83. Klar, Urlaub

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Hakan

Mein Blick blieb immer wieder an den sich rhythmisch aufbauenden und wieder brechenden Wellen vor mir hängen. Ich verlor mich in dem beruhigenden Rauschen und merkte immer wieder, wie mir die Augen vor Entspannung zu fielen. Ich hätte mich an diesen Ausblick wirklich gewöhnen können. Einige der Jungs kickten mit einem billigen Supermarktfußball im Sand hin und her. Zwei zusammengeknüllte T-Shirts markierten die Torpfosten und kurz fühlte ich mich in meine Jugend zurückversetzt. Jedes Mal, wenn sich jemand wegen eines Foulspiels beschwerte, schreckte ich doch kurz aus meiner Trance auf und beobachtete das Treiben.

„Would you like to order something, Sir?". Vollkommen irritiert folgte ich der Stimme und blickte in das Gesicht des freundlichen Angestellten des Beachclubs.
Ich konnte kaum reagieren und sortierte noch die Worte in meinem Kopf. Dieses gottverdammte Englisch machte mich noch immer etwas nervös.
„I'm sorry, I didn't mean to scare you. I'll come back in a few minutes, to take your order." Vollkommen überfordert lächelte ich ihn an und scrollte auf meinem Handy durch die Speisekarte, um ihn nicht noch einmal warten zu lassen.
„Jungs, lasst mal was zum Essen aussuchen." rief ich den anderen entgegen und beendete damit ihr Spiel. Ganz zur Freude meines Bruders, der entschied, den aktuellen Spielstand als seinen Sieg zu werten.
„Haben die Burger?" Volkan setzte sich schwungvoll auf meine Liege und verstreute den Sand, der an seinen Beinen klebte, auf meinem Handtuch.
„Bestimmt, ich guck mal.". Während ich nach dem Burger suchte, klopfte ich den Sand hinunter.
„Ja, gibt's alles. Mit Käse, ohne Käse, Trüffel, Bacon, ..."
„Ach einfach Cheeseburger und Pommes, reicht. Dazu ne Flasche Wein?"
„Willst du schon wieder trinken?" ich schaute Volkan besorgt an, der jedoch nur bübisch grinste und nickte.
„Klar, Urlaub.". Die anderen Jungs grölten ihm unterstützend entgegen und überstimmten mich somit. In den letzten Tagen floss ohnehin schon Unmengen an Alkohol.
Als der junge Mann zurückkehrte, um unsere Wünsche aufzunehmen, musterte ich ihn einen Moment. Er stand in Hemd, Hose, feinen Schuhen und Fliege vor uns, bei 35°C. In mir kam ein schlechtes Gefühl auf und ich entschied, ihm ein ordentliches Trinkgeld zu hinterlassen.
„Kommst du nochmal mit ins Wasser, bevor das Essen kommt?" Johannes zog sich gerade das T-Shirt aus und stand bereits voller Erwartung vor mir.
„Ne, ich chill hier noch, will noch mit Sophie sprechen, bevor ich zu betrunken bin."
„Weise. Ruf uns, wenn's los geht.". Sie sprinteten gleichzeitig los ins Wasser uns ließen sich gegen eine anrollende Welle fallen. Solche Chaoten.

Ich legte mich wieder zurück auf meiner Liege und öffnete Whatsapp, um Sophie zu schreiben, ob sie schon Zeit hatte, zu sprechen. Doch während ich schon mit dem Finger auf ihren Namen tippte, sah ich den obersten Chat und schluckte, als ich den Namen las. Ich blickte mich um, um wirklich sicher zu gehen, dass die Jungs im Wasser waren und auf mein Handy schielen konnten, bevor ich zurück in die Chatübersicht ging und die Nachricht öffnete.

V 15:57: Hey Hakan... ich hoffe, es ist okay, dass ich dir direkt schreibe. Ich habe von Volkan eine Nachricht bekommen, dass du mir meine Sachen geben würdest. Wann passt es dir gut? Liebe Grüße, V.

Volkan war in den letzten drei Tagen ziemlich niedergeschlagen, weil sie auf seine Nachricht nicht reagiert hatte. Auch wenn er es nicht sagte, sah ich die Enttäuschung in seinem Blick. Ich konnte ihm jetzt nicht sagen, dass sie ihn ignorierte und mir stattdessen schrieb. Nicht während des Urlaubs. Es würde alles, was er hier wieder an Lebensfreude und Energie zurückgewonnen hat, wieder kaputt machen und wir würden von Neuem beginnen, die Scherben zusammen zu kehren. Ich musste mich mit meiner Antwort beeilen, bevor die anderen aus dem Wasser zurückkamen.

Hakan 17:22: Hey V. Schön, von dir zu lesen. Ich ruf dich in ein paar Tagen an, dann können wir was ausmachen.

Nachdem der zweite Haken erschien, schloss ich schnell den Chat und rief Sophie an. Es blieben nur einige wenige Minuten ihre Stimme zu hören und grob von ihrem Tag zu hören, bis neben mir das Essen gebracht wurde. Wie ausgehungert, sah ich die Jungs aus dem Wasser hechten, bis sie sich neben mir auf die Liegen fallen ließen und zugriffen.
Satt und zufrieden beobachtete ich, wie Sasan gerade von den anderen vollkommen im Sand eingegraben wurde. Zu allem Überfluss wurde noch eine Flasche Champagner mit lautem Knall geöffnet und anschließend über seinem Kopf entleert, während Musti das Spektakel filmte. Ich konnte nur lachen und den Kopf schütteln. Diese Aktion würde den nächsten feuchtfröhlichen Abend einleiten und genau wie gedacht, packten wir unsere Sachen, fuhren zurück in die Villa und machten uns fertig, um heute Abend feiern zu gehen.

-

Berlin begrüßte uns vier Tage später mit widerlichem Nieselregen und einem Himmel in verschiedenen Grautönen. Noch heftiger hätte der Unterschied zu den letzten Tagen nicht sein können, die Urlaubsdepression war also fast vorprogrammiert.
Wir verabschiedeten uns im Parkhaus des Flughafens und stiegen in unsere Wagen. Ich fuhr direkt durch zu mir nach Hause, da Sophie dort bereits auf mich wartete und hielt nur noch kurz an der Tankstelle, um ein paar Blumen mitzubringen. Etwas aufgeregt kam ich vor dem Haus an und schloss die Tür auf.
Sophie blickte etwas erschrocken von der Küche aus in den breiten Flur und schien einige Sekunden zu brauchen, um die Situation zu verstehen. Im Falle eines tatsächlichen Einbruchs wäre sie absolut aufgeschmissen, so wie sie mich immer noch überrascht anschaute und regungslos dastand.
„Was machst du denn schon hier?" ein riesiges Grinsen bildete sich langsam auf ihrem wunderschönen Gesicht ab und meine Aufregung war sofort vergessen. Ich stürmte auf sie zu und nahm sie fest in meine Arme. Mein Gesicht vergrub ich in ihrer Halsbeuge und atmete tief ihren Geruch ein.
„Wollte nicht länger warten, du hast mir gefehlt." flüsterte ich an sie gepresst. Ich lief mit ihr im Arm ins Wohnzimmer und küsste sie immer und immer wieder. Es kam, wie es kommen sollte und aus unseren Küssen wurde ein intensives Knutschen, bis wir im Bett landeten. Das war eigentlich nicht höchste Priorität meiner Rückkehr, doch war ich nicht unglücklich darüber.

Nur mit einer Decke über meinem Schoß saß ich einige Zeit später mit Sophie in meinem Arm in meinem Bett und checkte die eingegangenen Mails und Nachrichten. Sophie schmiegte sich, noch etwas erschöpft, an meine nackte Brust und küsste sanft meine Haut. Als Antwort drückte ich ihr Küsse auf den Scheitel und die Stirn.
„Bist du jetzt erstmal eine Weile hier, oder muss ich mich schon wieder von dem hier verabschieden?" fragte sie etwas ernst, blickte mir dabei jedoch nicht ins Gesicht.
„Ich bin so zwei Wochen hier, dann müssen wir nach Mannheim, um paar Sachen zu erledigen. Bin aber nicht lange weg.". Ich zog sie etwas näher an mich, um ihre zarte Haut noch intensiver zu spüren.
„Zwei Wochen reichen mir erstmal.". Sie lächelte mich an und ich war beruhigt. Ich hatte Sorge, sie würde dieses hin und her nicht lange mitmachen, doch da hatte ich sie scheinbar unterschätzt.
Während ich noch durch meine Nachrichten ging, sah ich wieder V's Nachricht. Ich wollte mich bei ihr melden, sobald ich wieder in Berlin war.
„Kann ich dir was erzählen?"
„Alles". Sie richtete sich etwas auf, um mir richtig ins Gesicht gucken zu können. Ihr Blick schien besorgt.
„Volkan hat im Urlaub von nem Freund gehört, dass V was mit nem anderen hatte. Jetzt hat Volkan mich gebeten, ihr die Sachen zurückzugeben, die noch bei ihm sind und hat ihr geschrieben. Er versucht echt abzuschließen, aber ich merke, wie nah ihm das noch geht." Ich machte eine kurze Atempause.
„Oh ok. Das ist krass, hätte nicht gedacht, dass sie die erste ist, die sich jemanden neues sucht."
„Ach, das finde ich voll ok. Also aus ihrer Perspektive. Für ihn ist das beschissen, ja. Aber... was ich eigentlich erzählen wollte. Sie hat ihm nicht geantwortet, sondern mir direkt geschrieben, ob wir uns treffen können für die Sachen. Volkan weiß davon aber nichts.
„Wieso hast du ihm das nicht einfach gesagt?"
„Ich wollte nicht schon wieder die Wunde aufreißen. Ist schon bitter genug, dass sie nicht mal auf sone Nachricht reagiert. Aber jetzt ist es irgendwie auch kacke. Fühlt sich bisschen an, als würde ich es hinter seinem Rücken machen, aber irgendwie hat er mich ja auch darum gebeten.". Ich atmete etwas verzweifelt aus. Ich steckte irgendwie in einem Dilemma.
„Hm, vielleicht machst du einfach was mit V aus und erzählst es dann Volkan. Er wird das schon verstehen, meinst du nicht?"

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