89. Fifty-Fifty

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Hakan, einen Monat später

Mein Handy leuchtete auf dem Glastisch auf und tauchte den sehr dunklen Raum in etwas Licht. Die Rauchschwaden waren nun noch besser zu erkennen und bewegten sich kaum bei der stehenden Luft. Ich nahm den Anruf von der unbekannten Nummer an, in der Erwartung, wer es sein konnte.
„Ja?"
„Hi, ich bin bei der Adresse angekommen... die Pizza."
„Alles klar, ich komme raus.".
Ohne die anderen zu unterbrechen, lief ich den Gang hinunter Richtung Ausgang. Der junge Lieferant stand klitschnass vor mir und guckte irritiert um sich herum. Von einer Strähne perlten einzelne Tropfen in sein junges Gesicht und sofort sprang bei mir die Fantasie an, wie er sich für die Ausbildung oder das Studium Geld dazu verdienen versuchte. Als er mich erblickte, riss er hastig seinen übergroßen Rucksack auf und reichte mir die Pizzakartons und eine Tüte mit dem Rest.
„Hey". Ich nahm das Essen entgegen und hielt ihm bereits die Scheine hin.
„Hallo, das macht dann 77,75€, bitte.". Sein Blick huschte kurz an mir vorbei ins Innere des Hauses und dann plötzlich in mein Gesicht.
„Passt so, danke dir."
„Danke, schönen Abe... Tschuldigung, da war noch ein Zwanziger zwischen.". Er hielt mir den blauen Schein hin und lächelte unsicher.
„Nein nein. Passt schon, das ist für dich. Schönen Abend dir.". Noch während die Tür hinter mir zu fiel, hörte ich sein leises, aber sehr fröhliches Danke. Immer wieder erwärmten mich solche Momente und mit der heißen Pizza im Arm ging ich zurück ins Studio.
„Jungs, Essen ist da.". Vom Mischpult erhoben sich drei der Jungs, nur Lennard blieb sitzen und schob nur einen Kopfhörer halb vom Ohr. Neben mir hörte ich bereits das leise Schmatzen und Zischen von der Colaflasche, als auch Volkan aus der Aufnahmekabine kam.
„Afiyet olsun, ich sterbe vor Hunger. Sind noch Mozzarellasticks da?" ohne eine Antwort abzuwarten durchsuchte er die Tüte und griff nach einer Schachtel, bevor er sich neben mir auf die Couch setzte.
„Wie lange braucht ihr noch?" fragte ich eher an Lennard gewandt, der bereits mit vollem Mund zu sprechen begann.
„Ich denke mal die Hook ist im Kasten und der erste Part klang auch schon gut. Müssen den zweiten noch aufnehmen, dann hör ich da mal in Ruhe rein und misch das Ding fertig."
„Perfekt. Ihr habt krass Gas gegeben die letzten zwei Wochen. Vier Songs... ist echt ne Hausnummer."
„Naja, wenn's ein Mal läuft... warum aufhören." stolz sah Volkan mich an und lächelte schief.
„Ist doch super, wenn du gerade so viele Ideen hast. Lucas kommt später auch noch rum, oder?". ich lächelte meinem Bruder ermutigend entgegen.
„Klar, er will doch wie immer ein Auge drauf werfen.".
Als der Großteil der Pizzen aufgegessen und der Tisch wieder halbwegs sichtbar wurde, machten sich mein Bruder und Lennard wieder an die Arbeit, um den Song heute noch fertig zu kriegen. Ich wollte die Zeit nicht unproduktiv lassen und versuchte mit Johannes an seiner Geburtstagsvorbereitung zu feilen. Gemeinsam schauten wir uns auf dem Tablet die Planungsbereiche an.
„Gut, Location steht. Fleisch und Salate fürs Grillen sind bestellt. Getränke werden geliefert. Ich hab gestern noch mit einem Kumpel geredet, der immer an Bars mixt. Der würde für den Abend übernehmen und bringt noch einen Kollegen mit."
„Perfekt, dann fehlen ja nur noch die Leute.". Ich schaute von den Notizen auf in Johannes Gesicht, der mich bereits anstrahlte.
„Ne ne mein Bester, die hab ich auch schon aufgeschrieben. Müssen nur noch die Einladungen raus.". Er hielt mir die Liste hin, die er in seine Notizen getippt hatte.
„43 Personen... dann sind wir bisschen knapp mit der Planung von Essen und Trinken, wenn noch mit plus eins gerechnet wird. Müssen wir morgen nochmal anrufen und nachbestellen.". Ich scrollte, während ich meine Gedanken laut aussprach, durch seine Liste und blieb an einem Namen hängen.
„Bro, du hast V noch drauf."
„Jap." haute er ganz selbstbewusst raus.
„Wie? Das ist Absicht?"
„Naja, wir waren ja auch irgendwie mit ihr befreundet und ich fänd's cool. Die beiden waren doch wieder bisschen lockerer miteinander. Meinst du nicht, die kriegen das für einen Abend hin?" Johannes packte all seine Überredungskünste aus und ich konnte nicht sagen, dass er mich nicht etwas ansteckte. Ich dachte einen Moment nach und guckte mir die restlichen Namen an, um Zeit zu schinden, bis ich Worte fand.
„Meinst du, das geht gut?"
„Fifty-Fifty aber was soll im schlimmsten Fall passieren?".
„Da würde mir schon einiges einfallen. Aber ich meine ganz vielleicht könnte es ja auch gut gehen." wir warfen uns vielsagende Blicke zu und hatten beide scheinbar die Idee Amor zu spielen.
„Wir dürfen es nur safe nicht Volkan vorher sagen. Der würde uns da rausquatschen." Sagte Johannes mit ziemlichem Nachdruck. Er blickte um sich, als hätte uns jemand belauschen und verpetzen können.
„Niemals. Das bleibt zwischen uns beiden, versprochen?". Er streckte mir seine Hand entgegen und ich schlug ein. Ich war zwar nicht so glücklich darüber, Geheimnisse vor meinem Bruder zu haben... aber es sollte für einen guten Zweck sein.
„Klar. Nichts lieber als das. Nur müssen wir ja V irgendwie da hin bekommen." nachdenklich strich ich mir über meine Bartstoppeln und führte fort. „Ich versuche sie mal die Tage anzurufen und frage vorsichtig nach. Vielleicht kann ich sie mit Sophie etwas locken."
„Tu es doch einfach bisschen ab 'ja, ist ja schon auch ne Weile her, wird super entspannt, einfach bisschen Spaß haben'" er verstellte die Stimme, um mich nachzumachen, nur klang es überhaupt nicht nach mir.
„Ich krieg das schon hin. Dann mach die Einladungen für Übermorgen fertig, ich ruf sie morgen an.". Wir grinsten uns etwas schelmisch an. Als die Stimmen um uns herum wieder lauter wurden, sperrte ich schnell das Tablet und ließ es in der Tasche verschwinden. Johannes erhob sich schnell von dem schwarzen Polster, als wäre allein die Tatsache, dass wir zu zweit saßen und miteinander sprachen, zu auffällig.

„So Jungs, wir haben's, Feierabend!" rief Volkan gut gelaunt aus der Tür der Aufnahmekabine und klatsche freudig in seine Hände. Er löste seinen losen Dutt vom Kopf, dass ihm die Haare über die Schultern fielen.
„Ich finde, das sollten wir feiern."
„Woran hast du gedacht?" kam es von Sasan.
„Essen und Shishabar?" fragend schaute Volkan durch die Runde, in der Hoffnung, auf Begeisterung zu stoßen.
„Es ist Samstagabend, wo sollen wir jetzt noch einen Tisch herbekommen, ohne, dass gleich ganz Berlin weiß, dass du da bist?"
„Man, ihr Spaßbremsen. Ich will aber mal wieder raus, draußen essen, mal andere Wände, als meine eigenen sehen."
„Ich probier' mal mein Glück" sagte Johannes zuversichtlich und tippte bereits wild in sein Handy, während er den Raum verließ. Zufrieden grinste Volkan mich an, setzt sich neben mich und legte die Füße auf dem kleinen Couchtisch ab. In solchen Momenten kam er mir immer so jung vor, erinnerte mich an die Zeit damals. Es hatte sich zwar so viel verändert, doch sein Lächeln blieb.
„Gut, hab n Tisch mit Privatsphäre bekommen, los geht's" rief Johannes uns zu und Volkan sprang fröhlich auf und spazierte in Richtung Ausgang zu seinem Auto.
„Na gut" flüsterte ich zu mir selbst und lief den anderen nach.
-

Am nächsten Morgen setzte ich mich mit einem Kaffee und einer Kippe auf meine Terrasse und blickte in den zugezogenen Himmel. Diese Zeit zwischen Sommer und Herbst, bei der man nie so richtig wusste, welche Jahreszeit gerade war. Ich dachte an den bevorstehenden Geburtstag in drei Wochen, der draußen stattfinden sollte und überlegte automatisch über Alternativen, falls es regnen würde.
Noch in meinen Gedanken verloren, zündete ich die Zigarette an und lehnte mich auf dem Stuhl nach hinten. Das Handy auf dem Tisch vibrierte kurz auf, um mich auf eine neue Nachricht hinzuweisen.
Johannes 10:32: Hast du schon angerufen?
Hakan 10:32: Wen?
Johannes 10:33: Na wen schon. Gestern?
Achso, das meinte er.
Hakan 10:33: Es ist gerade mal halb 11, schon frech aufn Sonntag. Ich wollte noch bisschen warten.
Johannes 10:33: Kompletter Quatsch, da ist man schon wach. Los!

Ich seufzte lauf auf und zog noch einmal an der Kippe, während ich ihren Namen in den Kontakten suchte. Gut, jetzt oder nie. Es klingelte ein Mal, zwei Mal, drei Mal­. Nach dem vierten Tuten nahm ich das Handy vom Ohr und wollte gerade auflegen, als ich ihre Stimme noch hörte.

„Hallo? Hakan?" schnell führte ich das Handy zurück an mein Ohr und suchte nach Worten. Es kam nun doch etwas unvermittelt.
„Hi, hi V. Guten Morgen. Entschuldige die frühe Störung... hast du kurz Zeit?"
„Äh ja, klar, kein Problem. Ist alle ok?"
„Ja, voll... ähm ich hab eine Frage, die dich vielleicht etwas überrascht, aber hör mir erstmal zu, ok?"
„Okay...?" antwortete sie mit einem ordentlichen Zögern.

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