79. Wenig Schnickschnack

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V

Ich steckte das Handy direkt nach meiner impulsiven Nachricht an Jakob wieder ein und überlegte, ob das so eine gute Idee gewesen war. Ich kannte ihn doch gar nicht und fragte ihn mitten in der Nacht, ob er noch in den Club kommen wollte. Das sah doch aus wie ein absoluter Bootycall. Ich trank zum Trost über meine Selbstscham noch einen Shot. Luisa kämpfte sich zu mir an die Bar. Sie sah wahnsinnig verschwitzt aus und betrunken.
„Was machst du denn hier unten? Hast du ohne mich einen Shot getrunken?".
„Ja, war auf Klo und dann hatte ich Lust auf einen Shot. Ich glaub ich hab was dummes gemacht..."
„Hattest du Sex auf dem Klo? Mit wem?" sie riss ihre Augen auf und schaute sich hektisch um.
„Neee! Ich hab Jakob geschrieben, ob er kommen will..."
„Hä, das ist nicht dumm, das ist super! Hast du gut gemacht, Süße. Und kommt er?"
„Hat nicht geantwortet. Wie steh ich denn jetzt da?!"
„Mensch V, hör doch endlich mal auf, so viel nachzudenken. Das war richtig so, ob er kommt, oder eben nicht. Scheiß drauf und lass uns tanzen und Spaß haben!". Im gleichen Moment umfasste sie mein Handgelenk und zog mich auf die Tanzfläche. Es war unfassbar voll und heiß, dass ich mir immer wieder etwas Luft zu wedelte. Ich schloss die Augen und spürte nur die Musik, bis eine Hand vorsichtig in meine Taille griff. Ich drehte mich um, bereits in der Erwartung eine Ansage zu machen, doch brauchte ich eine Sekunde, um das Gesicht zuordnen zu können.
„Oh hey! Du bist ja echt gekommen." brüllte ich ihm entgegen.
„Na klar, hab paar Freunde mitgebracht. Hat ganz schön gedauert, dich hier drin zu finden."
„Meinst du, ich bin so unscheinbar?" ich grinste ihm herausfordernd entgegen.
„Niemals. Hab mich sehr über deine Nachricht gefreut.". Sein Lächeln war charmant. Er behielt die Hand an meinem Rücken, drehte uns jedoch so, dass ich seine Freunde sah und begrüßen konnte. Ich stellte auch Luisa vor, die hektisch der Runde entgegenwinkte.
„Ich hol mal Drinks, was möchtest du?"
„Gin Tonic wäre toll, danke!"
„Kommt sofort.". Während er sich zur Bar durchkämpfte, drehte er sich immer wieder um und hielt den Blickkontakt.
Luisa stürmte just in dem Moment, in der er außer Sichtweite war, auf mich zu und fiel mir um den Hals.
„Fuck, wie gut sieht der denn heute aus! Und er ist extra für dich noch gekommen, wie süß bitte.". Er sah tatsächlich ziemlich gut aus heute. Sein weißes Hemd trug er aufgeknöpft und hatte es an den Armen nach oben geschoben. Er sah nicht verkleidet aus, eher, als hätte er vorher gearbeitet und musste spontan umdenken.
„Meinst du die packen das, wenn wir sie mit hoch nehmen, oder drehen die durch, wenn sie Julian sehen?" fragte Luisa fast aufgekratzt.
„Keine Ahnung... frag Julian lieber vorher."
Als die anderen mit den Getränken zurückkamen, machte sich Luisa auf den Weg in den VIP-Bereich. Mein Blick huschte in den hochgelegenen Bereich, als ich in Julians Gesicht schaute, der prüfend die Situation zu beobachten schien. Als Luisa neben ihm auftauchte, entspannten sich seine Gesichtszüge etwas und er nickte, während sie sprach. Luisa suchte mich in der Menge und winkte uns zu sich hoch.
Jakob, der neben mir stand und sich leicht zur Musik bewegte, bekam von alldem nichts mit. Ich lehnte mich etwas zu ihm, um die Lautstärke zu übertönen.
„Du, wir haben oben noch Freunde, habt ihr Lust mitzukommen?" er schaute mich etwas irritiert an und scannte den Raum, bis er zu verstehen schien.
„Klar". Er nickte zu seinen Freunden, um sie zum Mitkommen aufzufordern.
Julian und Luisa empfingen uns bereits an der Treppe und ich machte Julian so gut es ging bekannt. Jakob und seine Freunde zeigten kaum eine Reaktion, sie hatten also keine Ahnung, wer vor ihnen stand. Es war in dem Moment so erholsam mit Jakob zu sein, der sich scheinbar nicht darum scherte. Dem es egal war, wo er feierte und ob jemand berühmt war.
Er blieb ganz einfach neben mir stehen und tanzte. Unsere Körper kamen sich immer näher und seine Hände tasteten sich vorsichtig an meine Hüfte, doch wurde er zu keiner Sekunde unangenehm.
„Du siehst wunderschön aus" hörte ich ihn nah neben mir sagen, was ich mit einem verlegenen Lächeln beantwortete. Ich hatte diesen Satz zuletzt von... Fuck, nein! Ich wollte nicht an ihn denken. Ich lehnte schnell meinen Kopf an Jakobs Brust und merkte sofort, wie betrunken ich doch war.

Zwei Stunden später liefen wir gesammelt aus dem Club und auch Luisa verabschiedete sich.
„Ich fahr noch mit Julian mit, gleich kommt ein Auto für uns. Viel Spaß euch noch, Süße.". Wir nahmen uns fest in die Arme. Jakob wartete mit einigem Abstand, bis ich mich von allen verabschiedete, doch spürte ich seinen Blick auf mir.
„Hey V" ich drehte mich nach rechts, um der Stimme zu folgen. Sam.
„Willst du mitkommen zu Sarah? Kannst da pennen, wenn du willst?".
„Ich... ich glaub... danke Sam. Ich weiß noch nicht.". Er lief noch einmal auf mich zu, drückte mich an sich und küsste wie immer meinen Scheitel.
„Verstehe. Pass auf dich auf, Kleine. Wenn was ist, ruf mich an." flüsterte er in mein Ohr.
„Mach ich, danke dir. Ich meld mich morgen."

Als alle in ihren Autos verschwunden waren, sah ich auch Jakob an einem Wagen stehen, wie er mir bereits die Tür aufhielt. Ich ging die wenigen Schritte auf ihn zu und grinste ihn an, während ich einstieg.
„Du müsstest nur noch verraten, wo wir dich hinfahren dürfen.". Sein Gesicht war in der Dunkelheit der Nacht kaum zu erkennen.
„Ich dachte, ich komme einfach mit zu dir.". Er stockte und ich glaubte gesehen zu haben, wie er seine Augenbrauen für eine Sekunde hochzog.
„Das geht natürlich auch."
Wir fuhren nicht lang und während der Fahrt unterhielten wir uns nicht. Seine Hand tastete sich vorsichtig zu meinem Bein und er umfasste es locker. Ich rutschte irgendwann rüber, um meinen Kopf auf seiner Schulter abzulegen.
„Ok, da sind wir, warte ich helf dir raus.". Er hielt mir helfend die Hand entgegen und ließ sie, auch nachdem ich aus dem Auto gestiegen war, nicht los. Wir gingen in Richtung eines Altbaus und er schloss die eindrucksvolle Tür auf.
„Wunder dich nicht über die vielen Schuhe, wohne in ner WG. Sollten aber allein sein.". Seine Hand fühlte sich so wahnsinnig fremd an und auch nachdem wir in seinem Zimmer ankamen, legte es sich nicht.
„Willst du noch was trinken? Wein? Wasser?"
„Beides gerne.". Ich brauchte dringend Nachschub, bevor ich darüber nachdenken konnte, was ich hier überhaupt machte. Während er in der Küche verschwunden war, schaute ich mich in dem Zimmer um. Wenig Schnickschnack, viele Bücher. Ich warf einen Blick auf die Buchrücken und zählte eins und eins zusammen. Er musste BWL studieren.
„Und gefallen dir die trocknen Sachbücher?" hörte ich seine Stimme hinter mir, ehe ich mich ruckartig zu ihm drehte.
„Wahnsinnig, wurde direkt ein bisschen müde."
„Verstehe ich, also lieber schnell weg da.". Er griff nach meiner Hand und zog mich zu sich. Er hielt mir ein Glas entgegen und ich trank einen großen Schluck.
„Hab auf den Nachttisch Wasser gestellt, wenn du...". Ich ließ ihn nicht aussprechen und drückte mich an ihn. Stürmisch presste ich meine Lippen auf seine und erschrocken umschlang er meinen Körper, um uns zu halten.
Er küsste mich zurück, doch fühlte es sich nur halb an. Seine Lippen waren schmal und kühl vom Wein. Ich ging noch einen kleinen Schritt näher, bis unsere Körper komplett aneinandergedrückt waren. Seine Hand fuhr an meinem Rücken entlang zu meinem Po und ein kleines Stöhnen entwich ihm dabei. Mit einer Hand hielt ich mich an seinem Nacken fest, um nicht umzufallen, die andere versuchte die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. Er manövrierte mich rückwärts zu seinem Bett, auf das wir uns fallen ließen. Ich ging die Bewegungen wie einstudiert durch und versuchte mich krampfhaft auf seine Berührungen zu konzentrieren, den Kopf endlich auszuschalten.
Er küsste mich so zart und fuhr mit seinen Händen an meinem Körper entlang, um unter mein Oberteil zu fahren. Er zog es mir vorsichtig über den Kopf und berührte sanft die nun freigelegte Stelle. Seine Hüfte drückte sich an mich und seine Finger streichelten meine Haut. Es fühlte sich schön an und dann war da dieser Moment, in dem er sich von mir löste, mich ansah und meine Stirn küsste. Fuck. Ich verfiel in Starre und mein Kopf schien in der Realität anzukommen. Die Tränen schossen sofort in meine Augen und ich fühlte mich schlagartig so schmutzig. Ich drückte ihn von mir und sprang von seinem Bett auf.
„Hab ich was falsch gemacht?" er schaute mich erschrocken an. Auch er war nur noch in seiner Jeans bekleidet und richtete sich schnell auf.
„Nein... gott nein. Ich... Fuck, ich muss weg."
„Warte mal, was ist los? Was hab ich gemacht?"
„Nichts, du hast nichts gemacht. Ich kann das nur nicht... Tut mir leid."
„Warte, ist doch alles gut, lass mich dir doch ein Taxi rufen.... V...!". Noch während er mir hinterher rief, hatte ich schon mein Shirt angezogen, meine Schuhe gegriffen und die Tür hinter mir zu gezogen. Als ich aus dem Haus kam, irrte ich einige Meter die Straße herunter, um kurz klarzukommen. Ich ließ mich auf den Stufen eines geschlossenen Geschäfts nieder, zog die Knie an meine Brust und schluchzte. Szenenhaft sah ich in meiner Vorstellung immer wieder Volkan, wie er sich zu mir beugte und meine Stirn küsste. Und mir sagte, dass er mich liebte. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt