85. Hey Hakan

309 19 11
                                    

Hakan

Mittwochabend parkte ich meinen Wagen in der Tiefgarage neben Volkans Auto. Als ich oben bei ihm ankam, sah ich aus dem Augenwinkel bereits eine Reisetasche im Flur stehen und ahnte, dass es eine für V sein sollte.
„Willst du was trinken?" lallte er mir etwas entgegen, während er schon in Richtung Küche lief.
„Nein, danke. Wieso trinkst du schon wieder?". Eigentlich kannte ich die Antwort, aber ich wollte es nicht einfach hinnehmen.
„Mir war danach. Keine Ahnung.". Es entstand eine Pause, während Volkan aus der Küche ein zweites Glas holte, es ebenfalls füllte und vor mir auf den Tisch stellte. Ein Nein schien keine akzeptable Antwort gewesen zu sein.
„Bro, wenn dir das Einpacken ihrer Sachen so schwerfällt, lass es mich doch machen."
„Nein... nein, das geht schon. Du siehst doch, ich mache es mir nett. Kein Problem.". Er stand wieder auf und ging ins Schlafzimmer. Auf seinem Bett lag eine weitere geöffnete Reisetasche, in der bereits einige Kleidung lag. Daneben, auf seiner Bettdecke, einige Kosmetikartikel aus dem Bad und ein Parfum. Erst jetzt nahm ich den süßen Geruch wahr, er musste ihr Parfum gesprüht haben.
„Ich hatte noch n Geschenk für sie, hab's eben wiedergefunden. Kommt eher nicht so gut, wenn ich dis mit reinlege, oder?" er sprach eher beiläufig, doch machte mich traurig.
„Du kannst machen, was du willst. Es gibt kein richtig und falsch."
„Hm... hab's für sie gekauft... sie kanns ja immer noch wegschmeißen oder verkaufen." flüsterte er vor sich hin, wahrscheinlich um sich selbst zu überreden. Nervös trommelte er mit den Fingerspitzen einige Male auf der kleinen Schmuckschatulle herum, bis er sie tatsächlich behutsam in die Tasche legte, und in eines der Shirts wickelte.
„Ist in den anderen Zimmern noch was?". Ich wollte das hier möglichst schnell fertigbringen, um ihn nicht noch länger leiden zu sehen.
„Glaub nicht. Hab eigentlich alles zusammengesucht. Ist doch irgendwie weniger, als ich dachte. Kam mir voll viel vor, während sie hier war... scheint wohl doch mehr an ihr und ihrer Präsenz gelegen zu haben." seufzte er. Fuck, war das hier unangenehm.
Nach einer halben Stunde und einigen schwierigen Situationen, nahm er das letzte Shirt in die Hand, starrte es gefühlt minutenlang an, um es dann endlich in die Tasche zu legen und den Reißverschluss hastig zuzuziehen. Er griff die Tasche und brachte sie in den Flur, bevor er sich wieder auf die Couch setzte und sein Glas in einem Zug austrank. Schweigend setzte ich mich neben ihn und folgte mit meinen Augen den wechselnden Bildern im Fernseher.
„Keine Sorge, ich trinke nicht weiter. Brauchte es nur zum Packen.". Ich nickte ihm stumm entgegen und meine Gedanken ratterten.
„Soll ich heute Nacht hierbleiben? Ich könnte dich morgen Mittag dann im Büro absetzen.".
„Passt schon, Abi. Mach dir keine Gedanken.". Ich drehte mich zu ihm und legte einen Arm auf der Rückenlehne ab.
„Ich mach mir aber Sorgen um dich. Du musst nicht so stark tun, ernsthaft. Die Situation ist auch einfach krass. Und so krass hast du noch nie nach einer Trennung reagiert. Seit Wochen geht das jetzt so...". Er zuckte nur mit den Schultern. Ich zog ihn zu mir, bis er mit etwas Widerstand doch den Kopf erst auf meiner Schulter und dann auf meine Brust ablegte. Ich nahm ihn fest in den Arm und hielt ihn so für einige Minuten.

-

„Soll ich dir eine abnehmen?". Volkan reichte mir wortlos eine der Taschen herüber. Als wir meinen Wagen erreichten, merkte auch ich langsam ein wenig Anspannung. Ich lenkte vorsichtig das Auto vom Parkplatz und fuhr in Richtung Büro. Mit jedem weiteren Meter nahm ich die Nervosität auch bei Volkan wahr. Er rieb sich die Hände, rauchte eine Kippe nach der nächsten und fuhr sich immer wieder über die Haare.
„Ok, Bro. Da sind wir." murmelte ich vor mich hin und ließ die Hände auf meine Oberschenkel fallen. 
„Du kommst danach ins Büro, ja?" 
„Jap."
„Und... du erzählst mir alles?" voller Erwartung schaute er mich an und wollte sich rückversichern. 
„Jap, wie besprochen."
„Und du richtest es ihr aus?"
„Volkan, ja! Ich krieg das hin.". Er nickte mir noch einmal entgegen, bis er die Beifahrertür zuschlug und ich wieder den Rückwärtsgang einlegte, um zum Hackeschen Markt zu fahren. Schon jetzt verfluchte ich die Parkplatzsituation, doch die krass schweren Taschen wollte ich nicht tragen. Zudem wollte ich V auch anbieten, sie zu fahren, da ich mir dachte, dass sie mit der Bahn kam.
Überpünktlich betrat ich das Café, doch sah ich sie noch nicht. Ich sicherte uns einen Tisch und schob die Taschen etwas unter den Tisch, damit es ihr nicht gleich ins Gesicht sprang, wenn sie hereinkam. Ich beobachtete die Tür und holte bei jeder hereinkommenden Person Luft, um mich vorzubereiten. Bis sie tatsächlich das Café betrat, ihr Blick suchend die Tische abscannte und sie leicht zu Lächeln begann, als sie mich entdeckte. Volkan hatte mich gestern, als wir endlich etwas ehrlicher miteinander sprechen konnten, gebeten, heimlich ein Foto von ihr zu machen. Doch das traute ich mich nicht. Das Treffen mit V fühlte sich an, wie ein kleines Vögelchen, was bei jeder zu schnellen Bewegung wegfliegen konnte. Ich wollte es in diesem Moment einfach nicht riskieren. Sie war eine so starke Frau und doch wirkte sie auf mich gerade so zerbrechlich.
„Hey Hakan." strahlte V mich an, als sie den Tisch erreichte. Ihr Lachen war ehrlich, zu keiner Sekunde erzwungen und es erleichterte mich. Ich stand auf und breitete meine Arme aus, um ihr eine Umarmung anzubieten, die sie ohne zu zögern annahm. Als ich die Arme um sie legte, spürte ich den strammen Gurt über ihrer Schulter und als wir uns lösten, sah ich die schwarze Louis Vuitton Tasche. Volkans Tasche. Verlegen folgte sie meinem Blick.
„Ja...ähm, die ist dann für dich... also nicht für dich, aber..."
„Danke. Danke für's bringen. Deine stehen unterm Tisch. Ähm, aber wollen wir erstmal einen Kaffee trinken?" nervös hielt ich meinen rechten Arm einladend in Richtung ihres Stuhls, um aus dieser unbehaglichen Situation zu kommen.
„Liebend gern.". Sie entspannte sich wieder etwas, schob die schwarze Tasche zu den anderen beiden und setzte sich mir gegenüber. Die ersten Minuten überbrückten wir mit der Auswahl und Bestellung des Kaffees.
„Es ist schön, dich zu sehen. Ich hatte ein bisschen Angst, muss ich gestehen. Ich war verdammt nervös." sie lächelte mir über den Rand ihrer Tasse entgegen.
„Ja so ging es uns auch. Äh mir.". Ich sah ihren irritierten Blick und stellte gleich eine Frage, um von meinem Versprecher abzulenken.
„Und wie... ist die Arbeit?"
„Es läuft ganz gut. Ich bemühe mich gerade um ne Beförderung und glaube, es sieht nicht so schlecht aus.". Ihr war der Stolz im Gesicht abzulesen.
„Geil, das freut mich sehr für dich. Ich drücke die Daumen.".
„Danke, Hakan. Lieb von dir.". Den Smalltalk konnten wir gut für eine halbe Stunde halten, in der sie viel über Sophie fragte und von recht belanglosem Zeug berichtete, bis ich doch merkte, wie sich die Worte in mir langsam anbahnten. Ich nippte schon nur noch an meinem Kaffee, um noch etwas Zeit zu schinden.
„V, ich weiß, es ist richtig uncool, jetzt doch zu dem Thema zu kommen, aber es geht nicht anders.". Sie lächelte mich sanft an und machte wider Erwarten keine hektische Bewegung, um ihre Tasche zu greifen und fluchtartig aus dem Café zu stürzen. Sie blieb ganz ruhig sitzen.

„Alles gut, war ja absehbar, oder? Wir haben uns ja nicht nur einfach so getroffen...". Ihre Worte erleichterten mich.
„Volkan... er hat..." setzte ich an, doch sie unterbrach mich.
„Warte. Bevor du anfängst. Ich habe ihm nicht geantwortet, weil ich einfach nicht wusste, was. Seine Nachricht war so abschließend und gleichzeitig so schmerzlich. Ich war einfach überfordert. Auch, weil es jetzt so plötzlich kam und irgendwie... so schnell.".
Oh. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Noch bevor eine weitere unangenehme Stille entstehen konnte, sprach ich einfach drauf los, ohne zu viel zu überlegen. Aus mir sprudelten die Worte, die ich gerade für richtig hielt.
„Weißt du, es ist ihm sehr schwer gefallen mit den Sachen. Es wirkt vielleicht nicht so, aber so ist es. Seine Nachricht kam vor allem, weil er das Gefühl hatte, du hättest mit ihm abgeschlossen. Das sage ich dir im Vertrauen, er hat mich nicht darum gebeten und würde mir vermutlich den Kopf abreißen, wenn er wüsste, dass ich dir das sage.". Ich lachte etwas vor Nervosität und auch, weil die Vorstellung, wie Volkan davon erfuhr, kurz witzig war. In ihrem traurigen Blick entwickelte sich ein kleines Schmunzeln. Sie atmete hörbar ein und schloss für einen Moment die Augen.
„Vielleicht nur so viel, Hakan. Das habe ich nicht... also abgeschlossen... und es wird vermutlich auch noch eine ganze Weile brauchen. Die letzten Wochen waren auch für mich hart und ich kämpfe jeden Tag. Doch es wird besser, daran glaube ich jedenfalls ganz fest.". Ich griff über den Tisch nach ihren Händen und drückte sie fest in meinen. Ich lächelte sie an, in der Hoffnung, dass sie meinen Blick lesen konnte. Ich war dankbar für dieses Gespräch, auch wenn ich hoffte, sie hätte es mit Volkan persönlich führen können.
Nachdem alles gesagt schien, bot ich ihr noch einen Kaffee an, doch sie lehnte ab. Wahrscheinlich war es die richtige Entscheidung, da ganz offensichtlich nichts mehr hinzuzufügen war.
Wir standen allmählich auf, hatten fast anderthalb Stunden hier verbracht. V nahm mein Angebot sie zu fahren tatsächlich an, sodass ich sie bis vor die Haustür fuhr. Ich stieg mit ihr aus, holte die Taschen aus dem Kofferraum und stellte sie auf dem Gehweg, bis ich mich zu ihr beugte und sie in den Arm nahm.
„Bis dann, pass... auf dich auf." mir schoss in den Kopf, was sie vielleicht eigentlich sagen wollte und es tat mir in der Seele weh.
„Du auch, V. Du kannst dich jederzeit melden, ok? Wir sind trotzdem immer für dich da."
„Danke" flüsterte sie noch in mein Shirt, bis wir aus der Umarmung gingen, sie die Taschen wieder vom Boden aufhob und durch die Tür in ihrem Haus verschwand.
Ich setzte mich wieder in mein Auto und tippte schnell eine Nachricht an Volkan, dass ich jetzt kam. So ungeduldig wie er war, rief er mich bereits einige Sekunden später an und ich hatte Mühe, ihn über den Lautsprecher wieder abzuwimmeln. Er war beharrlich, doch wollte ich es lieber persönlich mit ihm besprechen, auch wenn ich den einen Teil höchstwahrscheinlich auslassen würde. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt