86. Tritt mal aufs Gas

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„Ok, wenn du schon nicht erzählen willst, tritt mal aufs Gas und hol mich hier ab. Ich bin auf dich angewiesen, Digga.". Seine Stimme war gereizt und ließ mich vermuten, wie dünnhäutig er gerade war.
„Jetzt entspann dich, ich bin doch gleich da."
„Tamam, dann komm ich gleich runter. Ciao".
Ich fuhr die letzten Minuten zum Büro und merkte in mir die gute Laune. Ich hatte nie mit einem solch guten Gesprächsausgang gerechnet und war irgendwie beruhigt.
Als ich vor dem Bürogebäude hielt, sah ich Volkan und Johannes aus dem Foyer kommen. Volkan setzte sich neben mich und starrte mich an.
„Naber?" flötete er mir auf Türkisch entgegen. Heuchler, ich wusste, wie dringend er die Infos haben wollte und spielte jetzt so entspannt.
„Wo wollen wir hin?" fragte ich an die beiden gerichtet und guckte durch den Rückspiegel zu Johannes, der fokussiert etwas in sein Handy tippte.
„Lass zu mir" hörte ich Volkan von rechts sagen. Johannes nickte zustimmend. Den ganzen Tag schien ich nur im Kreis zu fahren und steuerte wieder Volkans Wohnung an.
Skeptisch beäugte er im Aufzug die schwarze Tasche, die ich unkommentiert aus dem Kofferraum geholt hatte, als hätte ich eine geladene Waffe in der Hand. Er schien nicht damit gerechnet zu haben, seine Sachen wiederzusehen. Oder er hatte sie schlichtweg vergessen. In der Wohnung angekommen, fiel Volkan gleich mit der Tür ins Haus.
„Ich hab's Johannes erzählt. Ich hab's alleine nicht ausgehalten und naja. Du kannst ganz offen reden."
„Tamam. Was soll ich sagen, es war ein echt schönes Gespräch. Sie war... so wie sie immer war."
„Wow, danke. Wie aufschlussreich. Ist fast, als wäre ich dabei gewesen, so detailliert erzählst du." genervt hob er beim Sprechen die Stimme und ich holte aus, um ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf zu geben. Er musste sich langsam wirklich zusammenreißen, sonst drohte mein Geduldsfaden zu reißen. 
„Wenn du mal die Backen halten würdest, würde ich vielleicht auch mehr erzählen können. Klappe jetzt also.". Volkan ließ den Kopf in den Nacken fallen, wisperte ein kleines 'Uff' neben mir, doch schien er nun wirklich mal den Mund zu halten. Johannes grinste in sich hinein, schlug ein Bein über das andere und lehnte sich abwartend zurück.
„Also, sie hat mir ziemlich deutlich gesagt, dass sie deine Nachricht nicht beantwortet hat, weil sie nicht wusste, was sie sagen soll. Es hat sie tatsächlich überrascht, dass du schon mit ihr abschließt."
„Überrascht?! Sie hat doch mit 'nem anderen gebumst.". Fluchend richtete er sich auf, im Begriff aufzustehen, bis ich ihn wieder zurück auf die Couch zog.
„Ey, mach mal halblang. Du hast kein Recht durchzudrehen. Selbst wenn, sie hat jedes Recht zu bum... mit jemandem zu schlafen, genau wie du, ihr seid getrennt. Abgesehen davon..." ich spürte bereits, dass Volkan gegenhalten und mir in Wort fallen wollte, „glaube ich gar nicht unbedingt, dass es so war."
„Wie meinst du?". Ich hatte seine Aufmerksamkeit zurück.
„Irgendwas an diesem Gespräch hat mir das Gefühl gegeben, dass sie mit keinem außer dir war. Vielleicht hat Julian etwas gesehen, ja. Aber war er dabei?!".
„Fuck... aber das bringts doch jetzt auch nicht. Warum machst du mir diese Hoffnungen, es ist nichts anders." Volkan kam wieder in Aufregung.
„Ich dachte es würde dir mehr bedeuten, dass sie auch noch nicht über dich hinweg ist. Ist doch schön. Und sie klang nicht mehr wütend. Vielleicht noch traurig, aber sie hat nicht geschrien oder ein böses Wort über dich verloren.".
„Sehe ich auch so. Sei zufrieden mit dem, was du bekommen hast, Raupe Nimmersatt. Ist nicht selbstverständlich, dass sie so drauf ist, hätte schlimmer kommen können. Obwohl, du hast noch nicht in die Tasche gesehen. Vielleicht hat sie deine Sachen mit Farbe beschmiert, oder zerschnitten." Johannes schaltete sich unerwartet ein, sodass unsere Köpfe hinüber zu seinem Sessel schnellten.
„Ich könnte es ihr nicht mal übelnehmen." Volkan holte hörbar Luft. „...meint ihr, ich soll mich nochmal bei ihr melden?".
„Nein man, ich glaub, du musst es jetzt echt mal ruhen lassen. Es ist echt alles gesagt, meinst du nicht?".
„Kann sein..." kam es nun etwas bedrückt von Volkan.

Nachdem wir uns heute für vietnamesisch entschieden hatten und wieder einmal viel zu viel in den Warenkorb beim Lieferdienst hinzufügten, zündete Johannes die Kohle für eine Pfeife an und Volkan klickte sich durch die Filmoptionen auf Netflix. Allmählich entstand eine entspannte Stimmung und ich nutzte den Moment, um auf den Balkon zu gehen, um mit Sophie zu sprechen.
„Hi! Hab mich gar nicht getraut, anzurufen. Wie lief es, war Volkan sehr am Ende?"
„Hey meine Schöne. Es war echt ein gutes Gespräch, aber irgendwie auch traurig. Wir sitzen jetzt noch und chillen, Johannes ist auch da."
„Ja, damit war ja leider irgendwie zu rechnen. Finde es auch so traurig." ihre Tonlage passte sich dem Thema an. 
„Wie war denn dein Tag?". Ich wollte dringend langsam das Thema wechseln. Seit gestern beschäftigte ich mich mit nichts anderem und kam nicht einmal dazu, richtig zu arbeiten.
„War ganz gut, ich muss dir was erzählen." sie stockte und baute unnötig Spannung auf.
„Ja?" in meinem Kopf ratterten die Optionen und eine verfestigte sich zunehmend, von der ich nicht hoffte, dass sie wahr war.
„Ich... ich werde wie es aussieht nach Berlin kommen. Also für länger. Mein Chef plant ein Außenprojekt, unbefristet...". Ich atmete auf, was wahrscheinlich auch für sie hörbar war. Und dann setzte die Freude ein.
„Ernsthaft???"
„Ja!" ihre Freude war durch das Telefon spürbar.
„Das ist toll! Ich freue mich, sehr sogar!"
„Ich mich auch. Es soll aber keinen Druck auslösen. Es muss sich nichts verändern, ok? Es gibt uns vielleicht nur ein bisschen mehr Freiheit, dass wir nicht immer so krass planen müssen."
„Es macht mir keinen Druck. Ich würde mich freuen, wenn du häufiger hier wärst. Sophie, wenn du möchtest... du könntest auch erstmal ne Zeit lang bei mir wohnen, vielleicht, bis du was findest. Ich fände es schön, dich bei mir zu haben. Jedenfalls so lange, wie ich da bin.". Stille auf der anderen Seite.
„Meinst du das gerade ernst?" ihre Stimme war ein Hauchen.
„Voll und ganz, überleg's dir in Ruhe. Ich komme wahrscheinlich erst spät nach Hause, lass uns also morgen in Ruhe darüber sprechen."
„Krass, ich kann das gerade noch nicht glauben. Ich bin ganz aufgeregt. Hakan, sonst bleib doch heute Nacht da, macht doch keinen Sinn, nachts durch die ganze Stadt zu fahren. Und ich empfange dich morgen früh... splitterfasernackt.". Das letzte Wort hauchte sie nur ins Telefon und ich musste lachen. Ich war wirklich verrückt nach ihr.
„Ich freu mich schon drauf, schlaf gut, Engel.". Ich legte auf und drückte meine halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. Noch bevor ich die Tür zum Wohnzimmer öffnete, hörte ich ein lautes Fluchen aus der Wohnung und stürmte hinein. Auch Johannes schnellte in den Wohnbereich und suchend guckten wir uns beide um.
„Volkan, was ist los, wo bist du?". Ich rief nach ihm und sekundenlang passierte nichts.
„Ich bin... im Schlafzimmer...".
Schnell liefen wir zu ihm und fanden ihn vor dem Bett stehend vor. Er hatte sich während unserer Abwesenheit an seine Reisetasche gemacht und die Kleidung ausgepackt. Volkan stand noch mit dem Rücken zu uns, als er langsam die Schritte auf die freie Fläche vom Bett zuging, sich um 180 Grad drehte und sich auf dem Bett niederließ. Er hielt etwas in seinen Händen.
„Hier lag ein Brief drin...V hat mir einen Brief geschrieben.".

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