24. Tränen in meinen Augen

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Volkan

Sie wurde gerade auf die Trage gelegt, als ich nach meinem Urintest endlich zurück in den Raum kam. Schläuche steckten in ihrem Arm und eine Manschette war um sie geschlungen, die ihre Werte aufzuzeichnen schien. Sie hatte eine Halskrause umgelegt bekommen und ihre Nase war provisorisch verbunden worden. Das Bild, das sich hier vor mir präsentierte, war schlimm. Am liebsten hätte ich nicht hingesehen, meine Augen mit den Händen bedeckt und gewartet, bis alles vorbei wäre. Julian machte gerade seine Aussage bei der Polizei und Hakan stand neben mir mit Blick auf den RTW. Ungläubig, was heute passiert war, konnten wir nur zusehen und warten, wie sie die Trage mit V darauf hineinschoben.

Die Ärztin, die sich ebenfalls in das Fahrzeug setzte, streckte mir ihren Kopf entgegen.
„Kommen Sie? Wie müssen los". Ich hechtete zu ihr und nahm auf einem kleinen Sitz neben der Liege Platz. Vorsichtig griff ich nach V's Hand und führte sie langsam zu meinem Mund. Ich küsste ihre Fingerknöchel und das erste Mal an diesem Abend sammelten sich Tränen in meinen Augen. Obwohl wir die ganze Zeit zu dritt waren, gab uns die Ärztin etwas Freiraum. Nachdem ich die aufkommenden Tränen wieder schlucken konnte, spürte ich den Blick der Ärztin auf mir. 

„Ihre Hand sieht nicht gut aus. Die sollten wir ein bisschen versorgen.". Ihre Stimme war sanft, fast sorgend. Nicht so anklagend, wie die von den Polizisten eben. 

„Ach, das ist nichts." antwortete ich schnell und versteckte meine rechte Hand unterhalb der Liege, damit sie sie nicht mehr sehen konnte. Ich hatte sie mir ziemlich aufgerissen bei den Schlägen im Lagerraum. Neben dem bereits getrockneten Blut rund um die Knöchel, zeigte sich hellrosane Haut und frisches Blut, dass mit jeder Bewegung der Hand mehr wurde. 

„Mir ist egal, wo Sie die Wunden herhaben. Unter uns... Wahrscheinlich...hätte ich das gleiche gemacht, aber da muss was drauf. Lassen Sie mich das mal schnell ansehen.".  Ich konnte ihr nicht weiter widersprechen und hielt ihr nun doch über die Liege hinweg meine blutende Hand entgegen. 

Sie war sehr nett und behielt die Ruhe. Sie desinfizierte die Wunde und verband mich lose. „Zeigen Sie das mal später mal in der Notaufnahme. Fürs Erste sollte das aber reichen.". Ich nickte nur. Ich konnte jetzt nicht an mich denken und wegen ein paar kleiner Wunden einen Aufstand machen. Diese Wunden würden bald verheilen. Viel wichtiger war... sie. 

„Sie sind ihr Partner, oder? Vielleicht können Sie mir ein paar Dinge über...äh.. Eve... sagen." Sie blickte von der digitalen Akte auf ihrem Schoß wieder auf.

„Sie haben Schweigepflicht, oder?" fragte ich sie skeptisch. In diesem Moment schlug ich mir gedanklich gegen den Kopf. Ich konnte nicht einmal in dieser Situation die Angst ablegen, dass etwas über mein Privatleben bekannt werden könnte. Misstrauisch hin oder her.

„In erster Linie bezüglich meiner Patientin, aber natürlich handhabe ich alle Informationen vertraulich.". Ich nickte sie nur an. Das reichte mir.

„Was müssen Sie denn über V wissen?". Sie verstand, ohne, dass ich es aussprechen musste.
Sie fragte mich nach Allergien und ob es eine Krankheitsgeschichte in der Vergangenheit gegeben hatte. Ich wusste so vieles nicht über V, das wurde mir in diesem Augenblick immer klarer. Ich machte mir gedanklich Notizen, was ich sie alles hatte fragen wollen, sobald es wieder möglich war. Es gab so vieles, was ich über sie wissen wollte. 

"Kann es sein, dass eine Schwangerschaft vorliegt?" vorsichtig formulierte sie ihre Worte. Aua. Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet und wusste genau so wenig eine Antwort darauf, wie auf die Frage nach ihrer gottverdammten Blutgruppe.

„Ja.. also nein.". Ich sortierte noch einmal meine Gedanken. „Ich weiß es um ehrlich zu sein nicht. Wir sind erst.. also nicht so lange.." sie unterbrach mich, als meine Unsicherheit in dem kleinen Fahrzeug spürbar wurde.
„Alles okay, wir prüfen das. Kein Problem.". Ein aufmunterndes Lächeln erreichte mich. Ich hielt V's Hand fest in meiner, strich über ihre Haut, damit sie spürte, dass sie nicht allein war. Wie viel Angst sie gehabt haben muss... Ihr Gesicht sah so entstellt aus und würde ich meinen Gedanken freien Lauf lassen, was heute Abend passiert war, könnte ich mich nicht mehr halten.

Als wir in der Notaufnahme ankamen, ging alles ganz schnell. Ich wollte dem Personal nicht im Weg stehen und lief schnell zur Seite der Glasschiebetüren mit der dicken Aufschrift Notaufnahme. Es kamen so viele Menschen auf einmal heraus, die sich um V kümmerten, bis sie  hineingeschoben wurde. Trauma 2 rief einer der blau gekleideten Ärzte, die aus dem Gebäude gelaufen kamen. Auf ein Mal waren sie alle weg und ich stand allein da. Eine junge Frau, ihrem Outfit nach zu urteilen eine Pflegerin, lief vorsichtig auf mich zu und bot mir einen Kaffee an, solange ich wartete. Ich nahm im Wartebereich der Notaufnahme Platz und senkte den Kopf, damit niemand um mich herum die lautlosen Tränen sah, die nun meine Wangen hinabliefen.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt