27. Bereit für Hotel Yaman?

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V

Ich blieb sechs Tage im Krankenhaus. Um sicher zu gehen, dass die Heilung ihren Weg aufnahm, empfahl mir der Arzt am Tag nach dem Übergriff doch noch etwas zu bleiben, mich hier ein wenig auszuruhen. Es kam regelmäßig eine Krankenhauspsychologin auf mich zu, mit der ich detailliert über das sprechen konnte, was an Erinnerungen übriggeblieben war. Mit Volkan hatte ich darüber nicht reden wollen, er wusste ohnehin zu viel für mein Gefühl. Sie gab mir den Kontakt zu einer ambulanten Traumatherapeutin und bot mir regelmäßige Gespräche an, solange ich noch keinen Platz hatte.
 Meine Verletzungen waren nicht mehr so schmerzhaft, wie noch vor einigen Tagen und die Farben verblassten langsam von lila zu einem blau/grün. Ich versuchte die Blutergüsse in meinem Gesicht mit etwas neutraleren Farben zu überschminken, da Volkan mich heute abholen wollte. Er hatte mich zwar auch in den letzten Tagen besucht und gesehen, wie meine Blessuren aussahen, doch wollte ich heute fitter wirken, ihn nicht gleich im Türrahmen verschrecken. Wir besprachen, dass ich die ersten Tage bei ihm verbringen würde, damit die alltäglichen Dinge, wie Kochen und Wäschewaschen noch warten konnten. Ich hingegen war eher erleichtert darüber, nicht allein sein zu müssen. Vor allem nachts.

Etwas verspätet kam er mit einer leeren Reisetasche in mein Zimmer gestürmt. Er war gestresst, das konnte ich sehen, doch wusste nicht, was los war.
„Bist du bereit für Hotel Yaman?" gespielt locker packte er meine angesammelten Sachen von dem schmalen Einbauschrank in die Tasche und vermied den Augenkontakt.

„Warum bist du so gestresst?". Besorgt beobachtete ich seine Handbewegungen, versuchte ihn mit meinem Blick zu fixieren. 

„Alles gut, war nur 'ne stressige Fahrt.". Er war ein schlechter Lügner. Ich unterbrach das Einpacken der Sachen aus meinem Nachtschrank, rutschte vom Bett und stellte mich direkt vor ihn, um den Weg zum Schrank zu versperren.

Ich spiegelte mich in seinen Sonnenbrillengläsern und hob vorsichtig die Brille ab. Da war wieder unsere Verbindung und die Anziehung.

Ein Seufzen.
„Ich soll heute noch ins Studio und ins Büro. Meine Mutter ist nach Berlin gekommen, weil Hakan halbe Andeutungen gemacht hat und sie dachte, mit mir ist etwas passiert. Ich weiß nicht, wie ich das alles machen soll. Und eigentlich will ich den ganzen Tag einfach nur mal mit dir sein und die Scheiße liegen lassen.". Seine Atmung ging schnell, er war tatsächlich sehr aufgeregt über all diese Punkte. Ich hob meine Hand und strich über sein Gesicht. Er schmiegte seine Wange in meine Handinnenfläche und schloss einen Moment die Augen, atmete durch. 

„Mach dir doch nicht so einen Stress. Du kannst mich auch bei mir absetzen. Ich gehe erstmal schön baden und schlafe noch ein bisschen. Dann kannst du mit deiner Mutter in deine Wohnung und die ganzen Sachen erledigen. Und wenn das vorbei ist, kommst du zu mir und verwöhnst mich. Pizza ist immer sehr gesundheitsförderlich." witzelte ich, um ihn etwas aufzumuntern. Er lächelte mich schief an.

„Ich will dich in meiner Wohnung haben. Im Auto liegt schon die Tasche mit den Sachen aus deiner Wohnung, die ich holen sollte. Es nervt mich halt nur, dass alles jetzt sein muss. Ich möchte einfach einen Moment Pause.". Er biss sich auf die Lippe, als hätte er das nicht sagen dürfen. Als hätte er kein Recht, eine Pause verlangen zu wollen.

„Volkan, auch für dich waren es krasse Tage. Du brauchst auch die Ruhe und Abstand davon. Ich nehme es dir nicht übel, echt. Vielleich wäre es sogar gut, wenn du mich nicht die ganze Zeit so siehst und dann auch noch ein schlechtes Gewissen bekommst, weil ich in deiner Wohnung hocke und du gefühlt zu Hause auch noch auf jemanden Acht geben musst.". Er ließ mich gar nicht ausreden und seufzte.

„So meinte ich das doch gar nicht. Ich will mit dir alleine sein. Ohne andere Menschen, ohne eine Tür, die ständig auf und zu geht. Ohne die ständige Erinnerung, was passiert ist.". Das zwischen uns entwickelte sich allmählich zu einem ordentlichen Streit und der Kloß in meinem Hals wurde immer größer. Ich blickte langsam nach unten. Nun hatten wir beide Schuldgefühle und konnten sie einander nicht nehmen. Er fühlte sich schlecht, weil er mich nicht schützen konnte und ich ihm immer wieder vor Augen führte, was er nicht retten konnte, und ich fühlte mich schlecht, das alles in ihm auszulösen. Eine Lösung hatte ich leider nicht parat und so tropfte es leise Tränen auf den Linoleumboden. Er unterbrach seine Ausrufe und blieb nahe vor mir stehen, als er meine Tränen bemerkte. Sein Daumen berührte mein Kinn und schob es nach oben, sodass wir uns ansahen.

„Das war zu viel, ich weiß. Es tut mir leid.". Sein Gesicht kam näher und er hauchte einen Kuss auf meine Lippen. Die Tränen versiegten. Meine Hände suchten seinen Oberkörper und aus dem Küsschen wurde ein ziemlich heftiger Kuss. Der erste seit Tagen. Das Klopfen an der Tür unterbrach uns und die nette Pflegerin, die mich auch die letzten Tage begleitete, kam etwas peinlich berührt in das Zimmer, um mir die Entlassungspapiere zu überreichen.
„Machen Sie es gut, V. Sie waren wirklich eine Vorzeigepatientin und sind mir ein bisschen ans Herz gewachsen.". Wir umarmten uns kurz und mir kamen die Erinnerungen an die Gespräche am Abend, als Volkan schon weg war, in der ich ihr von ihm, unserem Kennenlernen und auch von dem Abend erzählte. Sie erzählte mir im Gegenzug von ihrer 10 Jahre älteren Affäre, mit der sie regelmäßig auf die Kanaren flog. Ich liebte unsere Gespräche mit Krankenhauspudding.

Volkan setzte seine Brille wieder auf und übernahm meine Reisetasche. Wir liefen zu seinem Mercedes und er öffnete mir die Beifahrertür, bevor wir eilig vom Parkplatz fuhren.

„Ich meinte das vorhin übrigens ernst. Ich bin dir nicht böse, wenn du ein paar Tage für dich brauchst, Volkan.". Sein Blick ging starr nach vorn.

„Lass uns nicht nochmal anfangen, okay? Das ist etwas, worüber ich nicht diskutieren will. Ich will dich bei mir haben und mit dir einschlafen.". Ich widersprach ihm nicht. Ich hatte mich auch nach seiner Nähe gesehnt und würde nur gegen meine eigenen Bedürfnisse argumentieren. Wir bogen in seine Tiefgarage ein. Nachdem er geparkt hatte und wir in Richtung des Fahrstuhls liefen, drehte er sich zu mir und nahm meine Hand.

„Ich bin froh, heute hier mit dir zu sein. Nicht zu wissen, was mit dir ist, hat mich wahnsinnig gemacht. Ich... kann echt kaum in Worte fassen, wie erleichtert ich bin." Ich musste etwas lächeln und hob seine Hand, die noch in meiner verschränkt war, an meine Lippen und küsste seinen Handrücken.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt