107. Heuchlerin

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V

„Dann steig mal ein" rief Sasan mir über seine Schulter hinweg, ehe er um sein Auto herum lief und die Fahrertür aufzog. Bevor ich mich setzte, wagte ich noch einen schnellen Blick nach oben zum Fenster meiner Wohnung, doch sah ich ihn nicht.
„Okay, und wo willst du jetzt hin?" fragte ich, während ich den Gurt quer über meinen Oberkörper zog und ihn einrasten ließ. Ich war noch immer verwirrt, was in den letzten 20 Minuten passiert war und hatte mich einfach auf seinen Plan eingelassen. Zuletzt auch, um Volkan, der sich in meinem Schlafzimmer versteckte, nicht auffliegen zu lassen.
„Du hattest mal von diesem Laden erzählt, wo es die geilen Zimtschnecken gibt. Wollen wir uns da was holen und dann in den Mauerpark?" aufgeregt berichtete er von seinem Plan, hielt den Blick jedoch auf die Straße gerichtet.
„Das weißt du noch?" fragte ich überrascht. Nicht einmal ich wusste, wann genau ich mit ihm darüber gesprochen hatte. Dunkel erinnerte ich mich an ein Gespräch vor bestimmt vier Monaten, als wir uns in einer Runde über verschiedene Restaurants in Berlin ausgetauscht hatten.
„Natürlich, ich höre immer genau zu. Das müsstest du doch langsam über mich wissen, V.". Kurz schaute er zu mir herüber, suchte meine Augen mit seinen. „Ich bin nicht wie die anderen Männer.".
Irgendetwas an diesem Satz fühlte sich unangenehm an. Ich verstand nicht, warum er das so betonte, warum er so ernst bei diesem Satz war. Sasan drehte die Musik in seinem Wagen auf und brachte somit auch meine Gedanken zum Schweigen. Es hatte fast etwas Künstliches, wie er laut zur Musik sang, als hätte er der Entertainer sein müssen. Als überspielte er damit etwas anderes, nur wusste ich noch nicht was.

Nachdem wir, reichlich bepackt mit dampfendem Cappuccino und einer Auswahl an verschiedenen Zimtschnecken, aus dem kleinen Geschäft kamen, schlenderten wir die kleinen Straßen in Richtung Park entlang, ohne zu sprechen. Unter meinen Füßen knackte und raschelte das bunte Laub des eingezogenen Herbsts. Immer wieder nippten wir an unseren Kaffees und ich fragte mich, was ich hier machte. Ich überlegte, ob er etwas besprechen wollte, ob er ein Problem hatte und einfach noch zu gehemmt war, endlich mit der Sprache herauszurücken. Es musste ja einen Grund geben, warum er einfach um die Uhrzeit, unangekündigt vorbeikam. Was war so dringend, dass er Sonntag früh, nach einem Abend, an dem wir bereits zusammen waren und getrunken hatten, vor meiner Tür stand?

„Also, was war denn so dringend heute Morgen?"
„Was meinst du?" irritiert zog er die Augenbrauen zusammen.
„Naja, es wirkt so dringend alles. Ist irgendwas passiert? Kann ich dir bei was helfen?"
„Nein, quatsch.". Sasan lachte und schüttelte etwas den Kopf und ich... ich verstand die Welt nicht mehr.
„Und warum dann?"
„Ich wollte einfach Zeit mit dir verbringen, das hatten wir doch mal besprochen, damals in Mannheim. Und bisher hat das ja nicht so gut geklappt. Dann dachte ich, so ein Katerfrühstück und bisschen frische Luft, ist doch super."

„Oh. Hättest du doch vorher geschrieben oder so... dann hätte ich mich ein bisschen fertig machen können.". Total verwirrt und auch etwas genervt von seinem Spontanbesuch, guckte ich kurz rüber in sein Gesicht und sah das Lächeln auf seinen Lippen.
„So fand ich es irgendwie schöner. Spontan. Und du musst dich nicht extra fertig machen, du siehst so sehr gut aus. Ich würde mir wünschen, dass wir lockerer miteinander wären, weißt du?"
„Aber... das passiert doch nicht einfach so... mir wäre es wirklich lieber, wenn es nicht so überfallartig wäre, ja? Lass uns ganz normal sowas vereinbaren."
„Ist gut, nächstes Mal rufe ich vorher an.".
Mit diesem Satz kamen wir an einer kleinen Mauer an, auf die wir uns setzten, um endlich die Zimtschnecken zu essen. Sanft lächelte er mich an, ehe er seinen Becher wieder an die Lippen führte und einen kleinen Schluck trank.
„Sag mal, ich hab dich ja ganz schön lange nicht mehr gesehen. Vielleicht wollte ich das deswegen heute auch, um dich so schnell, wie möglich zu sehen, bevor du wieder abtauchst...". Er lachte und wischte sich dann mit der Serviette über den Mund.
„Was war los? Wo warst du?" fügte er noch hinzu und sah mich fragend an. Oh oh.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt