93. Interpretationsspielraum

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Volkan

Ich wollte hier weg und zwar sofort. Immer wieder wechselte mein Blick von Charlie zu meinem Bruder und zu V, die bislang noch nichts von der Situation mitbekommen zu haben schien, sich noch immer angeregt mit Sophie unterhielt. Es würde ein Desaster sein, wenn sie herausbekam, dass Charlie diese Person war. Alles, was wir bis heute wieder zusammenflicken konnten, wäre hinfällig gewesen.

Mit gerunzelter Stirn beobachtete ich, wie die beiden auf uns zukamen. Als Charlie noch wenige Meter von mir auf dem Rasen entfernt stand, sprudelten die Worte ganz automatisch aus meinem Mund.
„Was willst du hier, geh verdammte Scheiße." Ich dämpfte meine Stimme, doch verlieh ihr Nachdruck, damit es keinen Interpretationsspielraum gab. Sofort blieben Charlie und Sasan stehen, starrten mich erschrocken an.
„Wie redest du denn mit ihr?!" Sasan versuchte sie zu verteidigen, als wäre ich derjenige, der sich gerade falsch verhielt.
„Das geht dich nichts an. Und du gehst jetzt sofort, bevor ich mich verliere." sagte ich mit fester Stimme noch immer an Charlie gewandt.
Mein Bruder stellte sich unterstützend an meine Seite, mittlerweile war auch Johannes zu uns gekommen.
„Ich will nicht gehen, Sasan hat mich eingeladen.". Ihre Stimme war zart und piepsig, wodurch sie ihre Unschuld versuchte zu betonen.
„Du bist hier nicht erwünscht.". Johannes reagierte trocken, diplomatisch, doch sagte sein Blick etwas anderes. Um uns herum bildete sich langsam eine Traube und alle Ohren und Augen waren auf uns gerichtet. Es war mucksmäuschenstill. Wunderbar, Diskretion war jedenfalls keine meiner Stärken.
„Was ist denn los, wieso seid ihr so abweisend?!" Sasan war völlig perplex und so wütend hatte ich ihn lange nicht mehr erlebt. Vor allem nicht gegen uns. Johannes verlor keine Zeit, ging gezielte Schritte auf die beiden zu, griff nach Charlies Ellenbogen und versuchte sie vorsichtig mit sich in Richtung Ausgang zu dirigieren.
„Ey, lass mich los!" spätestens nach ihrem Schreien hatten alle im Garten mitbekommen, dass es was zu sehen gab, sodass Johannes sie blitzartig losließ und seine offenen Hände beschwichtigend vor die Brust hielt. Hektisch suchte ich in der Gruppe um uns herum nach V's Gesicht, doch fand ich es nicht.
Die Angst in mir wuchs, doch hatte sie keine Chance gegen meine Wut auf diese Frau.
„Ich sag es noch ein Mal. Du haust jetzt ab!" meine Stimme war so laut, dass sie bei meinem Satzende zusammenzuckte. Doch dann beobachtete ich die Veränderung in ihrem Gesicht und ein kleines Schmunzeln bildete sich auf ihrem rechten Mundwinkel.

„Jetzt tust du wieder so, als würden wir uns nicht verstehen. Schon klar, Volkan. Mit mir kann man's ja machen und dann kommst du wieder heute Nacht angekrochen, wenn du besoffen bist, und willst, dass ich mit dir schlafe. Aber weißt du, ich hab's satt! Such dir eine andere Frau, die heimlich mit dir fickt und dann den Mund hält." sie funkelte mich herausfordernd an.
„Was redest du da?" fragte Sasan neben ihr. Charlie machte eine effektvolle Pause, während sie einen tiefen Atemzug nahm.
„Ja, du hast schon richtig gehört. Seit Wochen schläft er mit mir und verleugnet mich dann. Er hat mir verboten, es dir zu erzählen. Weil er meint, keiner von euch gönnt es ihm und er hat Angst, dass es auffliegt und die weiblichen Fans sich abwenden.". Triumphierend guckte sie in meine Richtung.

Ich guckte hilfesuchend in die Gesichter um mich herum und sah V, die mit Tränen in den Augen hinter ein paar Leuten stand. Ihre Hand hielt sie vor den Mund, der Blick ging ruckartig apathisch zu Boden. Mir platzen in diesem Moment die Geduld.

„Du lügst! Nichts läuft. Ich weiß nicht auf welchem Egotrip du bist oder ob es dein Ziel ist, uns alle auseinander zu bringen. Aber es reicht.". Ich ging einen Schritt auf sie zu und muss bedrohlich gewirkt haben, denn mein Bruder hielt mich mit einer Hand an meiner Brust zurück.

„Charlie, sei froh, dass wir dich nach der letzten Aktion nur gekündigt haben." sagte Hakan ruhig.
„Welche letzte Aktion?" Sasan war komplett verwirrt.
„Volkan hat mich in ein Hinterzimmer gedrängt und..." mit zitternder Stimme hielt sie sich heuchlerisch eine Hand vor den Mund, tat so, als würde sie zu weinen beginnen. Ich baute mich wieder auf, meine Fäuste geballt vor Wut. Doch ich merkte wieder meinen Bruder, der mich kräftig an der Schulter zurückhielt und mich zu beruhigen versuchte.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt