2. Du hättest dich nie darauf eingelassen...

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Endlich Freitag und doch zog sich der Tag in die Länge. Ich hatte bisher keine Pläne und das ganze Wochenende zu Hause sitzen wollte ich nicht und rief Sam an. "Hey V, alles ok?"
"Was machst du heute, hast du Pläne, in die ich mich selbst einladen kann?"
"Du weißt doch, dass ich dich immer gerne dabei hab. Tatsächlich habe ich vorhin mit Julian geschrieben, der von der Wohnungsparty letzte Woche, weißt du?" Sam muss mich noch betrunkener in Erinnerung haben, als ich tatsächlich war.
"Klar, weiß ich, der nette aus deiner Schulzeit"
"Ja genau! Also er hat gefragt, ob ich bei seiner Arbeit vorbeikommen will, der ist im Musikbusiness unterwegs. Hast du Bock dazu zu kommen?"
"Hm, ja okay. Vielleicht können wir danach ja noch was trinken gehen. Dann komme ich zu 20 Uhr zu dir?"
"Lass uns direkt da treffen, Adresse schicke ich dir gleich. Mach dich schön, Queen, wir feiern das Leben heute."
"Jaja ist ja mal was Neues. Alles klar bis später."
Ich entschloss mich, die letzten Sachen am Schreibtisch zu erledigen und verließ früher das Büro. Produktiv würde ich eh nicht mehr sein.
Nach einer langen Dusche machte ich mich für den Abend fertig. Etwas zu früh verließ ich das Haus und kam an der Adresse in Schöneberg an, die Sam mir nachmittags geschickt hat. Niemand zu sehen. Ich drehte mir noch eine Zigarette und wartete auf Sam. Wie immer zu spät, schlenderte er auf mich zu. Mit einer festen Umarmung nahm ich ihn in Empfang. "Bist du sicher, dass das hier richtig ist? Sieht nicht nach Arbeitsplatz aus, wenn du mich fragst." Sam lächelte etwas schelmisch und nickte. "Ja, ganz sicher. Ich weiß, dass solche Situationen für dich überfordernd sind, versuch entspannt zu bleiben, ja? Julian holt uns gleich ab." Ohne reagieren zu können, öffnete sich etwas abseits eine Stahltür und Julians Kopf spähte uns entgegen.
"Na, ihr beiden?! Kommt rein, ich hoffe der Rauch stört euch nicht so sehr, die Jungs übertreiben es heute ein bisschen." Er führte uns durch einen kleinen dunklen Flur und bog in einen Raum, bei dem man das Ende nicht erkennen konnte. Es war so verqualmt, dass mir die Augen brannten und sich erst einmal daran gewöhnen mussten. Julian platzierte uns auf einer Couchgruppe in der Ecke und machte eine einladende Handbewegung Richtung Tisch. "Nehmt euch, was ihr wollt, wenn was fehlt, einfach Bescheid sagen. Ich bin drüben in der Kabine und komme gleich zu euch." Erst jetzt wurde mir klar, was Sam mit 'Musikbusiness' meinte. Gebannt schaute ich Julian zu, wie er mit den anderen einen Song aufnahm und schaute vorsichtig in Richtung Sam. Er grinste: "du hättest dich nie darauf eingelassen, hätte ich dir das erzählt. Kennst du ihn eigentlich? Sein Künstlername ist Bausa". Gedanklich fiel der Groschen. Was passierte denn hier?! Klar, verbringe ich meinen Abend in einem Tonstudio mit Bausa. Meine Überraschung schien im Gesicht lesbar zu sein. "Reiß' dich zusammen" lachte er und stupste mir in die Seite. Ich drehte mir erst einmal eine Kippe und suchte verzweifelt nach einem Feuer in meiner Tasche, die ich auf den Boden gelegt hatte. Mir hingen die Haare im Gesicht und genervt setzte ich mich wieder auf, um einfach nach einem zu fragen. Noch bevor ich mir überhaupt die Haare aus dem Gesicht streichen konnte, glühte ein Benzinfeuerzeug vor mir auf.
"Ist einfacher so, glaube ich"
Ich steckte meine Zigarette an und nahm den ersten Zug. Mein Blick folgte der Hand, bis ich in das Gesicht schauen konnte.
"Du!? Du bist doch der Typ aus dem Badezimmer!" Ich schien Verwirrung ausgelöst zu haben.
"Warst du nicht letzte Woche noch blond? Dachte nicht, dass wir uns wiedersehen" antwortete er etwas zu lässig. Ahja, er verwechselte mich mit seiner Begleitung. Sam schaute mit leicht offenem Mund zwischen uns hin und her.
"Wow... nein.. Wir haben nicht.. Also... ich bin in dich reingerannt. Ich hatte keine Ahnung, dass ihr zu zweit auf der Toilette wart und.." ich blieb mitten im Satz stehen. Die kleine Gruppe um uns herum schmunzelte schon und schaute den Mann mit den langen Haaren amüsiert an. "Sorry, wollte dich nicht exposen" sagte ich vorsichtig. Julian lachte laut "du hast auf dem Klo gebumbst, Alter?! Komm schon!" die Gruppe feixte.
Er reagierte nicht auf Julians Einwurf und beugte sich zu mir hinunter "Ich bin Volkan, mit wem habe ich denn nun das zweite Mal das Vergnügen?" und hielt mir seine Hand entgegen.
Er machte mich etwas nervös, wie er mich über den Brillenrand hinweg ansah. Bloß nicht ins Stottern geraten, bleib cool.
"Ich.. ich bin V, hi"
"V? Wie...?"
"Einfach V, wie das englische V"
"Okay, wie geheimnisvoll, V... freut mich" seine warme Hand umschloss meine und er drückte sie vorsichtig. Große goldene Ringe blitzten an seiner Hand hervor. Eine Sekunde zu lang hielt er meine Hand fest und schien es selbst gemerkt zu haben und griff in einer Übersprungshandlung nach dem erst besten Getränk auf dem Glastisch. "Und wie kommts, dass ihr heute hier seid" fragte eher beiläufig und schaute Sam und mich an und zog am Strohhalm. Er verzog die Augenbrauen und starrte angeekelt auf das Glas. "Ew, was ist das denn!?"
"Das ist mein Drink, danke" lächelte ich ihn an und nahm ihn ihm aus der Hand und führte fort: "Ich bin mit Sam hier, er ist mit Julian lange befreundet. Ich hatte keine Ahnung, dass ihr Musiker seid. Kennt man was von dir?"
Meine Frage schien Volkan zu amüsieren und zeitgleich versetzte mir Sam einen Hieb in die Seite.
"Puh, wenn du keinen Deutschrap hörst, wahrscheinlich nicht." Erzählte Volkan etwas beiläufig.
Sam Schritt ein: "V, du kennst ihn sicher, von ihm ist 'Roller', das ist Apache 207"
Ok ab diesem Zeitpunkt wurde es wirklich unangenehm. Mir stieg die Hitze ins Gesicht. Volkan beobachtete mich genau und ich konnte nur Nicken. Natürlich kannte ich das Lied, aber das zuzuordnen war für mich unmöglich. "Oh man, tut mir leid, klar.."
"Alles cool, vielleicht gefällt dir ja was von dem, was wir spielen. Ich gehe mal zurück in die Kabine. Bin gespannt auf dein Feedback." Er warf uns noch einen Blick zu und ging langsam mit Julian zurück in die Aufnahmekabine.
Schnell fand ich Kontakt zu den anderen, einige von ihnen waren bei der Party letzte Woche, aber der Alkohol an dem Abend und mein schlechtes Namensgedächtnis brachte nur noch „Musti" hervor. Sie setzten sich zu uns auf die Couch, bis jemand laut 'Feierabend' rief. Wir saßen noch einen Moment zusammen, bis Sam und ich beschlossen, noch weiterzuziehen und den Abend nicht enden zu lassen. Wir hatten einen Schwips und auch die anderen stießen mit Champagner auf den Abend an. Sam öffnete unsere Idee für die anderen, die gern mitwollten. "Soll nicht blöd klingen, aber so können wir auf keinen Fall in einen Club, das bringt nichts in Berlin, da haben wir keine Ruhe. Wir könnten auch zu mir fahren und da ein bisschen feiern. An der Musik und ein paar weiteren Leuten sollte es nicht scheitern..." Julian tätigte ein paar Anrufe und gemeinsam gingen wir zur Tiefgarage.
"Sam und V, ihr fahrt bei mir und Volkan mit würde ich sagen?" Julian wartete eigentlich auf keine Antwort und stiefelte gezielt los.
Volkan blieb vor einem weißen Mercedes stehen und öffnete die Beifahrertür. Ich setzte einen Fuß an, um auf die Rückbank zu krabbeln, bis er mich aufhielt. "Eine Frau gehört nicht auf die Rückbank, vor allem nicht mit langen Beinen. Lass die beiden nach hinten, die haben sich doch eh so viel zu erzählen."
Nachdem die zwei hinten Platz nahmen und Volkan meine Tür schloss, nahm er auf dem Fahrersitz Platz und deutete auf sein Handschuhfach. "Da sind kippen drin, machst du uns welche an? Wasser ist auch da"
"Klar, danke dir." Ich reichte ihm eine Zigarette, die er zwischen seine Finger nahm.
"Du, wegen vorhin. Ich hoffe, ich hab' Dich damit nicht in ne blöde Situation gebracht. Ich dachte, das war deine Freundin. Also die blonde Frau aus dem Bad."
"Ne ne, wir waren nur kurz befreundet." Er musste über sich selbst schmunzeln. „Mach dir keine Gedanken darüber, das sind alles meine Freunde, dafür schäme ich mich nicht. Wie lange wohnst du eigentlich schon in Berlin?"
"Ich bin Berlinerin, hab die Stadt nie verlassen. Ich weiß, das ist für viele komisch, aber ich kann mir keine andere Heimat vorstellen."
"Verstehe ich, komme aus Mannheim und wäre das alles mit der Musik nicht gewesen, wäre ich wahrscheinlich auch immer noch da. So werden viele Städte zwar mein zu Hause, aber nie eine Heimat."
"Schaffst du es denn manchmal noch hin?" Ich merkte, dass ihn dieses Thema berührte, wollte jedoch mehr erfahren und das nicht übergehen.
"Meine Mutter ist dort. Ich glaube sie vermisst uns sehr und ich werde ihren Erwartungen wahrscheinlich nie gerecht, aber ich tue mein Bestes. Ist schon komisch so weit weg von ihr zu sein und so ein Leben zu führen, obwohl sie immer alles für uns war."
"Uns?"
Er lachte ein wenig "Achso, ja, mein Bruder Hakan ist mein Manager geworden und begleitet mich oft. Du wirst ihn gleich kennenlernen, er ist auch auf dem Weg zu Julian." Irgendwie hing eine Traurigkeit im vorderen Bereich seines Autos und ich schaute etwas gedankenverloren den vorbeiziehenden Häusern und Autos nach.
"Du hast noch gar nichts gesagt, feedbackmäßig.."
"Hm, bitte?"
"Deutscher Gangsterrap von Apache 207. So schlimm wie befürchtet?"
"Achso! Nein, so sollte das nicht rüberkommen. Deinen einen Song kannte ich ja sogar..." irgendwie beschämte es mich. Ich schien ziemlich abweisend gewirkt zu haben. "Ich bin ziemlich überrascht tatsächlich. Ich bin kein großer Fan von Ausdrücken... deine Stimme ist aber ziemlich schön, man hört schon, dass du singen kannst. Aber eine Frage habe ich.. Thunfisch und Weinbrand? Was ist das denn für ne Kombi?!"
Er schaute nach rechts, direkt in mein Gesicht für einige Sekunden und musste ziemlich grinsen.
"Keine Sorge, ich halte das schon aus, wenn du die Musik kacke findest. Ist halt nicht für alle was. Vielleicht zeig ich dir mal die ruhigeren Songs, wenn du magst."
Mein Blick blieb auf ihm haften. Er hat schon lang wieder die Augen auf die Straße gerichtet, dennoch nutze ich den Moment, mir Volkan einmal richtig anzusehen. Diese langen schwarzen Haare, dazu die schwere schwarze Jacke und Boots. Warum nur alles so hart und dunkel, wobei er so freundlich und ruhig wirkt.
"Ich will dich nicht beim Glotzen unterbrechen, aber wir sind gleich da..."
Ich zog schnell meinen Mantel wieder an merkte erst jetzt, dass wir in Mitte angekommen waren. Teure Gegend, obwohl ich darüber wirklich nicht erschrocken war. Vor dem Haus standen einige Leute und Julian lief freudig auf sie zu. Es wurde also wirklich noch eine richtige Party..

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt