90. Andererseits

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V

Ich merkte die Aufregung in mir hochkochen.
„Okay...?". Ich lauschte aufmerksam den Hintergrundgeräuschen am Ende der Leitung, bis sich Hakan räusperte und seine Stimme wieder ansetzte.
„Also, Johannes hat bald Geburtstag und er wollte dich auch gerne einladen. Wir dachten, dass ja nun auch einige Zeit vergangen ist und du dir das vielleicht auch vorstellen kannst. Johannes meinte zu Recht, dass du ja auch mit uns befreundet bist und er dich gerne dabei hätte.". Er machte eine Pause.
Meine Synapsen feuerten auf Hochtouren die Informationen durch meinen Kopf, bis mir klar wurde, dass Hakan auf eine Antwort meinerseits wartete.
„Oh" war das einzige, was aus meinem Mund kam und Hakan scheinbar aufforderte, noch einmal anzusetzen.
„Ich weiß, das kommt jetzt überraschend. Aber wir wollten dich wenigstens gefragt haben. Wir würden uns voll freuen.". In mir flammte der Gedanke auf, warum Volkan wieder seinen Bruder vorschickte. Szenenhaft stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn wir uns wiedersahen. Unangenehmes Lächeln, betretendes Schweigen, angespannte Stimmung. 

„Weiß Volkan davon? Kommt die Idee von ihm?"
„Äh... ne, wir wollten erstmal hören, was du dazu sagst. Er hat damit wirklich nichts zu tun. Aber er würde sich mit Sicherheit auch freuen.". Ich war maßlos überfordert.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, um ehrlich zu sein. Wann ist das denn?"
„In drei Wochen, am Samstag. Also nicht mehr ganz drei Wochen. Ich weiß, bisschen knapp."
„Und wo?" ich spürte die Neugier in mir wachsen und ließ ihn kaum aussprechen.
„Tschuldige, klar. Also wir haben ein Haus mit großem Garten gemietet und wollen da grillen, was trinken, bisschen Musik. Nicht zu aufregend. Sophie wird auch da sein, die freut sich auch schon riesig, dich wiederzusehen. Die Location würde ich dir dann schicken, ist ganz hübsch eigentlich. Also, was denkst du?"
„Puh, ich weiß nicht, ob das sone gute Idee ist. Ich würde mich schon freuen, euch alle wieder zu sehen, aber meinst du, das geht so einfach? Es ist so viel passiert...und..." er unterbrach mich, bevor ich mir weitere Gedanken machen konnte.
„V, hör zu. Wir sind doch alle erwachsen und können einfach einen Abend zusammen verbringen. Außer, du möchtest es wirklich nicht, dann respektiere ich das. Mir ist nur wichtig, dass du weißt, dass wir dich immer noch gerne dabei haben und dich schätzen."
„Danke Hakan, das weiß ich...aber kann ich darüber ein bisschen nachdenken und dir nochmal Bescheid geben?" mein Zögern war deutlich rauszuhören. Mist.
„Klar, wollen wir einfach heute Abend nochmal telefonieren?". Er hatte es wirklich eilig mit meiner Entscheidung, so viel war klar. Ich ging gedanklich meine Tagesplanung durch und stellte fest, dass es genug Zeit war, um nachzudenken und mich vielleicht mit der ein oder anderen Person zu besprechen.
„Ja, ok, dann heute Abend." zögerlich sprach ich es tatsächlich aus. Dass ich mich auch immer auf solche Abmachungen einließ.
„Gut, ich ruf dich an. Bis später."
„Bis später."
„Und V?"
„Ja?"
„Denk nicht zu viel drüber nach. Wenns sich blöd anfühlt, kannst du jederzeit gehen.". Ich lachte auf, denn er schien mich gut genug zu kennen, um zu wissen, dass ich genau dazu neigte. Ich verabschiedete mich erneut und legte auf. Ich legte das Handy auf den Couchtisch vor mir ab und starrte ins Leere. War das gerade wirklich geschehen? Unruhe stieg in mir auf und meine Gedanken begannen sich zu verknoten. Ich kam allein zu keinem Schluss, das wurde mir klar.
Ich fokussierte meine Gedanken für einen Moment nur darauf, mit wem ich darüber sprechen konnte. Ich wollte nach all den Monaten nicht unnötig wieder mit dem Thema Volkan ankommen, doch handelte es sich, meinem Empfinden nach, um einen absoluten Notfall.
Ich rief erst Sam, dann Luisa an. Die beiden vertrautesten Personen, die mich in der Trennung begleiteten und auf jeden Fall kein Blatt vor den Mund nehmen würden. Beide versicherten mir, umgehend loszufahren und genau so war es dann auch. Nur eine Stunde später fand ich Luisa neben mir auf der Couch und Sam vor mir im Schneidersitz auf dem Boden sitzend vor. Mit großen Augen folgten sie meiner Erzählung vom Telefonat mit Hakan. Ich hatte am Telefon nur leicht hysterische Schlagworte genannt, aus denen sie scheinbar meine Not raushörten und sofort losfuhren.
„Alter, krass." Sam schüttelte ungläubig den Kopf und schien selbst etwas überrollt.
„Wem sagst du das. Schon wieder so eine Aktion aus dem Nichts. Ist das jetzt das Ding der Gebrüder Yaman, mich aus der Kalten zu erwischen und unvorhersehbar Nachrichten und Anrufe abzusetzen?" ich lachte zwar, während ich sprach, doch überspielte ich nur meine Unsicherheit, so viel war selbst mir klar.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt