70. Harmonische Bubble

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V

Als ich endlich in Berlin und dann in meiner Wohnung ankam, reichte meine Kraft nur noch aus, meine Sachen aus dem Koffer zu räumen. Der Zug hatte aufgrund einer Störung fast zwei Stunden Verspätung und ich wollte endlich raus aus meinem Sitz. Erschöpft warf ich meine Kleidung der letzten Tage in die Waschmaschine und stellte mich selbst unter die Dusche. Ich fühlte mich verschwitzt und wollte frisch geduscht nur noch ins Bett fallen. Nachdem ich noch notdürftig etwas in den Ofen schob, las ich, überrascht von der Uhrzeit, bereits Volkans Gute-Nacht-Nachricht und schrieb schnell zurück.
Ich verlor keine Zeit und legte mich, nachdem ich die Fertiglasagne aß, selbst bald ins Bett. Ich hätte einen weiteren Urlaubstag einreichen sollen. So richtig bereit war ich nicht, morgen wieder professionell bei der Arbeit aufzutauchen. Ich wusste nicht einmal, was ich auf mögliche Fragen, wie es in Mannheim war, antworten sollte. Wie konnte man Menschen mit möglichst wenigen Infos abspeisen...
Mein Wecker klingelte viel zu früh und nur widerwillig stieg ich aus dem Bett und schminkte mich. Obwohl es nur wenige Tage waren, hatte ich meine Routine wieder komplett verloren, trödelte vor mich hin und musste mich ziemlich beeilen, um rechtzeitig im Büro anzukommen. Den Kaffee vor der Arbeit ließ ich ausfallen, um noch halbwegs rechtzeitig anzukommen.
Ich öffnete eine Mail nach der anderen und bearbeitet den Papierberg auf meinem Schreibtisch. Der Tag zog an mir vorbei und ich konnte all den unangenehmen Gesprächen, mit denen ich eigentlich fest gerechnet hatte, entgehen. Dachte ich zumindest.
Nachdem ich meinen PC herunterfuhr und meine Tasche packte, machte ich mich auf den Weg nach draußen. Schon auf dem Weg hielt mich Joana für einen Moment auf und schloss sich meinem Feierabend an. Ich stieß die schwere Tür für uns auf und in einer Traube standen vor dem Büro die anderen und unterhielten sich. Wir gesellten uns für einen Moment dazu, eigentlich war mir in Gesellschaft sein gerade gar nicht so unrecht. Ich fühlte mich irgendwie so leer, seit ich aus Mannheim losfuhr.
Ich drehte mir eine Kippe und lauschte den Unterhaltungen aus der Runde, bis die Frage umging, noch in die Eckkneipe zu gehen. Meine letzte Erinnerung daran war mit der unschönen Situation verknüpft, als Toni zu aufdringlich war und Volkan jemandem eine reinhaute. Gut, dieses Mal war ich nicht mit Toni allein, also würde ich auch nicht wieder flüchten müssen. Heute sollte also niemand mit einer gebrochenen Nase nach Hause gehen.
Ich stimmte also zu, es war mir tatsächlich lieber, als allein auf der Couch zu hängen und zu warten, bis ich einschlief.
Wir machten uns gefühlt in Zeitlupe auf den Weg zur Bar und ich verlangsamte meine Schritte, um noch schnell mit Volkan zu sprechen, bevor sein Konzert begann.
Nach dem vierten Klingeln nahm er ab und ich sah sein Gesicht auf meinem Bildschirm.
„Hey, warte kurz, ich geh wo hin, wo es leiser ist.". Es vergingen einige Sekunden, in denen ich die Decke betrachtete und dem Rascheln und seinen Schritten lauschte.
„Ok, hier höre ich dich besser." seine Stimme hallte, es klang, als war er im Bad.
„Schön, deine Stimme zu hören, du hast mir gefehlt. Wie war dein Tag?"
„Ja, ganz ok soweit. Wir sind schon eine Weile in der Halle und stoßen gleich an.".
„Ist alles in Ordnung, du klingst angespannt?"
„Klar, ich bin bestimmt nur angespannt wegen der Show.". Ich hatte ihn nie so vor einer Show erlebt.
„Und wie war es bei dir? Hat bei der Arbeit alles geklappt?" fragte er etwas abwesend. Volkan schaute im Raum herum, sah kaum in die Kamera, während er sprach.
„Ja, naja. Es fühlt sich irgendwie komisch an, wieder arbeiten zu gehen. Das Wochenende hat sich angefühlt, als wäre ich wochenlang weg gewesen... aber ich glaube für den ersten Tag war es ok. Ich bin ziemlich kaputt, muss ich gestehen, aber wir gehen gleich noch was trinken und dann bestell ich mir was nach Hause, glaub ich.".
„Wer ist wir?". Seine Stimme wurde kühl, er schien nur diesen einen Teil meiner Erzählung wahrgenommen zu haben.
„Na alle ausm Büro"
„Ist dieser Toni auch dabei?"
„Ja"
„Ich will nicht, dass du gehst."
„Meinst du das ernst?"
„Klar. Der steht immer noch auf dich, oder hast du das vom letzten Mal schon wieder vergessen?" Nur kann ich dich dieses Mal nicht retten kommen.". Er stichelte mich an.
„Ich brauche keinen Retter, ich dachte, das wüsstest du mittlerweile."
„Manchmal vielleicht schon. Also bring dich doch gar nicht erst in solche Situationen, sei nicht dumm. Ich möchte, dass du nach Hause gehst."
„Und ich möchte nicht, dass du mir Dinge vorschreibst oder verbietest. So weit kommts noch."
„Mach was du willst."
Volkan legte einfach auf. Perplex starrte ich auf mein Handy, in dem Glauben, einen Rückruf zu bekommen. Kurz hatte ich naiverweise gedacht, sein Empfang sei einfach weg gewesen. Doch ziemlich schnell verstand ich, dass er tatsächlich aufgelegt hatte. Erst reagierte er fast abweisend und angespannt auf unser Gespräch und jetzt das. Wenn wir zusammen waren, verstanden wir uns so gut und oft wortlos, doch sobald eine Entfernung zwischen uns war, schien alles wie ausgetauscht. Nach diesem Wochenende hatte ich gedacht, dass wir erstmal wieder in unserer harmonischen Bubble sein konnten, doch da hatte ich mich getäuscht. Nicht ein Mal 48 Stunden später gab es wieder einen Konflikt. Ich hatte Volkan eigentlich nie als so eifersüchtig oder kontrollierend erlebt, was es mir jetzt noch schwerer machte, zu verstehen.
Dass er nicht in Jubelschreie verfallen würde, dass ich mit Toni und den anderen etwas trinken ging, war mir schon klar, doch normalerweise hätte er seine Sorge anders formuliert, oder darauf vertraut, dass ich nicht leichtsinnig war.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt