55. Wenn du nett fragst

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V

Uns begrüßte der süße Grasgeruch, der die Tour zu begleiten schien. Ich hatte Mühe an Luft zu kommen und stieß ein Uff aus, sobald wir die Türschwelle passierten. Volkan und Hakan sahen mich beide grinsend an.
„Hast du eigentlich schon mal gekifft?". Hakan schien die Frage ernst zu meinen.
„Ja, klar. Wer denn nicht?! Aber das hier drin ist ne Hotbox, da muss man ja gar nicht mehr selbst rauchen.". Die beiden grinsten etwas in sich hinein und wir gingen in den sehr verqualmten, großen Raum.
„Was willst du trinken?". Volkan beugte sich etwas zu mir, um mich über die laute Musik zu verstehen.
„Vielleicht noch einen Jacky?" überrascht schaute er mich an.
„Ich dachte das schmeckt dir nicht?"
„Na jetzt hab ich heute doch schon damit angefangen, jetzt ists auch egal, oder?"
„Wie du willst..." sagte er schulterzuckend, während er sich schon von mir abwandte. Ich nutzte den unbeobachteten Moment und schaute mich um. Den Bass konnte ich bis in meinen Bauch spüren. Überall saßen und standen Leute, zwei Drittel davon kannte ich mit Sicherheit nicht. Es war eine komische Stimmung hier drin. Einerseits die laute Musik, die eigentlich Lust aufs Feiern machte und andererseits entspannt und unaufgeregt. Volkan kam wieder auf mich zu und hielt mir das Glas entgegen. Ich war super durstig und die klirrenden Eiswürfel machten es ziemlich schmackhaft. Ich zog das halbe Glas in einem Zug weg.
„Soll ich gleich wieder auffüllen gehen?". Volkans Sarkasmus.
„Wenn du schon so fragst?". Ich setzte erneut an und trank aus. Dumme Idee. Warum ließ ich mich so herausfordern...
Ein düsteres Lächeln umspielte seine Lippen. Er tauschte kurzerhand sein volles Glas mit meinem. Ich schaute mich unauffällig im Raum um und mein Blick blieb an einem jungen Mann kleben, der gerade einen Lapdance erhielt. Die Frau auf seinem Schoß trug nicht mehr als reizvolle Unterwäsche, einen sehr kurzen Rock, der nach oben auf Taillenhöhe gerutscht war und rieb sich intensiv auf ihm. Immer wieder haute er ihr auf den Arsch und versuchte die umstehenden Personen in die Show zu involvieren. Ich beobachtete ihre Bewegungen und die Freude, die sie an ihrem Tanz hatte. Volkan folgte meinem Blick und riss mich mit seinen Worten aus den Gedanken.
„Sie tanzt bestimmt auch für dich, wenn du nett fragst.". Ich fühlte mich erwischt und musste etwas beschämt darüber, wie sehr ich sie beobachtete, lächeln. Ich war bestimmt auch rot angelaufen.
„Wollen wir uns da drüben hinsetzen?" deutete er mit dem leeren Glas in seiner Hand auf eine Couch. Meine Füße setzten sich von allein in Bewegung, bis ich mich hinsetzte. Volkan ließ sich nah neben mir nieder und sein Duft stieg mir wieder in die Nase. Volkan begann von irgendetwas zu erzählen, doch bekam ich immer wieder nur Fetzen mit. Ich konnte mich kaum auf das Gespräch konzentrieren, da das mittlerweile recht laute Stöhnen vom anderen Raumende ziemlich irritierte.
„Wird's dir zu wild? Wir können auch rausgehen... dass die jetzt schon so abgehen, hätte ich auch nicht gedacht.". Während er noch seinen Satz beendete, liefen zwei Frauen auf uns zu und blieben kurz vor Volkan stehen. Eine der beiden beugte sich zu ihm, sodass er einen sehr direkten Blick in ihr Dekolletee werfen konnte und strich sanft mit ihren Fingern über seine Brust. Sie ließ ihre Finger gleiten, während sie um ihn herum lief und hinter ihm zu stehen kam, die Hand nun auf seiner Schulter ruhend, das Gesicht nah an seinem Ohr.
„Na Volkan, sehen wir uns später wieder bei dir, oder bist du für heute gut versorgt?". Ihre Stimme war auf Sexmodus gestellt, das konnte selbst ich hören. Sowohl fasziniert als auch gespannt schaute ich zwischen den beiden hin und her.
„Hey Julia. Alles gut, danke. Einer von den Jungs drüben freut sich aber bestimmt.".
„Alles klar, wenn ihr Lust auf Gesellschaft habt, sag Bescheid. Viel Spaß, Süßer.". Die beiden gingen unaufgefordert weiter an uns vorbei in Richtung der Sitzecke mit Volkans Freunden. Volkan schaute mich prüfend an.
„Sorry. Alles ok?"
„Du scheinst Julia ja ganz gut zu kennen". Ich musste etwas schmunzeln, doch Volkan schien skeptisch zu bleiben.
„Ja, naja. Man kennt... sich halt."
„Entspann dich. Wie war das? Kein Verurteilen? Mir ist schon klar, dass du auch deine Erfahrungen gesammelt hast.". Er schien dem Braten noch immer nicht zu trauen und musterte mein Gesicht intensiv.
„Hör auf mich so anzustarren, sonst checken hier gleich alle, warum Julia dich heute Nacht nicht besuchen soll.". Ich schielte zu ihm hinüber, während ich sprach.
„Na und...wäre für alle hier nicht das Spektakulärste an diesem Abend, glaub mir. Ich hab doch gesagt, alles erlaubt." Unsere Gesichter näherten sich etwas. Ich war zu angetrunken, um noch zwischen richtig und falsch unterscheiden zu wollen. Konsequenzen? Ja, mein Gott.
„Bro, hast du ne Sekunde?". Johannes stand aus dem Nichts vor uns.
„Gib mir zwei Minuten." antwortete Volkan, ohne unseren Blickkontakt zu unterbrechen.
„Jetzt wäre schon echt super. Bitte." Johannes blieb hartnäckig und fest in seiner Stimme. Volkan schloss für einen Moment die Augen und drehte seinen Kopf dann nach vorn zu Johannes. Er erhob sich von dem Sitz und liefen auf die Terrasse. Ich widmete mich wieder Volkans Drink und versuchte unauffällig im Raum herum zu schauen. In mir entwickelte sich ein Gedanke, der sich nicht mehr abschütteln ließ, sodass ich Volkan direkt fragte, als er wieder zu der kleinen Couch kam und sich setzte.
„Meinst du, man könnte... also hier mitrauchen?"
„Du willst kiffen?! Du musst uns das hier nicht beweisen, wir glauben dir, dass du das schon mal gemacht hast." lachte er fast spöttisch. Ich war etwas beleidigt und boxte ihm gegen die Schulter.
„Ich mein das ernst. Ich hab jahrelang nicht geraucht. Das ist doch hier ne ganz geile Umgebung dafür. Und da kann ich sicherer gehen, dass es kein Scheiß ist."
„Ey, aber Gras auf Jacky... weiß nicht man.". Er wusste, dass ich ihn nicht um Erlaubnis fragte und er schien nachzudenken.
„Ok, komm mit. Sasan hat bestimmt was." Ich ließ mich in der kleinen Sitzecke, in der auch Sasan und Musti saßen, in die Couch fallen. Volkan beugte sich kurz zu Sasan, dieser nickte und griff nach etwas, was er ihm reichte. Danach setzt er sich neben mich.
„Ist relativ leichtes Zeug, er hatte nichts anderes mehr." Er hielt mir seine offene Hand hin, in der ein fertig gedrehter Joint lag. Ich griff danach und steckte ihn mir zwischen die Lippen. Aus meiner Hosentasche kramte ich mein Feuer und zündete den Joint an. Volkans Augen verfolgten jede meiner Bewegungen. Ich zog ein Mal und atmete tief ein. Ich spürte nicht nur Volkans Blicke an mir geheftet und schaute auf. Noch mit dem Rauch in der Lunge, schaute ich in Hakans, Mustis und Sasans Gesichter und pustete als Reaktion langsam aus.
„Alles ok bei euch?" Ich erhielt keine Antwort.
„Glaube, die warten darauf, dass es knallt." Volkan schien tatsächlich etwas amüsiert.
„Naja so schnell geht das doch nun auch nicht.". Ich zog noch zwei weitere Male am Joint und hielt ihn zu Volkan, der jedoch ablehnte. Was ganz Neues.
Bereits nach einigen Minuten und weiteren Zügen merkte ich, das mir doch nicht mehr so unbekannte Gefühl und lehnte mich in auf der Couch zurück.
„Geht's dir gut?" Volkan sprach mit mir über seine Schulter hinweg, um es  nicht allzu sehr auffallen zu lassen.
„Hmm". Ich musste bei meiner einfältigen Antwort lächeln. Es ging mir tatsächlich besser als gedacht. Ich war entspannt und die Anspannung des ganzen Tages und der letzten Tage und Wochen schien kurz nicht mehr vorhanden zu sein.
„Willst du nochmal?" Sasan beugte sich nun erwartungsvoll zu mir hinüber und hielt mir den glühenden Joint entgegen. Ich zog noch einmal. Sasan rutschte über die Sitzflächen neben mich und legte den Kopf auf der Rückenlehne ab. Auch Volkan ließ sich nun neben mir in das weiche Kissen fallen und hatte die Augen geschlossen. Ich musterte sein wunderschönes Gesicht und blieb an seinen Lippen hängen. Ich wollte mit ihm allein sein. Ich wollte ihn berühren und seine Hände auf mir spüren. Jetzt.

„Gut, ich geh jetzt schlafen, Jungs." sagte ich laut genug, dass alle am Tisch es hörten.
„Wie, schon?" Sasan war richtig entsetzt. „Bleib doch noch kurz, wir können noch was trinken."
„Es ist fast drei Uhr... mir reichts.". Etwas entschuldigend zuckte ich die Schultern und wandte mich an Hakan, der wispernd mit Sophie auf der gegenüberliegenden Couch saß.
„Hakan, was sagst du, war meine Zimmernummer?". Er schaute mich kurz irritiert an, bis er begriff.
„Ähm. 426. Vierter Stock links."
„Perfekt, danke. Dann bis morgen, schlaft gut.". Ich beugte mich noch einmal zur Couch, um mein Handy und mein Feuer wieder einzusammeln. Volkans schaute mich fragend an, er schien auch etwas überrascht. „Bis gleich" flüsterte ich ihm noch entgegen. Seine Augen leuchteten ein wenig auf und blieben an mir kleben, als ich an ihm vorbei in Richtung Tür lief. Schnell machte ich mich auf den Weg zum Fahrstuhl und drückte hektisch den Rufknopf. Ich wollte ein paar Minuten Vorsprung haben, um mich kurz frisch zu machen und schon mal aus meiner engen Jeans zu schlüpfen. Ungeduldig tippten meine Finger auf der weißen Checkkarte fürs Hotelzimmer herum, bis ich endlich mein Stockwerk erreichte und die Zimmer ablief, bis ich die genannte Zimmernummer fand. Mein Koffer stand recht einsam in dem kleinen Flur. Schnell zog ich ihn ins Innere des Raumes, riss den Reißverschluss auf und kramte nach meiner Kulturtasche. Schnell duschen, ein wenig Parfum und die Zähne putzen. Das Minimum an Wohlfühlen.
Im Gehen entledigte ich mich meiner Kleidung und schlüpfte unter die warme Dusche. Ich war wohl doch etwas high und merkte, dass meine Bewegung verlangsamt waren und meine Gedanken so witzig schienen, dass ich immer wieder grinste und zu kichern anfing.
Ich trocknete nach wenigen Minuten meinen Körper ab, zog einen frischen Slip an und fischte das Shirt, das Volkan bei mir in Berlin gelassen hatte, aus dem Koffer.
Dann hörte ich endlich das Klopfen. Die Vorfreude stieg, endlich mit ihm allein zu sein. Auch wenn es nur ein paar Stunden waren, ich würde endlich wieder neben ihm einschlafen können. Während ich mich auf den Weg zur Tür machte, hörte ich eine Stimme, mit der ich nicht rechnete.
„V, bist du noch wach? Ich bins.". Die Stimme konnte ich schnell Sasan zuordnen. Was zum Teufel war denn heute nur los. Ich blieb wie erfroren im Flur stehen und bemühte mich, keinen Laut von mir zu geben. Ich hatte wirklich keine Lust mehr mit jemandem zu sprechen. Erneut hörte ich sein Klopfen.
„V? Mach mal die Tür auf.". In Sekundenschnelle rasten mir die Gedanken durch den Kopf, warum er nun nochmal kam und eine Sorge stieg auf. Was, wenn etwas passiert war, es jemandem nicht gut ging. Wo blieb Volkan? Nach der kurzen Debatte in meinem Kopf, was ich nun tun sollte, lief ich zur Tür und öffnete sie nur einen spaltbreit, da ich auch für mein Gefühl zu wenig trug. Volkans T-Shirt reichte gerade bis unter meinen Po.
Ich setzte einen etwas verschlafenen Blick auf und schaute in die knallroten Augen von Sasan, der nur Zentimeter entfernt von der Tür im Türrahmen lehnte.
„Was ist denn los?" flüsterte ich ihm verschlafen entgegen. Meine Schauspielkünste überraschten mich manchmal doch sehr.
„Oh, hast du schon gepennt? Ich wollte nur nochmal vorbeikommen. Dachte, wir können noch bisschen quatschen und so."
„Quatschen"
„Ja, wir hatten doch kaum Gelegenheit heute und so können wir es uns doch bequem machen und"
„Ich will ins Bett, Sasan, guck doch mal, wie spät es ist..."
„Ja... ok. Aber ich hab mich so gefreut, dich hier zu sehen, lass doch die Zeit nutzen. Dann penn ich einfach bei dir.". Ich konnte seinen Worten kaum folgen. Er überrumpelte mich total.
„Nein, wirklich nicht.". Mehr brachte ich nicht heraus. Ich war nun schon etwas genervt und mein schönes Gefühl der Entspannung und Vorfreude war nun wie weggeblasen.
„Echt nicht? Keine Chance?". Er schaute mich wie ein enttäuschtes Kind an.
„Ne, echt nicht... Gute Nacht, Sasan.". Ich schloss die Tür, ohne auf eine Reaktion zu warten. Entnervt ging ich ins Zimmer zurück und setzte mich aufs Bett. Wahnsinn. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt