8. Ich kann dich auch tragen...?!

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Er öffnete mir die Beifahrertür und ging anschließend um sein Auto herum, um selbst einzusteigen. Sein Gepäck landete kurzerhand auf der Rückbank des ziemlich großzügigen Geländewagens.
„Den Sitz kannst du verstellen, wenn du magst, wir fahren ja schon 'ne Weile." sprach er, während er noch den Sitz und die Spiegel einstellte. Er stellte zuletzt das Navi ein, suchte Musik aus und lehnte sich zurück, als er langsam Gas  gab und das Auto in Bewegung setzte. Wir passierten die Schranken der Tiefgarage, als Volkan etwas nervös hin und her blickte.
"Kannst du dich vielleicht kurz ducken. Die Scheiben sind zwar verdunkelt, aber man weiß ja nie. Kann sein, dass hier paar Fans stehen und warten. Mir wärs ganz lieb, die Gerüchteküche nicht anzuheizen.". Sofort duckte ich mich auf meinem Sitz, nahm eine immer stärker schmerzende Haltung ein, bis ich seine erlösenden Worte hörte.
"Sind auf der Autobahn, jetzt kannst du hochkommen.". Ich hinterfragte nicht, was eben passierte, doch dachte ich viel über solch ein Leben nach. Ein Leben, in dem man einen Teil von sich versteckte... oder zu schützen versuchte? Ich dachte nach, wie sehr er in seinem Leben eingeschränkt war und kam schnell zu der Erkenntnis, dass ich mir all die Situationen nicht einmal hätte ausmalen können.
Eine Weile schaute ich aus dem Fenster und dachte nach. Es war mittlerweile schon weit nach Mitternacht und meine schweren Augen meldeten sich immer wieder. Volkan schien jedoch so sehr in Vorfreude auf sein eigenes Bett gewesen zu sein, dass er leise die Texte mitsummte und mit den Fingern auf dem Lenkrad tippte.

Die gleichmäßigen Abstände der Lichter auf der Autobahn waren fast hypnotisch für mich und immer wieder veränderte ich meine Sitzposition, um wach zu bleiben. Seine dunkle Stimme riss mich aus dem ungleichen Kampf  mit der Müdigkeit. 

„Hab mich so gewundert, dass du heute hier warst... Du hast dich ja nicht mal gemeldet in den letzten Wochen.". Seine Stimme war fast neutral. Vielleicht ein kleiner Hauch von Vorwurf, den ich raushörte. 

„Gemeldet? Naja das war etwas schwierig, ich hab doch gar nicht deine Nummer. Und ich glaube im Moment hast du so viele DM-Anfragen bei Insta, da würdest du meine nie sehen." versuchte ich mich zu rechtfertigen. Er schaute mich direkt an und ich bekam einen leichten Schauder.

„Ich hatte dir meine Nummer auf das CD-Case geschrieben. Du hast es dir also noch nicht angehört?". Nun hörte ich die Enttäuschung sehr deutlich heraus. 

„Nein... Fuck. Das... habe ich nicht gesehen, versprochen. Ich habe deine Lieder gehört und sie sind der Wahnsinn... Echt, das meine ich ganz ehrlich. Ein paar haben es mir richtig angetan.". Er musste lächeln und ich merkte, wie mir warm ums Herz wurde. Dieser große, hartwirkende Mann erfreute sich an einem Kompliment, was er vermutlich 4720 Mal am Tag hörte.

„Welcher ist dein Lieblingssong von der CD?". Sein Blick war wieder auf die Straße gerichtet, doch sah ich das Lächeln noch ganz deutlich. 

„Ich kann mich glaube ich gar nicht entscheiden. Als du heute ‚Schrei' gesungen hast, hatte ich ultra Gänsehaut. Aber auch ‚So Weit' oder ‚der Teufel weint' sind wunderschön. Von zwei Liedern habe ich den Titel nicht rausgefunden. Ich würde fast sagen, das waren die schönsten von allen."

„Ja, es gibt noch keinen Namen, sie sind nicht veröffentlicht. Schön, dass sie dir gefallen, V." Volkan schaute konzentriert auf die Straße und ich spürte die Nähe zwischen uns. Ich fühlte mich unfassbar wohl und sicher mit ihm, dass mir tatsächlich auf halber Strecke die Augen zufielen und ich einschlief.
Ich bemerkte ein Streicheln in meinem Gesicht und als ich die Augen öffnete sah ich Volkan direkt ins Gesicht. Vor Schreck zuckte ich zusammen und spürte gleich seine beruhigende Berührung an meiner Schulter.
„Hey, wir sind angekommen, ich bin zu mir gefahren, du kannst gleich weiterschlafen". Meine Antwort war so genuschelt, dass er kein Wort verstand.
„Ich kann dich auch tragen..!?" schob er direkt hinterher.
Das wollte ich definitiv nicht und lief etwas unsicher auf den Beinen Volkan nach in seine Wohnung. Meine Augen blieben halb geschlossen und ich brachte kein Wort mehr heraus vor Müdigkeit. Er vermittelte mir ein sicheres Gefühl und ich schloss sofort wieder die Augen, als mein Körper den weichen Untergrund spürte. Es dauerte keine Sekunde, ehe ich wieder einschlief.

Ich wurde wach und merkte gleich, dass meine Wohnung ganz anders aussah als noch gestern, bevor ich nach Leipzig fuhr. Mir fehlte noch die Erinnerung an gestern Abend und ich versuchte mich dazu zu zwingen, mich zu erinnern. Dann hörte ich neben mir ein kleines Schnarchen. Volkan lag mit großem Abstand zu mir im Bett. Oberkörperfrei.
Langsam kehrten die Erinnerungen zurück.
Volkan hatte mich in meiner Kleidung ins Bett gelegt und mich zugedeckt. 

Vorsichtig stieg ich aus dem Bett und verlief mich erst einmal in das direkt ans Schlafzimmer angrenzende Bad. Die nächste Tür führte mich ins Wohnzimmer, das etwas kläglich eingerichtet war. Ich schaute mich in seiner Wohnung etwas um und fand ein Gästebadezimmer, in dem ich mich frisch machen konnte. Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, sah ich ihn gerade vollkommen verschlafen auf mich zu tapsen.
„Na, gut geschlafen?"
„Wieso hast du mich nicht geweckt, ich hätte doch noch nach Hause gehen können."
„Ich hab dich geweckt, bist auch alleine her gelaufen. Aber da war nichts mehr zu machen, ich glaube, ich hab noch nie eine so müde Person gesehen... So war's doch auch ok. Mein Bett ist so groß..". Ich wusste noch nicht genau, wie ich es fand, dass wir in einem Bett geschlafen hatten. Es hatte so etwas privates und intimes und gleichzeitig hatte er natürlich recht. Sein Bett war riesig und... wahnsinnig bequem, das musste ich ihm lassen. 
„Ja, okay, danke.... Dein Bett war echt bequem, muss ich sagen. Hat sich tatsächlich ganz gut angefühlt, mal wieder neben jemandem zu schlafen" Ich lächelte ihn  an, dachte jedoch noch immer über all das Geschehene nach. Es war mit Volkan so anders, so einfach und irgendwie kompliziert und unkompliziert zugleich. Er schien mir angesehen zu haben, dass ich in meinen Gedanken gefangen war, denn erst als ich seine Hand auf meinem Arm spürte, blickte ich hoch in seine Augen. 
„Lass uns frühstücken gehen, ich hab nichts im Haus.". 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt