51. Geschickt eingefädelt

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V

Sein Gesicht war starr, ich konnte keine Emotion daraus ablesen.
„Was machst du hier, verdammte Scheiße.".
„Ich hab dich vermisst. Entschuldige, dass ich nicht ans Handy gehen konnte, ich war etwas... beschäftigt." flüsterte ich zurück. Ich schmunzelte, während ich meine nur halb ehrliche Entschuldigung aussprach. Noch bevor ich den Satz vollständig beenden konnte, stürmte Volkan auf mich zu, dass wir halb im Flur standen und nahm mich fest in seine Arme. Ich reckte mich nach oben, um mit den Armen überhaupt über seine Schultern zu kommen, doch er hob mich leicht an, sodass meine Zehenspitzen den Bodenkontakt verloren. Sein Gesicht versteckte sich in meinen Haaren und mir stieg sein Geruch in die Nase. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf das wahnsinnige Kribbeln in meinem Bauch.
Nun war alles gut.
Einige Sekunden verharrten wir in der Umarmung, bis er mich wieder auf dem Boden absetzte und mit beiden Händen mein Gesicht hielt. Sein Kopf näherte sich und ich schloss bereits meine Augen, vorbereitet darauf, gleich seine weichen Lippen zu küssen und ein Feuerwerk zu erleben, bis Hakan lautstark zwischen uns trat und uns vor einem Outing bewahrte.

„Überraschung! Ich dachte, es wäre schön, wenn wirklich -alle- deine engen Freunde hier sind. War gar nicht so leicht, V nach Mannheim zu bringen.". Er schaute seinen Bruder sehr direkt an. Durch Volkans Größe war bisher für die anderen die Sicht auf mich, und das, was wir fast taten, verdeckt geblieben. Volkan drehte sich ruckartig um, schien sich wieder zu beherrschen, legte den Arm um meine Schultern und zog mich in den Raum zu den anderen.

„Leute, V ist gekommen!!" rief er seinen Freunden im hinteren Teil des Raumes zu. Er strahlte über beide Ohren, während ich rot anlief. Ich begrüßte die mir bekannten Gesichter mit einer Umarmung und stellte mich den noch unbekannten mit einem Winken in die Runde vor. Es war noch ein wenig Zeit, bis das Konzert begann, sodass wir uns setzten und gemeinsam anstießen. Ich hatte mich sehr auf diesen Moment gefreut, nicht mehr nur zugeschaltet zu sein oder erzählt zu bekommen, was vor der Show anstand, sondern dabei zu sein und diese Erinnerung zu teilen. Irgendjemand trieb mehrere Pizzen auf und ich griff gierig zu. Mein Magen knurrte nun schon eine ganze Weile und durch die Aufregung der letzten Tage hatte ich ohnehin weniger gegessen. Während ich auf den zerfließenden Käse auf dem Stück in meiner Hand fokussiert war, spürte ich einen an mich gehefteten Blick von der Seite.
Sasan und eine junge, blonde Frau neben ihm schauten mich intensiv an, bis sich unsere Blicke trafen und ihre Köpfe wegschnellten. Sie fühlten sich also ertappt. Sasan schaute mich nach einigen Sekunden erneut an und ich schüttelte nur fragend den Kopf. Er zuckte leicht mit den Schultern und warf mir ein Lächeln zu. Okay...

„Hey V, hast du Lust dir später noch das Backstage anzusehen? Vorhin hast du beim Hergehen bestimmt nicht viel sehen können. So langsam sind alle Positionen besetzt und man sieht etwas mehr.". Hakan riss mich aus meinen Überlegungen, was auf der anderen Tischseite vor sich ging. Ich verarbeitete nur müheselig den neuen Input und musste für die anderen etwas langsam gewirkt haben.

„Äh ja, also nein, also ja. Ich würde es mir gern einmal ansehen. Volkan hat ziemlich viel immer davon erzählt, aber wenn man so etwas nicht kennt, kann man es sich ja auch nur schwer vorstellen. Gerade wirkt es auch eher wie ein nettes Dinner. Ich vergesse irgendwie auch zwischendurch, dass nur ein paar Meter weiter gleich knapp 15.000 Menschen sitzen und die Show erst noch stattfindet." kicherte ich.
„So viel zu kein Druck, ne?". Volkan lachte etwas nervös und fuhr sich mit der Hand am Hinterkopf entlang. „Ich muss eh gleich nochmal in die Graderobe, dann zeig ich dir bisschen was." sagte er noch eher beiläufig in meine Richtung.
Ich verstand, Hakan war also ein kleiner Romantiker und wollte uns ein paar Minuten zu zweit schenken. Geschickt eingefädelt.
Meine Mundwinkel zuckten leicht bei dieser Erkenntnis und ich trank schnell einen Schluck aus meinem Glas, um es zu verstecken. Ich musste ohnehin komisch auf die mir unbekannten Personen gewirkt haben. Kommt mir nichts dir nichts zu einer Show, starrt die ganze Zeit ins Leere und fängt ohne nachvollziehbaren Grund an zu Grinsen. Volkan erhob sich von der Couch, sodass ich zu ihm hochschaute. Aus seinem losen Zopf hatte sich eine Strähne gelöst, die ihm ins Gesicht hing.
„Wollen wir? Ich muss mich leider ein bisschen beeilen...". Ohne zu zögern stellte mich auf und lief ihm nach aus dem kleinen Raum. Im Flur war es noch ziemlich dunkel, sodass ich auf Volkan angewiesen war. Wir liefen hintereinander einen schmalen Gang entlang und die Kabel am Boden erschwerten den Weg, bis ich Volkans nach hinten gestreckte Hand sah und sie sofort ergriff. Er führte mich den Gang entlang in Richtung einer Treppe, an deren Ende eine Tür zu sehen war. Wir stiegen die Stufen versetzt hoch, bis sich Volkan auf ein Mal umdrehte, in den leeren Gang hinter uns sah und stehen blieb. Ruckartig zog er mich ein paar Stufen nach, sodass wir wieder auf einer Höhe waren. Eine Hand fasste an meine Wange, die andere an meine Hüfte, und er drängte mich rückwärts zu gehen, bis ich die kühle Wand im Rücken spürte. Sowie ich den Beton merkte, legten sich auch seine Lippen auf meine und sein Kuss wurde heftig. Vollkommen überfordert presste ich mich an ihn und und genoss seine warmen Lippen und seine Zunge an meiner. In mir zog sich alles zusammen und ich drückte ihm automatisiert meine Hüfte entgegen. Ich spürte bereits nach einigen Sekunden, wie wir uns gegenseitig erregten und hatte das Bedürfnis, ihn hier und jetzt auszuziehen. Meine Hände berührten nun ebenfalls sein Gesicht und ich strich über seinen Hals, hin zu seinem Nacken. Meine Nägel fuhren langsam über die dünne Haut und ich wanderte mit meinen Lippen seinen Hals hinauf. Ich sog und küsste sanft seinem Hals entlang und hörte sein Seufzen. Er legte den Kopf in den Nacken, entspannte sich sichtbar und schien sich in dem Moment zu unterbrechen und sich zurück zu ziehen.
„Komm". Er drehte sich wieder in Richtung der Tür und griff erneut nach meiner Hand. Die Tür öffnete er mit einem leichten Stoß und hielt sie mir auf, bis auch ich draußen angekommen war. Der Windzug blies mir frisch ins Gesicht. Wir befanden uns auf einem Zwischendach der Arena und hörten dumpf die vielen verschiedenen Menschen auf dem Vorplatz, die nun auf den Einlass zu warten schienen.
„Hier sollten wir erst einmal allein sein...Ey, ich kann dir nicht sagen, wie ich mich freue, dich zu sehen. Ich habe dich so krass vermisst und jetzt... stehst du einfach hier und... verdrehst mir den Kopf. Du weißt nicht, was mir das bedeutet, Canım.". Ich lächelte ihn an hob meine Hand, um sein Gesicht zu berühren. Mein Daumen streichelte sanft über seine Wange und die leicht spürbaren Bartstoppeln. Er schloss für einen Moment die Augen und schmiegte sein Gesicht an meine Handinnenfläche. Ich nahm nur noch uns beide wahr. Meine Hand glitt hinunter und kam auf seiner Brust zum Stehen. Ich spürte sein Herz wie wild klopfen und legte meinen Kopf darüber und lauschte seinem Herzschlag. Ich umschloss ihn nun mit meinen Armen und zog ihn in eine enge Umarmung. Ich spürte, wie er mein Haar küsste und sein Kopf nun auf meinem ruhte. Stundenlang hätte ich so stehen bleiben können. Ich war erleichtert und die Anspannung war vollkommen abgefallen. In seinen Armen zu sein, war den ganzen Stress und Aufwand wert. Seine Stimme holte mich ins Hier und Jetzt zurück.

„Ich wünschte der Moment würde nie aufhören, aber ich muss so langsam rein...". Trotz des Gesagten blieben wir einige Sekunden noch voreinander stehen und schauten uns an. Es bildete sich ein Lächeln in seinem Gesicht, was mich sofort ansteckte. Aus dem Lächeln wurde ein breites Grinsen, da wir beide das gleiche zu denken schienen. Wortlos gingen wir wieder in Richtung Tür, die Treppe hinab und den schmalen Gang zurück zu den anderen. Vor der Tür schaute Volkan sich erneut um, beugte sich etwas zu mir und blieb kurz vor meinem Gesicht stehen. Unsere Nasenspitzen berührten sich und wir strahlten uns nur an. Ich schloss meine Augen und reckte mich ihm die wenige Distanz entgegen und fühlte noch einmal seinen Kuss. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt