50. Haben wir ne Stripperin?

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V

Nachdem ich mich mit meinem kleinen Koffer zwischen den vielen Menschen aus dem Flughafengebäude drängte, und den netten Mann, der ein Schild mit meinem Namen darauf trug, fand, fuhren wir los Richtung Arena. Ich bat ihn, an der nächsten Raststätte Halt zu machen, damit ich eine rauchen und endlich Volkan zurückrufen konnte. Er war so lieb, an einer ruhigeren Stelle zu parken und uns beiden in der Zwischenzeit einen Kaffee aus dem kleinen Geschäft zu besorgen. Er verdiente ein ordentliches Trinkgeld später. Es klingelte drei Mal, bis ich endlich seine Stimme hörte. Er war nicht gut drauf, dafür musste man nicht mehr als fünf Worte von ihm gehört haben. Deswegen versuchte ich es mit Schlichtung.

„Hey, tut mir leid, ich... ich konnte vorhin nicht. Wie geht's dir, alles ok? Wie ist dein Tag bisher?".
Möglichst viele Fragen würden hoffentlich dazu führen, dass er von seinen Gedanken abgelenkt wurde und wir nicht hier an einer Raststätte anfangen würden zu streiten. Er beantwortete, wenn auch etwas einsilbig, meine Fragen und stellte mir ungefähr die gleichen Fragen zurück. Ich hörte die Skepsis in seiner Stimme heraus, hoffte, dass er mir meine kleinen Notlügen glaubte, doch ich bewegte mich wie auf rohen Eiern.

„Also, später bin ich mit Hannah zum Essen verabredet, wir wollten zu diesem thailändischen Restaurant in Charlottenburg, von dem ich dir erzählt hatte. Ich hab total Lust auf diese Nudeln mit extra Knoblauch, weißt du? Und einen Nachtisch möchte ich auch. Die haben dieses geile Eis mit der Kondensmilch, glaube ich zumindest". Ich hörte ihn Lächeln. Ein Glück.

„Meinst du echt, du schaffst die Nudeln und n Nachtisch?"

„Ich muss, du bist ja leider nicht da, dem ich sonst meine Überbleibsel geben könnte.". Wir plauderten für ein paar Minuten, bis ich den Fahrer wiederkommen sah und ich Volkan wieder loswerden musste.
„Gut, ähm, ich mach dann mal hier weiter."

„Na dann lasst es euch schmecken und vielleicht ja bis später.". Er klang so kühl und gleichzeitig enttäuscht.

„Danke, ich wünsche dir einen besonders schönen Abend und viel Erfolg für das Heimspiel. Und richte deiner Mama bitte liebe Grüße von mir aus, ja?"

„Bloß kein Druck, ne!? Ein Glück war ich vorher schon nervös wegen der Show in Mannheim."

„Als könnte ich dich unter Druck setzen. Ich bin ja bei dir... also in meinen Gedanken. Und danach kannst du mir alles erzählen, wenn du magst. Ich lasse das Handy laut, ok?". 
Es wäre fast schief gegangen, doch er hatte es geschluckt und aufgelegt. Hakan war mittlerweile auch informiert, dass ich nur noch wenige Minuten von der SAP-Arena entfernt war. Ich machte mich im Wagen mit einem kleinen Handspiegel frisch und legte neues Parfum auf.
Ich fühlte mich, wie in einer dieser schlecht geskripteten Serien, in denen man lang verschollen geglaubte Familienmitglieder nach Jahren wieder traf. In solchen Momenten schwenkte die Kamera auch immer unangenehm nah auf die Gesichter der Personen, um jede noch so kleinste Emotion einfangen zu können und man konnte nur hoffen, dass nach dem Essen Zahnseide benutzt wurde.
Mir wurde zunehmend heiß, doch meine Hände waren kalt wie Eis und etwas zu schwitzig, um gleich jemanden zu berühren. Ich konnte nicht einmal genau sagen, was mich so nervös machte, doch allein die Vorstellung, gleich in seinen Armen zu sein, brachte ein Kribbeln in meinen Bauch. Als wir auf das Gelände bogen, rutschte ich nervös auf meinem Sitz hin und her und hielt Ausschau. Hakan wartete bereits am Seiteneingang auf mich und nahm mich fest in die Arme, als ich aus dem Wagen ausstieg. Ich drückte meinem Fahrer den Geldschein in die Hand und zog meinen Koffer hinter mit her in Richtung Tür.

„Zum Glück bist du endlich da, eine weitere Stunde hätte ich mit ihm nicht ausgehalten." begrüßte mich Hakan. Er übernahm meinen Koffer und zog mich ins Innere des Gebäudes.
„Also, er ist gerade in der Lounge mit den anderen Jungs. Ich würde vorschlagen, du klopfst und bleibst vor der Tür stehen, bis er dir aufmacht. Dann sehen die anderen auch nicht seine richtige Reaktion. Ich denke, ihm wird einiges aus dem Gesicht fallen, wenn er dich sieht. Ich versuche euch ein bisschen Rückendeckung zu geben, aber versucht, auf Intimitäten zu verzichten.". Er zwinkerte mich an und blieb vor einer Tür stehen. Ich hatte vor Aufregung gar nicht mitbekommen, wie schnell wir durch das Gebäude liefen und scheinbar schon da waren.
"Und... was... naja, wenn er gar nicht aufmacht? Oder er sich gar nicht freut, dass ich da bin?" verlegen musterte ich die Tür, als würde sie mir Antworten auf meine Befürchtungen geben.
„V, er wird sich freuen, keine Sorge, ja? Dahinter ist er. Ready?" Ich atmete tief aus. Wie ready konnte man noch sein.
„Wie sehe ich aus?". Ich wusste nicht, ob der Bruder meines Freundes der richtige Ansprechpartner für solche Fragen war, doch hatte ich gerade keine bessere Möglichkeit. In meiner Vorstellung unseres Wiedersehens konnte ich mich nochmal richtig frisch machen, mich umziehen und in einem körpergroßen Spiegel betrachten.
Stattdessen fühlte ich mich noch komisch durch den Flug und vermutete Mascara an meiner Wange durch das Nickerchen im Flieger.
„Du siehst super aus, V. Er wird vollkommen durchdrehen, glaub mir."

Ich stellte mich in Position und klopfte drei Mal. Ich hörte ihn zwischen den anderen Stimmen laut Ja? sagen, doch reagierte ich nicht darauf. Erneut klopfte ich, dieses Mal schon etwas energischer.
„Jahaa? Komm rein?!". Ich musste schmunzeln und setzte zu meinem letzten großen Klopfauftritt an. Ich fühlte mich so drüber, dass ich nicht genau fühlte, ob ich jeden Moment in ein hysterisches Lachen oder Weinen ausbrechen würde. Meine Fingerknöchel stießen wie automatisiert gegen die Tür. Klopf Klopf Klopf 
Man hörte es hinter der Tür fluchen und die Stimme wurde zunehmend lauter, als die Tür vor mir sehr bestimmt aufgezogen wurde und ein zwei Metergroßer Mann wütend in den Flur schaute. Sein Blick glitt ein wenig hinunter in mein Gesicht und innerhalb von Millisekunden wurde sein Ausdruck weicher. Aus dem Hintergrund hörte man einen seiner Freunde rufen „Wer ist es denn? Haben wir ne Stripperin?". Lautes Lachen erfüllte den Raum. Seine Stimme war nur noch ein zaghaftes Flüstern.
„Was machst du hier, verdammte Scheiße.". Sein Blick war starr auf mich gerichtet. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt