31. Dann eben ohne Blickkontakt

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Ich hörte sein Klopfen am nächsten Morgen, doch konnte nicht. Immer wieder. Tap Tap Tap dröhnte es in meinem Kopf nach. Durch das viele Weinen vergangene Nacht, hatte ich Kopfschmerzen. Mein Mund war trocken und ich spürte, wie geschwollen meine Augen waren.
„V, ich hab Mist gebaut, ich weiß. Kannst du aufmachen, bitte?"- Ich konnte ihm nicht antworten. Ich wusste, dass er verzweifelt und wahnsinnig betrunken war, als er mir diesen Mist an den Kopf warf. Doch mir in so einem Moment zu sagen, was er fühlte, in dem Ton und Zustand... Ich war irgendwie so traurig und verletzt. Das Fick Dich war mir tatsächlich fast egal.
Irgendwann richtete ich mich aus meiner liegenden Position vor der Tür auf, setzte mich mit dem Rücken an die Tür, streckte die Beine aus und auch er schien sich auf der anderen Seite an die Tür gelehnt zu haben.

„Ich kann dich atmen hören, V. Bitte sprich mit mir. Oder schrei mich an, mir ist alles Recht.".

Man hörte seinen Körper an der Tür hinabgleiten, er hatte sich also auch hingesetzt.

„Ok, dann eben ohne Blickkontakt. Vielleicht kannst du mir trotzdem zuhören.". Mein Schweigen schien Antwort genug zu sein. Langsam und sanft nahm ich seine Worte wahr, lauschte seiner tiefen Stimme.

„Ich hatte nicht vor dir so zu sagen, was ich für dich empfinde, meine ich. Das kam gestern so herausgesprudelt. Von allen Seiten werde ich in letzter Zeit angesprochen, was das zwischen uns ist und nicht einmal wir wissen, was das ist. Das hat mich ziemlich beschäftigt in den letzten Tagen. Ich konnte aber auch nicht mit dir sprechen, weil meine Mutter ständig hier war... Ich weiß, dass das ein beschissenes Argument ist, aber ich wollte es mit dir allein besprechen, mit genug Zeit.". Er machte eine Pause, holte tief Luft. Ich spürte, wie meine Hände etwas feucht wurden. Er wollte wissen, was das zwischen uns war. Gute Frage.

„Und das ist halt noch so ein Ding. Du verstehst dich so gut mit meiner Mutter... Es tut mir weh, ihr nicht sagen zu können, dass du mir so viel bedeutest. Es sind viele Faktoren, die mich gestern anscheinend zum Ausbruch gebracht haben. Das ist keine Entschuldigung dafür, dass ich laut geworden bin und dich beleidigt habe, vor allem nicht nach dem, was.. naja." Er schien sich wieder sortieren zu müssen und verstummte schlagartig. Es verging einige Zeit. Kurz dachte ich, er sei aufgestanden und das wars jetzt mit seiner Erklärung. War ich nun an der Reihe rauszukommen und etwas dazu zu sagen? Ich hatte noch nicht das Bedürfnis die Tür zu öffnen und ihn anzusehen. Ich wollte hier noch eine Weile sitzen und darüber nachdenken, was er mir sagte, bis ich doch wieder seine Stimme wahrnahm und meine Gedanken pausierte.
„V, ich habe mich wahnsinnig in dich verliebt und das schon vor vielen Wochen. Ich hatte nicht den Mut mit dir zu sprechen, aus Angst dich zu verlieren. Ich hatte Angst, dass du keinen Bock auf sowas hast und eine Freundschaft wäre nicht möglich gewesen... naja, für mich jedenfalls nicht. Und das wollte ich nicht. Ich war egoistisch in dem Punkt, aber ich bereue es nicht. Es ist das passiert, was ich mir nie hätte ausmalen können. Ich meine... nach der ersten Nacht zwischen uns, damals nach dem Konzert in Berlin, konnte ich nicht aufhören an dich zu denken. Da kam so richtig die Erkenntnis, dass du für mich nicht einfach nur ne Freundin bist. Ich hab versucht mir das auszureden, dass ich einfach ein bisschen einsam war und du einfach sehr attraktiv, aber als wir dann neulich nach dem Abend in der Bar...ja, da wusste ich, dass es einzig und allein daran lag, weil ich Gefühle für dich entwickelt habe. Es gab keine Ausrede." ich hörte, wie er bei diesem Satz zu Grinsen anfing.
"Ich glaube ich habe genug gesagt..". Er verstummte abrupt und ich merkte nun, dass die Tür zu viel Distanz war für solch ein Gespräch. Ich stand auf, ohne wirklich zu wissen, was ich jetzt tun sollte. Mit einem Klicken öffnete ich das Türschloss und drückte die Klinke hinunter, bis Volkan mitten in den Raum fiel, überrascht davon, nicht mehr ausgesperrt zu sein. Er blickte mich einen Moment nur an. Seine braunen Augen waren sanft und leuchteten etwas auf, als er in meine sah. Ich kniete mich zu ihm herunter, setzte mich auf meine Beine, sodass wir uns nun direkt ansehen konnten. Unter meinen Knien spürte ich die Härte seines Parketts und verlagerte noch einmal mein Gewicht. Je mehr ich über meine Worte überlegte, desto verstrickter wurden sie. Ich begann einfach zu sprechen. Das zu sagen, was mir gerade auf der Zunge brannte.

„Das hat mir gestern echt weh getan. Nicht, dass du deine Gefühle rausposaunt hast. Das war auch scheiße, aber das wäre noch aushaltbar gewesen.
Du hast mich gefragt, ob ich einen anderen lieber möchte und... es hat sich angefühlt, als wäre es meine Wahl, eine aktive Entscheidung, dass ich mich gerade nicht vollkommen auf dich einlassen kann oder...mit dir schlafen kann.". Er wollte ansetzen, um sich direkt darauf zu beziehen, doch unterbrach ich ihn dabei.
„Dass du so viel getrunken hast gestern, ist keine Rechtfertigung dafür, was passiert ist. Anscheinend gibt es einen kleinen Teil in dir, der so eine Angst hast. Der sich wirklich all diese Dinge fragt. Aber Volkan, ich bin seit Wochen nur mit dir... Nach diesem Vorfall warst du die Person, die ich sehen wollte, die ich an mich herangelassen habe, die mir nicht das Gefühl gegeben hat, immer darüber sprechen zu müssen. Und jetzt kommt so eine harte Unterstellung. Dieser Satz hat mir gestern weh getan.". Nachdem er sich etwas aufsetzte, beugte er sich zu mir, sodass ich seinen Atem fast hätte spüren können. In seinem Blick lag.. Bedauern?

„Ich weiß. Das hat meine Mutter gestern auch gesagt. Wir haben ziemlich lange diskutiert, bis ich wieder nüchtern genug war, sie überhaupt zu hören. Ich habe reingeschissen gestern, das weiß ich. Ich habe die halbe Nacht darüber nachgedacht und mir wurde klar, dass ich einfach heute offen mit dir sprechen muss... auch wenn es eben bedeutet, dass es ab hier vielleicht nicht weitergeht. Ich kann mich nur aufrichtig bei dir entschuldigen und hoffe, dich nicht mit all den...Infos... zu verschrecken.". Nun musste ich fast ein wenig schmunzeln. Er tat so, als seien seine Gefühle eine Beleidigung gegen mich. Ein Umstand, den ich nicht ertragen wollte. Verdutzt schaute er mich an und fragte sich mit Sicherheit, warum ich lächelte. Schnell reagierte ich auf seinen Ausdruck, um ihm nicht ein falsches Gefühl zu vermitteln. Die rechte Hand führte ich an seine Wange, strich sanft über die harten Bartstoppeln, spürte seine Wärme.

„Volkan, würde ich nicht genau so für dich empfinden, wäre ich nicht hier. Würde ich nicht jede Nacht ein Bett mit dir teilen. Würde ich jetzt nicht mit dir sprechen. Ich... bin doch auch in dich verliebt.". Er musste automatisch lächeln, beugte sich nun noch weiter vor und vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt