Kapitel 79

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"Darf ich da nochmal drüber nachdenken?", fragte ich vorsichtig. "Ja natürlich, nur bis morgen Abend müssten wir es wissen", antwortete Pep gefasst. Philipp schaute nur überlegend zu mir hoch und ich warf ihm denselben leidenden Blick zurück. "Das muss ich erstmal mit meiner Frau besprechen und alleine durchdenken", meinte ich und kratzte mir am Hinterkopf. "Wie gesagt bis morgen Abend", mischte sich einer der Vorstände in gebrochenem Deutsch ein. "Alles klar", nickte ich. Danach wurden mir sämtliche Verträge und Pläne mit mir erklärt. Ich hörte interessiert zu und irgendwie reizte mich der Gedanke nach Manchester zu wechseln sehr, das erste Mal ins Ausland, in die Premier League. Auf der anderen Seite fragte ich mich, wieso Pep mich so drängte einen Vertrag mit den Engländern zu unterzeichnen. Konnte er mich hier nicht mehr gebrauchen? Nach zweieinhalb Stunden schüttelte ich allen wieder die Hand zum Abschied und suchte Philipp. Er hatte sich nach einer halben Stunde aus dem Raum geschlichen und mir versichert, dass er nur raus auf den Trainingsplatz gehen würde. Ein Glück fand ich ihn dort auch wieder, zwischen Gianluca Gaudino und Lucas Scholl. "Manchester United klopft also an", rief Lucas gleich, als er mich sah. "Philipp erzähl doch nicht immer gleich alles", beschwerte ich mich und setzte mich neben sie auf den Boden. "Jetzt ist es sowieso raus, erzähl", drängte Gianluca. "Naja sie haben eben Interesse an mir und ich könnte nächsten Monat für zwei Monate ein Probetraining absolvieren", murmelte ich vor mich her. "Und wie wirst du dich entscheiden?", hakte Lucas nach. Nachdenklich zuckte ich mit den Schultern. Ich hatte beim besten Willen keine Ahnung was das Beste für mich war. "Wir fahren jetzt erstmal ins Krankenhaus zu Jenna und reden da mal drüber", erklärte ich und sprang wieder auf. "Du wirst schon das Richtige machen", nickte Gianluca und lief ins Tor um sich seinen Ball wiederzuholen. "Komm Kumpel wir fahren", rief ich und hielt meinem Sohn meine Hand hin. Er ergriff sie und lief stumm mit zu meinem Wagen. "Papa müssen wir umziehen?", fragte er vorsichtig und schaute zu mir hoch. "Das hat Niemand gesagt", beruhigte ich ihn, weil ich ihm keine Angst machen wollte. Als ich auf die Uhr schaute erschrak ich. "Halb neun? Verdammt!", brüllte ich. "Wieso verdammt?", fragte mein Sohn. "Du musst ins Bett", erklärte ich und entschloss nach Hause zu fahren und nicht ins Krankenhaus. "Mama können wir auch Morgen besuchen", flüsterte ich, als ich auf Philipps Bettkante saß. Er nickte nur etwas niedergeschlagen und schlief schnell ein. In meinem Hirn kamen zu viele Gedanken zusammen. Eigentlich musste ich Jenna besuchen, nach Felix schauen, mich um meinen Sohn kümmern und nebenbei noch einen Wechsel entscheiden. Mit Kopfschmerzen setzte ich mich auf die Couch und wählte Jennas Nummer. Nach gefühlt einer Minute gab ich es auf und legte auf. Wieso schlief sie schon so früh? Also entschloss ich Felix anzurufen. In seinem Schlafzimmer brannte Licht, das konnte ich sehen. "Jo", meldete er sich. Er klang immer noch so fertig wie heute Morgen. "Servus, und?", fragte ich vorsichtig. "Ja scheiße", entgegnete er, "sie kommt nicht wieder". "Soll ich rüber kommen?", fragte ich und ging auf meinen Balkon. Von dort konnte ich perfekt zu ihm rüber schauen. "Nein, kümmer dich um Philipp, ich schaff das schon alleine", keuchte er. Jetzt sah ich, wie er aus dem Fenster schaute, direkt zu mir rüber. Vorsichtig winkte ich ihm und er winkte zurück. "Marco ist auch der Meinung, dass Alles wieder gut wird", versuchte ich ihn zu motivieren. "Der hat ja keine Ahnung", lachte Felix ironisch. "Zweifel mal nicht an Allem", entgegnete ich und betrachtete die Gestalt am Fenster. "Was war bei dir heute so los?", fragte er dann um abzulenken. "Ach nichts besonderes", log ich, "ich war heute Mittag mit Philipp am Trainingsplatz und hab mit ihm gespielt". "Da hat er sich bestimmt gefreut", flüsterte Felix und verließ wieder sein Fenster. Ich entschloss mich nichts zu sagen, sondern abzuwarten. "Und Jenna? Wie gehts ihr und dem Baby?", fragte er dann. "Keine Ahnung", gab ich zu und legte meinen Kopf in meine Hände. "Wie keine Ahnung", rief er vorwurfsvoll. "Ich war heute nicht da, tut mir Leid", entgegnete ich. "Gehst du lieber mit deinem Sohn kicken als seine Mutter besuchen?", wollte er wissen und tauchte wieder beim Fenster auf. "Felix du kennst die ganze Geschichte doch gar nicht", versuchte ich ihn zu beruhigen, "ich erzähl dir Alles, wenn mal wieder ein Bisschen Ruhe eingekehrt ist". "Wenn du meinst", flüsterte er, "also ich hau mich hin, machs gut", verabschiedete er sich und legte einfach auf. "Danke für das Telefonat", seufzte ich und ließ meinen Blick über die Häuser der Maxvorstadt schweifen. Wenigstens hatte ich Morgen erst um 14 Uhr Training, sodass ich früh bei Jenna vorbeischauen konnte. Gegen elf Uhr legte ich mich auf die Couch und schlief vor dem Fernseher ein. Sie fehlte mir an meiner Seite. Am nächsten Morgen brachte ich Philipp, wie jeden Morgen zur Schule und fuhr dann direkt in die Klinik. Als ich eintrat sah ich, wie Jenna am Fenster stand. "Hey du kannst wieder laufen", grinste ich und wollte sie umarmen, doch sie wich mir mit düsterem Blick aus. "Was ist denn los?", wollte ich wissen und schaute ihr enttäuscht hinterher. "Komisch, dass du doch mal Zeit für mich hast", maulte sie und setzte sich aufs Bett, "oder für deinen Sohn". "Sorry Jenna gestern war soviel los, ich konnte nicht mehr kommen", entschuldigte ich mich und setzte mich neben sie. "Und das wäre?", wollte sie wissen und schaute mich erwartend an. "Ich hab gestern ein Angebot von ManU bekommen", erklärte ich schonend. "Wie ein Angebot von ManU", wiederholte sie und schaute mich mit aufgerissenen Augen an. "Ich kann zwei Monate ein Probetraining machen", erklärte ich weiter. Jenna nickte nur geschockt und schaute auf den Boden. "Was sagst du dazu?", fragte ich und versuchte nach ihrer Hand zu greifen, doch sie zog sie weg. "Ich weiß es nicht", flüsterte sie und begann leise zu wimmern, "als erstes lässt du mich einfach nach der Geburt unseres Sohnes alleine und auf einmal willst du einfach wegziehen". "Das hab ich gar nicht gesagt!", wehrte ich mich, "ich wollte dich davor erstmal noch fragen". "Bis wann musst du Bescheid geben?", fragte sie. "Heute Abend", meinte ich kurz und mied ihren Blick. "H..heute Abend?", wiederholte sie stotternd und stand auf und lief humpelnd zum Fenster. "Wenn es dir alles zu schnell geht kann ich es auch absagen", rief ich gleich, um sie nicht gleich kollabieren zu lassen. "Ich kann dir das doch nicht verbieten, ich mach dir die Karriere kaputt", flüsterte sie und stützte sich am Fensterbrett ab. "Du machst mir dadurch gar nichts kaputt", überspielte ich und schaute sie von hinten an. "Mario du spielst seit einer Ewigkeit in München, es war klar, dass du irgendwann mal woanders hingehen wirst", schüttelte sie den Kopf und drehte sich ruckartig zu mir um, "du bist Fußballspieler und damit müssen wir alle leben". Sie hatte Recht. Sie hatte sowas von Recht. "Also soll ich das Training machen?", hakte ich nach, worauf sie nur schüchtern mit dem Kopf nickte, "wir kommen dich auch besuchen". "Ihr müsst mich besuchen", grinste ich und umarmte sie von hinten. Mulmig war mir bei der ganzen Sache schon. So von jetzt auf gleich so eine Entscheidung zu fällen, doch für mich war die Zeit in München einfach zu eintönig geworden. Mich reizten neue Erfahrungen, das Ausland. Ich würde es versuchen. Noch hatte ich die Chance wieder zurück zu den Bayern zu gehen, wenn es mir nicht gefiel. Ich musste das Angebot des Probetrainings nutzen. "Okay, dann sag ich denen, dass ich zur Probe komme", flüsterte ich nach zwei Minuten nochmal. "Mach das", flüsterte Jenna. "Danke", flüsterte ich und setzte mich neben sie. Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und hielt sie fest. Langsam legte sie ihren Kopf gegen meine Brust und atmete schwer. "Wie gehts Jonas?", fragte ich dann. "Wir dürfen ihn bald mit nach Hause nehmen", grinste sie zu mir hoch, "und ich darf Morgen auch wieder nach Hause". "Endlich", flüsterte ich und gab ihr einen Kuss auf den Mund. "Wollen wir eigentlich noch über die Sache mit Felix und Anni sprechen?", fragte sie vorsichtig. "Heute bitte nicht", schüttelte ich den Kopf, "sie sind erwachsene Menschen und werden das schon alleine irgendwie regeln". "Ich hoffe es", seufzte sie, "wollen wir hoch auf die Station?" "Unbedingt", meinte ich und stand auf. Jenna griff nach meiner Hand und wollte mir die Station für Neugeborene zeigen. "Und wenn es dir in England gefällt?", fragte sie, als wir im Aufzug standen. "Dann such ich uns die schönste Wohnung, die in Manchester steht", entgegnete ich und legte ihren Arm um mich. "Okay", meinte sie gefasst und schaute mir in die Augen, "wenn du dabei bist geh ich überall hin". "Manchester soll gar nicht so übel sein"; fing ich an, "das Meer ist nicht weit weg und England ist doch sowieso was für Shoppaholiks wie dich". "Da hast du ausnahmsweise mal Recht", grinste meine Frau und schaute uns im Spiegel an. Bei ihrem Anblick mussten wir beide lachen. Sie trug ein Krankenhauskleid und ihre Haare hatte sie zu einem Dutt zusammengebunden. "Es wird Zeit, dass ich wieder nach Hause komme", lachte sie und hielt sich beschämt die Hände vor die Augen. Als wir ankamen wurden wir direkt von einer Krankenschwester empfangen. "Guten Morgen, Herr und Frau Götze", grinste sie mit ihren Zahnpastazähnen und führte uns zu Jonas Bettchen. Er kämpfte im Moment damit die Augen zu öffnen. "Morgen Kumpel", flüsterte ich und nahm ihn vorsichtig auf meinen Arm, "mach mal ein Foto", wies ich dann Jenna zurecht und gab ihr mein Iphone. In dem Moment sah ich zum ersten Mal Jonas braune Augen und musste anfangen zu schmunzeln: "Er sieht genauso aus wie Philipp, das ist der Wahnsinn". "Und wie du", fügte Jenna hinzu, die völlig auf meinen Handybildschirm fixiert war. "Willkommen an Bord", flüsterte ich und winkte ihm zu. Jonas verzog keine Miene, doch starrte mir genau in die