11. Schluss mit den Tränen

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Wir gingen schweigend die Treppe hoch in meine Wohnung und legten die Jacken ab. Etwas bedröppelt ging ich ins Bad, um die kleine Kiste mit Verbandszeug vom Schrank zu holen. Auf der Fahrt zu meiner Wohnung fiel mir die Schürfwunde an den Knöcheln seiner rechten Hand auf, die er sich beim Schlag geholt haben musste. Ich fühlte mich unfassbar schlecht, ihn überhaupt in solch eine Situation gebracht zu haben. 
Volkan stand in meiner Küche und kochte Tee, als ich mich auf die Couch setzte und wartete. Ich war beschämt und schaute zu Boden, als er sich zu mir setzte und die zwei dampfenden Tassen vor uns auf dem Tisch abstellte. Zwei Finger setzten an mein Kinn und er schob mein Gesicht nach oben, dass ich ihn ansehen musste.
„Bist du okay? Hat er dir wehgetan?". Seine Stimme war nun ganz sanft, das komplette Gegenteil zu dem, was ich vorhin an ihm beobachtete, als er aggressiv den Mann anschrie und die Wut in seinen Augen loderte.
Ich hätte sofort wieder anfangen können zu Weinen und schüttelte wortlos den Kopf und versuchte die Tränen zu schlucken.

„Ist für deine Hand. Es tut mir so unsagbar leid. Wirklich.". Tränen sammelten sich nun doch in meinen Augen, während ich heftig schluckte und wieder runter guckte.
„Du hast nichts falsch gemacht. Er hatte dich nicht anzufassen, dieser Hurensohn.". Die Wut arbeitete sich wieder durch seine Stimme, doch schien er sich selbst zu beruhigen und atmete tief durch. 

Ich nahm seine Hand und betrachtete die noch leicht blutende Wunde.
„Denk nicht drüber nach, er sah deutlich schlimmer aus.". Wir mussten beide darüber lächeln. Ich desinfizierte die Wunde und klebte amateurhaft einen kleinen Verband um seine Hand, der ihn vor Dreck schützen sollte. Eine Weile saßen wir so voreinander, ohne zu sprechen. Irgendwann gelang es mir nicht mehr, die Tränen und das Schluchzen zu unterdrücken.
„Hey, kleine Rotznase, Schluss mit den Tränen. Der Wichser hat das bekommen, was er verdient hat. Ich bin nur froh, dass nicht mehr passiert ist.". Seitlich legte er seinen Arm um mich und drückte meine Schulter zu sich, um mich zu trösten. Immer wieder strich er mit der verletzten Hand über meinen Arm. War er nicht eigentlich derjenige, der Trost verdient hatte? 

„Wie konntest du so schnell da sein, meine Nachricht kam doch gar nicht durch. Da war nur ein Haken.". Ich war noch immer verwirrt, wie er es überhaupt geschafft hatte, mir aus dieser Situation zu helfen. 

„Doch... Ich muss halt immer aktiv in den Chat gehen, damit Nachrichten ankommen können... Ich war wohl genau zum Richtigen Zeitpunkt am Handy und hatte es gelesen... dann bin sofort los. Ich hab diesem Toni eh nicht getraut und bin direkt aus dem Studio abgehauen. Ich hab diese Kumpels von dem Typen dann an der Ecke geiern gesehen und schnell gecheckt was los ist. Ich wusste erst nicht, dass du das bist, muss ich gestehen. Dachte einfach irgendeine Frau... naja, hab nur noch rot gesehen. Wer die Hand gegen eine Frau erhebt, ist für mich der größte Bastard der Welt. Und als ich dich dann erkannt habe, war's das direkt.".
Die Wut kochte wieder in ihm hoch und ich strich vorsichtig mit meinem Handrücken über seine Wange. „Danke, Volkan. Wirklich". Er beugte sich zu mir und küsste flüchtig meine Stirn. Eine Weile saßen wir noch nebeneinander, machten den Fernseher an und ließen eine nichtssagende Serie laufen, von der wir beide den Inhalt nicht verstanden, bis wir uns fertig machten. Ohne es auszusprechen war irgendwie klar, dass er heute nicht gehen würde. Mir war klar, ihn nicht darum zu bitten und er machte keine Anstalten gehen zu wollen. Unsicher kam er, nachdem er sich mit einer Reservezahnbürste die Zähne putzte und schnell unter die Dusche ging, in mein Schlafzimmer gelaufen und schaute sich um. Ich saß bereits auf meiner Seite, hatte mich umgezogen und cremte mir gerade die Hände ein, als er wie festgewachsen vor dem Bett stand. 
"Soll ich hier schlafen?". Er starrte auf die freie Seite, als sei nicht klar gewesen, dass das mein Bett war. 
"Ist doch groß genug für uns beide, oder?". Ich sah nur  sein Nicken und dann die wiederkehrende Falte zwischen seinen Augenbrauen. 
"Ist es ok, wenn ich in Boxer schlafe? Jeans ist jetzt nicht so gemütlich und...". Ich unterbrach ihn. 
"Fühl dich zu Hause, ok? Schlaf so, wie es für dich bequem ist. Wie du dich wohl fühlst, ja?". Wieder nickte er, schlug die Bettdecke zurück und legte sich hin. 
"Gemütlich" kommentierte er seine Liegeposition, als ich das Licht ausknipste und mich ebenfalls einkuschelte. 

In dieser Nacht lag ich nah bei ihm, mit dem Kopf auf seiner Brust hörte ich lange dem regelmäßigen Schlagen seines Herzens zu, bis auch mir die Augen zufielen. Wie von allein rutsche ich näher an ihn heran, suchte seine Sicherheit und Nähe. 
Ich fiel in einen halbtiefen Schlaf und einen lähmenden Traum, der vor allem begleitet von Dunkelheit und Geschrei war. Alles färbte sich rot und auch ich schrie. Doch kam keine Hilfe.
Ich kam langsam zu mir und sah Volkan über mit sitzen, an meinen Schultern rüttelnd.
„Eve!!! Ey! Eve! Wach auf, es ist nur ein Traum!". Ich schaute in sein besorgtes Gesicht und atmete tief durch. Es ist alles gut.
Ich wollte ihm nicht von meinem Traum erzählen und sagte, dass ich mich nicht erinnern konnte, was ihn erst einmal zufriedenzustellen schien. Ich wollte ihn nicht wieder damit belasten. Zu sehr hatte ich mich schon den Abend über geschämt. Volkan warf wieder die Decke über uns, ließ noch eine Weile das Nachtlicht an, bis ich wieder weg döste. 

Nachdem er seinen Kaffee am Morgen halb ausgetrunken hatte, die Tasse in die Spüle stellte und provisorisch Wasser hineinlaufen ließ, warf er sich seine Lederjacke über und setzte die Brille wieder auf.
„Ich muss leider gehen, morgen ist ja schon das Konzert. Wir machen heute schon den Soundcheck. Du kommst morgen, ja?!"

„Ich verspreche es dir. Sag mir dann noch wann ich wo sein soll. Ich freue mich darauf.". 
Wir umarmten uns lang und ich schaute ihm wieder im Treppenhaus nach, bis er um die Biegung des Geländers ging und nur noch die schweren Schritte seiner schwarzen Stiefel zu hören waren. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt