43. Vermisse deinen Geruch

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V

Mein Wecker riss mich aus meinen wirren Träumen und ich hatte das Gefühl, kaum geschlafen zu haben in der Nacht. Noch im Bett ging ich gedanklich zurück zur letzten Nacht. 
Ich erinnerte mich an die ganzen Sorgen und schämte mich etwas, dass ich mich so hineingesteigert hatte. Die Welt sah heute schon wieder viel besser aus und ich war froh, Volkan nicht mit all meinen Gedanken und Sorgen bombardiert zu haben, was ich gestern Abend noch für eine gute Option gehalten hatte. Meine Augen fühlten sich noch ziemlich geschwollen an und vom Bett aus sah ich durch mein Fenster in den vom Sonnenaufgang hellrosa gefärbten Himmel. Ich griff nach meinem Handy auf dem Nachttisch und sah, dass er mich versucht hatte anzurufen.

Volkan 1:45 : Hab deinen Anruf nicht gesehen, sind noch auf der Aftershow. Ist bei dir alles gut? Hoffe, du bist gut in deinem Bett angekommen und träumst schön.

V 6:32 : Hey, guten Morgen :) Vermisse deinen Geruch neben mir. Hattet ihr einen schönen Abend?

Ich konnte ihm nicht sagen, wie es mir gestern ging. Er würde ein schlechtes Gefühl haben und ich hatte mich wirklich zu sehr in die Situation hineingesteigert. Ich war selbst mehr als erschrocken, wenn ich an gestern zurückdachte und reflektierte, was da abging. Früher hatte ich so etwas nie. Ich fühlte mich nie allein oder einsam, ich kannte diese diffusen Ängste nicht. Erst seit das mit Volkan so eng wurde und er mich in der schwierigen Zeit begleitete, hatte ich mit diesen Ängsten zu kämpfen.
Doch mir wurde ebenso etwas klar durch diese Nacht. Ich wollte ihn sehen und das nicht erst in vier Wochen. Gegen dieses Bedürfnis zu handeln, würde mir nur weh tun und ich hatte Gefühle für ihn. Die konnte ich auch nicht minimieren, indem ich mich gegen meine Emotionen sträubte.

Ich nahm im Laufe der nächsten Tage direkt die Planung in die Hand und besprach mich mit Hakan. Er war der Meinung, dass es das Ding wäre, wenn ich am nächsten Freitag zur Show im Mannheim kommen würde, da sie anschließend zwei Tage frei hatten und dortblieben. Ich wusste bereits von Volkan, dass sie bei ihrer Mutter schlafen wollten, nur war ich mir nicht sicher, ob ich diesen tollen Mutter-Sohn-Moment kaputt machen wollte.
Hakan war bereits so von seiner Idee überzeugt und wollte sich umgehend um die Planung kümmern. Meinen Protest hatte er gekonnt ignoriert.

Ich stand überhaupt nicht auf Geheimniskrämerei und musste mir Mühe geben, Volkan am Nachmittag, nachdem ich Feierabend machte und auf dem Heimweg war, nicht gleich etwas davon zu erzählen. Er verbrachte den Tag im Hotelspa und lag, während wir sprachen, am Pool und erzählte von seinem Alltag und dem Tourleben. Immer wieder liefen seine Freunde an ihm vorbei und grüßten mich über die kleine Handykamera. Ich freute mich nun umso mehr, bald wieder mit ihnen zu sein und verfolgte gierig das Geschehen über den Bildschirm. Volkan fragte im Gegenzug nach meinen letzten Tagen und ich berichtete über die Arbeit und mein neues Projekt Wohnung. Mir war schon seit Wochen sehr nach Veränderung, sodass ich anfing, meinen Wänden eine neue Farbe zu schenken und meine Möbel etwas umzustellen. Dass ich das Projekt nun realisierte, um mich gleichzeitig ein wenig zu beschäftigen und abzulenken behielt ich für mich.
Wir überlegten laut, wo ein geeigneter Platz für meine Möbel schien und nachdem wir auflegten, probierte ich, die Möbel an die besagten Orte zu schleppen. Er hatte Recht, gerade die Couch sah auf der gegenüberliegenden Seite noch besser aus und schickte ihm ein Foto, um es ihm zu zeigen.

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Es war mittlerweile Donnerstagabend und während ich dem Nudelauflauf in meinem Ofen beim Brodeln zusah und hoffte, bald etwas in den Magen zu bekommen, hörte ich die leise Vibration meines Handys. Ich nahm den Videoanruf von Volkan an und hätte auf der Stelle dahinschmelzen können. Er trug seine Haare offen, da sie noch nass zu sein schienen und er trug kein Oberteil, sodass ich Schwierigkeiten bekam, ihm nur ins Gesicht zu sehen.

„Hey V, ich dachte ich führe dich mal ein wenig rum, wie das alles so hinter der Bühne aussieht, hast du Lust?"

Mir war klar, dass er nicht allein war, nachdem er mich mit meinem Namen ansprach. Ich nickte eifrig und war neugierig, ein wenig aus seinem Touralltag zu sehen. Er stellte mich auch Teilen der Crew vor und nahm mich mit auf die Bühne, um mir den Blick von dort zu zeigen. Mit offenem Mund folgte ich den Bildabfolgen. Zum Soundcheck stellte er mich vor sich, gegen eine Flasche gelehnt, sodass ich ihm dabei zusehen konnte, wie er Songs anstimmte und zu meiner Verwunderung Freestyle rappte. Ich setzte mich mit einem Teller Nudelauflauf vor mein Handy und verfolgte das Treiben vor mir. Es fühlte sich an, als würde ich ein Video auf Youtube sehen. Hätte Volkan nicht ab und zu direkt in die Kamera gesehen und mich mit meinem Namen angesprochen, hätte ich wohl möglich meiner Illusion geglaubt. Nachdem die Proben abgeschlossen waren, trug er mich noch durch den Tourbus und zeigte sein vorübergehenden Schlafplatz. Dort legte er sich hin und zog den Vorhang hinter sich zu. Die kleine Bettlampe spendete gerade genug Licht, dass ich ihn erkennen konnte.

„Ich wollte wenigstens noch einmal kurz mit dir allein sein und dich richtig ansehen, du fehlst mir ganz schön, Baby. Vor allem das Einschlafen ist hier einsam. Hakan schnarcht voll." lachte er in die Kamera. 
Auch ich hatte mich mittlerweile seitlich auf meine Couch gelegt und schaute ihn an.

„Ich vermisse dich auch, aber die erste Woche ist ja schon fast vorbei. So lang ist es gar nicht mehr." versuchte ich ihn und mich aufzumuntern. 

Wir schauten uns eine Weile an, bis mir der Stoff unter seinem Kopf etwas zu bekannt vorkam.

„Volkan, ist das mein T-Shirt unter deinem Kopf?". Sein Grinsen wurde schlagartig breit.

„Naja, ich dachte, wenn du eins von mir hast... ich hab es mir aus deinem Wäschekorb genommen. Eigentlich wollte ich noch einen Slip klauen, aber wenn mich hier jemand damit gebustet hätte, hätten alle gedacht ich bin ein Creep, der Unterwäsche von Mädels sammelt." lachte er bei seiner Erklärung und steckte mich an. 
„Babe, hier kommt jemand, ich muss wieder raus. Wahrscheinlich gehen wir bald ins Backstage. Ich melde mich später, ja?.". Er küsste die Kamera und ich tat es ihm gleich. Mein Herz war richtig beflügelt nach dem Telefonat und ich musste vor mich hin lächeln, während ich noch einen Moment auf der Couch liegen blieb, jedoch schon mal nach meinem Drehzeug vom Tisch griff. Ich drehte mir eine Kippe und ging auf den Balkon. Mittlerweile war es so warm, dass ich ohne Schuhe und Jacke auf dem Steinboden stehen konnte. Ich erinnerte mich an die ziemlich kalte Nacht, als Volkan und ich auf dem Balkon standen und lange in den Himmel guckten... Ich schickte ihm noch schnell ein Bild von meiner Aussicht, in der Hoffnung, dass es bei ihm die gleichen Erinnerungen auslösen würde, und setzte mich anschließend an den Laptop, um nach Zugtickets nach Mannheim zu schauen. Ich war nun entschlossen, ihn in der kommenden Woche zu besuchen. Die Zweifel waren weg. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt