32. Mr. Größenwahn

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V

Seine Mutter kehrte nach einigen Stunden zurück in die Wohnung. Zaghaft schloss sie die Eingangstür auf und fand Volkan und mich auf der Couch liegend vor. Mein Bein war schräg über seines gelegt und seine Hand lag unschuldig auf meinem Oberschenkel. In ihrem Gesicht zeichnete sich sofort ein Lächeln ab. Sie war positiv überrascht uns so zu sehen und begrüßte uns beide mit Küssen auf dem Kopf, während sie hinter uns an der Couch vorbei in die Küche ging.

Volkan warf mir immer wieder Blicke zu, die ich nicht deuten konnte, bis er sich von meiner Umschlingung befreite, aufstand und sich kräftig räusperte.
„Ähm Anne, ich würde mich freuen, dir V jetzt nochmal so richtig vorzustellen... Als meine Freundin. Also... richtige Freundin..." er schaute stolz zu seiner Mutter und nickte bekräftigend, während er die Sätze formulierte. Seine Mutter konnte sich ein Kichern nicht verkneifen und nahm ihren Sohn in die Arme.
„Oğlum, seit du mir das erste Mal von ihr erzählt hast, weiß ich doch, was los ist. Du konntest noch nie deine Gefühle vor mir verbergen. Es freut mich aber sehr, dass ihr scheinbar miteinander gesprochen habt. Ich wünsche euch beiden alles Glück. Und... ich weiß, ihr seid erwachsen und ich will mich auch wirklich gar nicht da einmischen... aber... ihr müsst über die letzten Wochen hinwegkommen, das geht nur, wenn ihr an einem Strang zieht und nicht noch gegeneinander arbeitet." Sie schaute zu ihrem Sohn hoch, der nur einsichtig nickte.

„Ich freue mich für euch, Volkan. Liebe ist das größte Geschenk der Welt, das weißt du.". Ihre Hand ruhte auf seinem Gesicht und kniff sanft in seine Wange.

Beim Abendessen, dass seine Mutter liebevoll für uns vorbereitet hatte, verkündete sie, morgen zurück nach Mannheim zu reisen, da Volkans Schwester nicht zu lang allein bleiben sollte. Nachdem wir noch einige Zeit zusammen auf der Couch saßen und ich den beiden nur zuhörte, wie sie sich unterhielten und auf den neuesten Stand brachten, entschieden wir früher ins Bett zu gehen. Die Aufregung der letzten Nacht hatte ihre Spuren gezeigt und im Minutentakt überkam mich ein Gähnen, was die beiden immer wieder ansteckte.
Es war die erste Nacht, in der wir die Gefühle füreinander ausgesprochen hatten und nun ein Bett teilen würden. Ich konnte nicht verleugnen, dass ich aufgeregt war. Im Bad überlegte ich immer wieder, was nun passieren würde. Ob etwas passieren würde. Oder müsste?
Wir hatten in den letzten Wochen schon mal versucht, miteinander zu schlafen, doch stieg in mir immer wieder Panik auf, sobald ich die Augen schloss. Das Gefühl keine Kontrolle mehr zu haben, machte mir Angst. Volkan war wahnsinnig zärtlich und gab mir jede Menge Zeit, doch ich konnte einfach nicht. Immer wieder tauchten Fetzen aus der Nacht von der Party auf, die ich jedoch nicht sortieren konnte. Mein Körper reagierte stark unter jeder seiner Berührungen, doch leider nicht nur im positiven Sinne. Wir mussten jedes Mal abbrechen und schliefen eng aneinander gekuschelt ein, was schön war, doch natürlich nicht das, was wir eigentlich vor hatten. Diese Nähe konnte ich jedoch zulassen und mit ihm genießen.
Die Nervosität schien nicht nur mich erreicht zu haben, denn auch Volkan schien etwas aufgeregt, als ich aus dem Bad kam und mich zu ihm ins Bett legte. Wir lagen nebeneinander auf dem Rücken, zugedeckt, als ich seine Hand an meiner spürte. Seine Finger verschränkten sich mit meinen, sein Daumen fuhr an meiner Haut auf und ab. Ich spürte, dass heute nichts passieren musste. Dass es für ihn, wie auch für mich, völlig in Ordnung war, hier zu liegen und miteinander zu sein. Ich dachte eine Weile nach und lauschte dem Rauschen der vorbeifahrenden Autos unten auf der Straße, bis Volkans Stimme die Umgebungsgeräusche schwinden ließ.

„Was ist für dich der Unterschied zwischen leben und wirklich leben". Ich begann zu grinsen. Auf was für kuriose Gedanken er schon wieder kam. Volkan hatte häufiger nachts diese komischen Ideen und liebte es, sich im Bett noch zu unterhalten.

„Wie meinst du das?" antwortete ich nach einigen Sekunden, in denen ich über seine Frage nachdachte.

„Naja man lebt ja, aber so richtig leben, sieht doch oft anders aus, oder? Was ist für dich richtig leben?". Wir tauschten uns einige Minuten darüber aus, was wirklich leben für uns bedeutete, bis ich mich irgendwann an seine Seite kuschelte und seinen Duft tief einatmete. Auch er drehte sich zu mir und wir lagen eng umschlungen voreinander. Nach einigen Minuten der Stille suchte Volkan erneut die Worte.

„V, ich würde gern erstmal nichts öffentlich machen mit uns. Auch nicht bei unseren Freunden. Ich möchte nicht, dass sich jemand einmischt oder so." sagte er ruhig.

„Meintest du nicht, viele ahnen ohnehin schon was?".

„Mein Bruder weiß es, ihm konnte ich es nicht mehr verheimlichen. Aber die anderen konnten wir davon überzeugen, dass wir beide einfach nur sehr, sehr gut befreundet sind.". Seine Worte klangen unsicher, doch ich merkte, dass mich seine Aussage nicht zu sehr überraschte.

„Ja, okay, lass uns die Zeit erst einmal so genießen. Zu zweit. Ich denke auch vor deinen nächsten Shows sollten deine Fans nicht noch denken, du wärst uninteressiert und unerreichbar..". Wir mussten ein wenig dabei lachen.

„Kommst du damit klar, wenn ich die vier Wochen weg bin?". Er klang ernsthaft besorgt.

„Volkan, bis vor einem halben Jahr warst du noch nicht ansatzweise Teil meines Lebens, das ging schon auch ganz gut, Mr. Größenwahn.". Er kitzelte mich als Rache für meine Stichelei an den Seiten meines Bauches und wir lachten immer lauter. Ich versuchte mich zu verteidigen, ihn auch zu kitzeln, doch war er schneller und zielsicherer. Nachdem mir der Bauch vom Lachen wehtat und ich ihn davon überzeugen konnte, dass es nun wirklich genug war, legte ich meinen Kopf wieder auf seine Schulter und die Hand auf seine Brust. Sein Herz klopfte noch schnell durch die Aufregung von eben.
„Vielleicht können wir trotzdem nochmal in Ruhe über die Tour sprechen." ergänzte er das Thema von eben und ich nickte nur, bezogen auf sein Angebot und verkroch meinen Kopf an seiner Brust. Ich wollte nicht wahrhaben, wie sehr ich ihn doch in mein Leben gelassen hatte.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt