97. Selbstschutz

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V

Ich wachte schon mit diesem idiotischen Grinsen auf.
So langsam kam tatsächlich an, was am Wochenende alles geschehen war, und es wirkte sich äußert positiv auf meine Stimmung aus. Gestern Abend noch stellte ich die Musik laut und tanzte, sang laut mit, während ich am Herd stand, den Reis und das Gemüse stürmisch im Topf umrührte. Wann hatte ich bitte das letzte Mal für mich allein gekocht?!

Auch heute schien mir nichts die Laune verderben zu können. Ich lief fröhlich ins Büro und arbeitete strikt den Plan für den Tag ab. Die Mittagspause arbeitete ich durch, um wegen des Dates mit Volkan früher gehen zu können, was leider nicht unbeobachtet blieb. Hannah steckte gerade den Kopf in mein Büro und beobachtete ein paar Sekunden was ich machte, bevor sie zu sprechen begann.
„Machst du heute keine Pause?" fragte sie mit etwas Sorge in der Stimme. Sie kannte dieses Verhalten von mir zu gut von vor einigen Wochen, doch hatte ich mich im Laufe der Zeit wieder etwas eingependelt und die Pausen wieder mit den anderen verbracht, mich nicht nur noch in die Arbeit gestürzt.
„Ne, heute nicht.". Ich lächelte ihr zu, senkte den Blick jedoch schnell wieder auf meine Tastatur und tippte die Mail zu Ende.
„Muss ich mir Sorgen machen?". Ich schnaubte nur und schüttelte energisch den Kopf, ohne aufzusehen.
„Wollen wir dann dafür nach der Arbeit was essen gehen? Oder auf einen Feierabendwein?" rhythmisch bewegten sich ihre Augenbrauen auf und ab.
„Ich kann leider nicht, Süße. Ich... hab schon was vor.". Nun schlängelte sie sich durch den kleinen Spalt der Tür und wirkte aufgeregt, schloss die Tür hinter sich.
„Was?! Hast du n Date oder so?" ihre Stimme quiekte, obwohl sie versuchte zu flüstern. Ich konnte es nicht unterdrücken, sodass meine Mundwinkel wie von selbst in die Höhe wanderten.
„Sowas, ja."
„V! Jetzt gib mir doch mal ein bisschen mehr Stoff. Wer? Woher kennst du ihn? Wohin geht's?". Nun zog sie sich einen der am Rand stehenden Stühle neben mich und beugte sich gespannt nach vorn, riss die Augen etwas auf. Typisch Hannah, da wo es News gab, war sie immer zu finden. Ich wollte noch nicht zu viel erzählen, als würde es die neue Situation kaputt machen, wenn ich darüber sprach. Es war mein kleines Geheimnis bisher. Ich grübelte nach, wie ich so oberflächlich wie möglich berichten konnte.
„Ähm, am Wochenende habe ich jemanden von früher getroffen und wir gehen heute essen. Ich weiß nicht wohin, das plant er.". Schnell huschte mein Blick wieder von ihrem Gesicht auf meinen Bildschirm, um ihr zu signalisieren, dass ich nicht mehr zu sagen hatte.
„Wie von früher? Woher kennt ihr euch? Wie sieht der aus? Details, V!". Ich stöhnte auf unter ihrem Kreuzverhör.
„Hannah, nicht böse gemeint, aber ich will noch nicht zu viel darüber sprechen. Es ist... noch so frisch, weißt du. Ich erzähle dir irgendwann mehr, falls was spruchreif wird. Versprochen."
Gespielt beleidigt warf sie sich in ihren Stuhl, verschränkte die Arme und guckte mich grimmig an.
„Jetzt gibt es schon mal Neuigkeiten und du verschweigst sie. Frechheit.". Ich sah, wie sich das Schmunzeln an die Oberfläche arbeitete und sie mich letztendlich angrinste, ihre Körperhaltung wieder offener wurde.
„Na gut, ich verstehs ja auch. Aber versprich mir, dass du darüber sprichst, wenn was ist und du dich nicht wieder einigelst."
„Mache ich. Mach dir keine Sorgen, ich pass auf mich auf."
„Das dachte ich nach deinen letzten Dates auch... und wir wissen beide, wie es dir danach ging.".
Sie sprach einen Teil in mir an, dem ich gerade wirklich keine Beachtung schenken wollte. Ein Gefühl, was so schwer und traurig war. Es sollte keinen Platz an diesem Abend bekommen, sondern endlich mal in der Ecke verschwinden, geknebelt und gefesselt werden, damit ich die schönen Zeiten und auch das bevorstehende Date genießen konnte.
„Aaaberr, vielleicht kannst du ja trotzdem erzählen, was du anziehen wirst?" neugierig erschien ihr Kopf neben meinem Bildschirm, damit ich sie endlich ansah. Ich gab mich geschlagen, lachte kurz auf und drehte mich nun endlich zu ihr.

Als ich zu Hause ankam, hatte ich schon dieses aufgeregte Bauchkribbeln, das ich aus meiner Ausbildungszeit noch allzu gut in Erinnerung hatte und das, je mehr man an ein Ereignis dachte, immer intensiver wurde. Wie hilfreich... als wäre der Kopf allein nicht schon genug mit der Aufregung beschäftigt gewesen. Etwas verloren stand ich nun mit dem Handtuch auf dem Kopf und in Unterwäsche vor meinem Kleiderschrank und versuchte mich zu erinnern, was ich vorhin mit Hannah im Büro für Optionen durchgegangen war. Ziellos schob ich einen Kleiderbügel nach dem anderen von rechts nach links und versuchte etwas zu finden, in dem ich mich wohlfühlte und gleichzeitig ein bisschen hübsch aussah. Die Frage nach der Unterwäsche hatte ich nach kurzem Überlegen schnell über Bord geworfen. Überrascht davon, dass ich überhaupt darüber nachdachte, welche Unterwäsche ich anziehen sollte, falls jemand außer mir die heute zu Gesicht bekommen würde, entschied ich mich schnell für schlichte, eher weniger ansprechende und vor allem nicht zusammenpassende Unterwäsche. Selbstschutz.
Ich konnte selbst gerade nicht mehr nachvollziehen, was mit mir los war. Vor wenigen Tagen noch hätte ich mir diese Situation gerade nicht einmal vorstellen können und nun stand ich, nervös von einem Fuß auf den anderen tippelnd, vor meinem Schrank und fand nichts Passendes, um mit Volkan essen zu gehen. ESSEN! Ich musste mich beruhigen. Es war nur ein Essen.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt