und schnaufte genervt. "Ist alles okay bei dir?", fragte ich und beobachtete ihn von der Seite. "July reißt morgen ab", knurrte er, "und wir wollten uns heute eigentlich nochmal einen schönen Abend machen". "Ich kann auch alleine fahren", schlug ich vor. "Nein, spinnst du", schüttelte er den Kopf und trat ordentlich aufs Gas. Nach zwei Stunden Überlandfahrt kamen wir in Ingolstadt an und fuhren zur Notaufnahme. An der Rezeption standen viele Menschen an. "Ann-Kathrin Gentzel", meinte ich, als wir endlich an der Reihe waren, "sie war in den Autounfall verwickelt und müsste hier eingeliefert worden sein". "Moment, ich schau schnell nach", antwortete die Schwester und tippte den Namen in ihren Computer. "Moment", schüttelte sie den Kopf und nahm das Telefon in die Hand. "Weißt du was von einer Ann-Kathrin Gentzel, Autounfall", meinte sie und kratze sich an der Schulter, "okay.. was?! Ja danke, ich sag Bescheid". Mit einem lauten Krach legte sie auf und starrte uns an. "Frau Gentzel wurde mit dem Hubschrauber nach München geflogen", informierte sie uns. "Alter Verwalter", stöhnte Felix und schnaufte erneut genervt. "Ja dann nichts wie los", meinte ich und drehte mich um und stolzierte aus der Klinik. "Wieso wurde sie nach München geflogen?", fragte ich wieder im Auto. "Ich würde auch lieber in München als in Ingolstadt sein", zuckte er mit den Schultern, "vielleicht sind die auch einfach nicht so spezialisiert hier". "Hoffentlich ist es nichts schlimmes", flüsterte ich und checkte im Spiegel mein Make Up. "Das hätten uns die Schwestern oder Marco schon längst gesagt", winkte er ab, "apropos Marco: Ruf ihn bitte an, bevor er auch nach Ingolstadt fährt und an der Rezeption steht". Vor München hatten wir Marco dann informiert und fuhren zur Klinik. "Ann-Kathrin Gentzel", sagte Felix, als wir an der Rezeption standen. "Intensivstation", erklärte die Frau, nachdem sie in ihren Computer geschaut hatte, "Zimmer 078, aber ich weiss noch nicht, ob sie schon zu ihr können". "Wir fragen die Schwester auf der Station", nickte ich und wollte loslaufen. "Den linken Gang runter un.." -"Danke, ich kenn mich auf der Intensivstation aus", unterbrach ich sie und packte Felix am Arm. Auf der Intensivstation war wenig los, deswegen fanden wir schnell eine Schwester. "Ann-Kathrin Gentzel, Zimmer 078, können wir zu ihr?", fragte ich aufgeregt. Die Schwester mit dem Namensschild "Ida Schmitt" schaute mich bemitleidet an und führte uns in ihr Besprechungszimmer. "Frau Gentzel wurde mit einer ungeheuren Wucht gegen das Lenkrad geprescht und der Airbag hat sie dann wieder zurück geschleudert. "Was heißt das?", wollte Felix wissen. "Frau Gentzel liegt im Koma", erklärte sie, "Schäden im Kopf sind auf jeden Fall vorhanden und der Rest wird gerade geklärt". "Wie im Koma", flüsterte Felix, "wann wacht sie denn wieder auf?" "Das kann man nicht sagen", schüttelte sie den Kopf. "Was ist mit dem Kind?", wollte Felix wissen. Er zitterte am ganzen Körper. "Die Ärzte sind mitten in den Untersuchungen, ich kann ihnen nur den Zustand erklären, wie sie bei uns eingeliefert wurde", antwortete Frau Schmitt. "Scheiße", flüsterte Felix, "sie wurde nach München geflogen, weil ihr in Ingolstadt nicht geholfen werden konnte, oder?" "Richtig", nickte sie und atmete tief ein, "sind sie der Mann?" Felix kratze sich am Hinterkopf: "Exfreund und Vater des Kindes". "Okay und sie?", wendete sie sich an mich. "Schwester", antwortete ich schnell. Ich wusste nicht wozu sie diese Infos brauchte, doch nach wenigen Augenblicken führte sie uns in den richtigen Gang und zeigte uns Sitzgelegenheiten. Felix setzte sich still neben mich und legte seinen Kopf in seine Hände. Ich konnte sein Herz schon fast pochen hören, so hektisch war es. "Ich hab grad so Angst", flüsterte er und starrte auf den weißen Boden. Ich realisierte es noch gar nicht. Vielleicht weil viel unglaublich viel Vertrauen in die Ärzte hier hatte. "Wir wissen doch noch gar nicht was passiert ist", winkte ich ab. Wir saßen bestimmt zwei Stunden vor dem Zimmer und warteten. Zwischendurch holte ich Felix einen Kaffee, dass er nicht kollabierte. Wenige Augenblicke später trat eine Krankenschwester mit einem Klemmbrett heraus. Als wir sie hoffnungsvoll ansahen lief sie auf uns zu. "Gehören sie zu Frau Gentzel?", wollte sie wissen. Nachdem wir genickt hatten bat sie uns uns hinzusetzen. "Der Zustand ist kritisch", begann sie, "genauso wie der Zustand des Kindes. Da Frau Gentzel nicht bei Bewusstsein ist schwebt das Kind in großer Gefahr, wir müssen es holen". "Wie, jetzt?", fragte ich geschockt, "aber ist das Kind überhaupt schon lebens.." -"Es ist lebensfähig, aber natürlich können wir unter diesen Umständen nichts ausschließen", sprach sie mir dazwischen. "Wird sie wieder aufwachen?", wollte Felix wissen. Er zitterte am ganzen Körper und war ganz blass. "Meine Kollegen haben ein Schädel-Hirn-Trauma festgestellt", meinte sie und schnaufte, "ziemlich heftig, wir hatten auch schon oft Patienten, die nie wieder aufgewacht sind". Bei diesen Worten verkrampfte Felix neben mir und sank zusammen. "Dankeschön", nickte ich der Schwester zu, die weiter musste. In dem Moment kam Marco um die Ecke gerannt. "Was ist los?", wollte er wissen, "wieso seit ihr nicht drinnen?" Felix schaute kurz hoch, doch versank dann wieder. "Anni hat ein Schädel-Hirn-Trauma und liegt im Koma", begann ich, worauf sich Marco direkt hinsetzte, "das Kind wird gerade geholt". "Sonst stirbt es?", fragte er gequält nach. "Ja", antwortete Felix mit Tränen in den Augen, "genauso wie Anni". "Was redest du denn da!", fuhr ich ihn an, "nur weil es einmal so war!" Darauf sagte Felix nichts mehr, sondern drehte sich von uns weg. Marco saß auch wie versteinert da und sagte nichts. "Sie konnte uns nicht mal sagen, ob das Kind gesund zur Welt kommt", flüsterte Felix und beobachtete einen Patienten, der an uns vorbeihumpelte, "Stopp, ob es überhaupt noch lebt". "Felix!", zischte ich, "ich hab auf diesem Flur schon mal ein Kind verloren und deshalb passiert es auch nicht nochmal!" "Tut mir leid", schniefte er und nahm sein Handy, "ich muss July anrufen". "Ich muss meinen Eltern Bescheid geben", fiel es mir auf einmal wieder ein. "Hab ich schon längst", winkte Marco ab, "Theo weiß auch Bescheid". "Danke", entgegnete ich und starrte wieder auf die Zimmertür mit der großen Aufschrift 078. Langsam wurde ich müde, es war inzwischen fast Mitternacht. Mario rief zwischendurch an, dem ich die Situation ganz genau schilderte und der mir nochmal Hoffnung zusprach. Um ein Uhr nachts öffnete sich die Tür und ein Arzt mit Augenringen kam heraus. "Wer ist der Vater?", fragte er kurz. Marco und Felix sahen sich für einen Augenblick an. "Kommen sie einfach mit", winkte er ab und öffnete die Tür. Als ich den Raum betrat sah ich zuerst Anni und hatte nur Augen für sie. Sie hatte einen großen Blauen Fleck auf der Stirn und war an dutzende Kabel angeschlossen, die sie versorgten. "Scheiße", brachte ich hervor und setzte mich neben sie. Jetzt konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ihre Hände waren lauwarm und ihr Gesicht blass. Eine Krankenschwester schloss gerade einen neuen Schlauch an. Erst jetzt fiel mir wieder ein, weshalb wir eigentlich hier waren. Ich drehte mich zu Felix und Marco um, die neben einem Brutkasten standen. Felix weinte und lag in Marcos Armen. Geschätzt hingen an diesem kleinen Geschöpf die gleiche Anzahl an Schläuche wie an Anni. "Es lebt", flüsterte ich. "Das Kind hat durch den Aufprall einen gewaltigen Schaden davon getragen", erklärte der Doktor, "wir mussten es in ein künstliches Koma versetzen und die Körpertemperatur herabsetzen, sodass nicht noch mehr Schäden am Gehirn entstehen. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob der Kleine stark genug ist zu überleben". Sogar Marco neben mir begann auf einmal zu weinen. Der Anblick des kleinen Kindes sollte uns eigentlich unglaublich glücklich machen, doch jeder von uns verspürte nur unglaublichen Schmerz. Nach einiger Zeit setzte sich Marco neben Annis Bett und nahm ihre Hand. "Das ist das Schlimmste, was hätte passieren können", weinte er und fuhr sich durch seine blonden Haare. Felix starrte die ganze Nacht nur in den Brutkasten und ich saß dazwischen und fühlte mein Herz bis zum Hals klopfen. Gegen vier Uhr früh kam wieder ein Doktor und schaute sich etwas auf dem Computer an. "Es wird sich in den nächsten paar Tagen wohl kaum etwas verändern", erklärte er, während er Anni eine neue Flüssigkeit verabreichte, "bitte gehen Sie nach Hause und schlafen eine Runde". "Und was ist wenn jemand stirbt?", rief Marco dazwischen. "Hier stirbt keiner, glauben sie mir, zumindest nicht in den nächsten Stunden", antwortete er und fuhr sich über seinen grauen Bart. "Kommt", flüsterte ich und zog sie auf. Ohne sich zu wehren, doch auch ohne jeglicher Hilfe schleifte ich sie nach draußen und setzte sie in Felix Auto. Wie in Trance steuerte ich den Audi nach Hause und legte sie dort auf unsere Couch. Mario stand inzwischen mit Jonas und einer Flasche Milch in der Küche. "Beide schweben in Lebensgefahr", weinte ich und schmiegte mich an seine Seite. Bis es hell wurde erklärte ich meinem Mann was passiert war, dann legte ich mich schlafen. Oder ich versuchte zu ruhen. Nein, eigentlich wartete ich nur darauf, dass mich jemand aufweckte um wieder zurück ins Krankenhaus zu fahren.
Kommentare? 2 Kapitel in 2 Tagen *schulterklopf*
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Love never runs out (Mario Götze FF - ON HOLD)
Fanfiction"Lass mal zu der da hinten gehen" - ein Satz, der das Leben zweier Menschen komplett veränderte.