Augen. "Ich glaube er findet mich komisch", lachte ich nach einiger Zeit. "Wer tut das nicht", säuselte Jenna vor sich her. "Ja du mich auch", grinste ich und übergab ihr unseren Sohn. Nach einer halben Stunde verließen wir die Station wieder und liefen durch den Park. Die freie Zeit mit ihr hatte ich vermisst. Leider blieben wir nicht lange ungestört. Von Weitem konnte ich schon sehen, wie Michael mit Sabine, seiner Freundin, den Weg hinauf gelaufen kam. "Mein Papa", schrie Jenna und riss sich aus meiner Hand um ihm entgegen zu laufen. Dafür, dass sie vor drei Tagen noch unter dem Messer lag konnte sie schon erstaunlich schnell laufen. Michael riss seine Arme auf und schloss sie in seine Umarmung. Ich führte mit den Beiden einen Smalltalk und entfernte mich dann trotzdem. Eigentlich hatte ich mich auf einen entspannten Spaziergang mit Jenna gefreut, doch den konnte ich mir jetzt auch abschminken. "Ich geh mal telefonieren", meinte ich zu meiner Freundin, weil sie schon wieder ins Krankenhaus zurücklief. Mich ignorierend redete sie einfach weiter mit Sabine und ich drehte mich um und legte mein Telefon ans Ohr. "Götze?", meldete sich mein großer Bruder. "Ich bins", meldete ich mich und setzte mich auf eine Bank. "Mario!", brüllte er, "herzlichen Glückwunsch, Alter!" "Danke", grinste ich kurz. Die ersten Minuten musste ich ihm alles über Jonas erzählen, doch ich wollte auf etwas ganz anderes hinaus. "Eigentlich wollte ich was ganz anderes", lenkte ich ab und kratzte mir am Hinterkopf. "Erzähl", meinte er. "Ich gehe für zwei Monate nach Manchester zum Probetraining", posaunte ich es heraus. "Was sagt deine Frau dazu?", hakte er nach. "Die hat es mir erlaubt", grinste ich kurz. "Naja, ich glaube ich kann dir nicht im Weg stehen", entgegnete er, "hast du es Felix schon gesagt, oder Papa?" Felix! Verdammt! Fabi wusste nicht Bescheid. "Felix hat mit Anni Schluss gemacht, ich glaube den juckt das Ganze nicht sehr im Moment", meinte ich schnell. "Was?! Spinnt der Alte?!", schrie Fabian wie aus der Pistole geschossen. "Nein, stopp! Anni hat Schluss gemacht", korrigierte ich meine Aussage. "Spinnt die Alte?!", wiederholte er sich, "wieso?" "Hat keinen Bock mehr", meinte ich kurz. In der Leitung war es eine Weile still. "Ich box die Kleine", meinte Fabian dann entscheidend. "Kannst du heute mal bei Felix vorbeifahren, der ist richtig neben der Kappe", meinte ich. "Ja klar, ich muss heute sowieso nach Minga", antwortete er. "Dann machs gut", verabschiedete ich mich und legte auf. Gelangweilt schaute ich mich um. Schaute den vorbeifahrenden Krankenwagen nach und schaute an der Hausfassade hoch. Vielleicht sollte ich meinen Eltern von Manchester erzählen, doch ich hatte keine Lust auf Fragen nach Felix. Irgendwann würden sie hier sowieso wegen Jonas und Jenna auftauchen und solange konnte die Neuigkeit auch warten. Etwas angefressen verließ ich ohne Jenna Auf Wiedersehen zu sagen das Krankenhausareal und fuhr zur Säbener Straße. Wenn sie nicht mit mir reden wollte konnte ich auch nicht helfen. Jetzt musste ich erstmal eine Unterschrift unter unsere, beziehungsweise am Anfang unter meine neue Zukunft setzen. Bye, bye München. Ab nach England.


So nach langer Zeit wieder was von mir. Wie hat es euch gefallen? Liebe Grüße:)♥



Love never runs out (Mario Götze FF - ON HOLD)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt